Caroline von Weber an Friedrich Wilhelm und Ida Jähns in Berlin
Dresden, erhalten Mittwoch, 22. März 1848

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

Ihr armen Menschen was habt Ihr in dieser letzten schreckensvollen Zeit gelitten!!* Du lieber Gott, was wird sich nur aus diesem Chaos entfalten! Als die schrekens Nachrichten sich hier verbreiteten, natürlich noch vergrössert, und mit den fürchterlichsten greul Scenen ausgeschmükt, dachte ich nicht anders als Ihr müsstet zu uns flüchten um den Anblick all dieser grausamkeiten zu entfliehen, und Euer Leben zu sichern. Gott lob! das es doch so arg nicht war als man es hier machte, obgleich, nach Wilhelms Beschreibung, die Sache noch schreklich genug gewesen ist. Vor dem Tag der Beerdigung der Gebliebenen zittere ich auch noch*, und bitte Euch mir schleunig nachricht zu geben, wie dieser Schmerzens Tag sich endete. Ich fühle mich vor Aufregung und Angst ganz krank und angegriffen und schlafe fast keine Nacht. Ach der Blick in unsere Zukunft ist auch sehr getrübt und die Sorgen liegen schwer auf meiner Seele. Das Directorium der Chemnitz Riesaer Eisenbahn hat banquerott gemacht und gegen 3000 Menschen sind dadurch Brod- und Obdach los. Maxens Stellung hört natürlich auch auf, nur dauert sie bey ihm wenigstens noch eine kurze Zeit, weil der Betrieb von Riesa, bis Waldheim so weit die Bahn fertig ist, noch so lange fortgeführt werden soll als die Bahn sich durch den Verkehr selbst erhalten kann. Dazu braucht man natürlich einen Maschinenmeister, welcher aber wahrscheinlich auf die Hälfte des Gehaltes reduziert wird. Dazu haben meine Kinder in Chemnitz ein neues Logie gemithet welches sie wenigstens ein halbes Jahr bezahlen müssen, und Nettchens Niederkunft steht auch in Aussicht — Kurz meine Kinder, tröstet Euch mit mir wenn Ihr mit trüben Blick in die Zukunft seht, dann bey Euch kann es nur der Augenblick sein welcher Stockung herbey führt bey uns aber kann die Noth länger dauern. Doch, wie Gott will! Er wird uns nicht verlassen, und wenn die Noth am grössten ist, ist Hülfe am nächsten. Gebe nur der Himel dass nun bey Euch Ruhe wird, damit sich nicht etwa die liebenswürdigen Russen hinein mischen und einen Völkerkrieg veranlassen denn dann sind wir alle verloren —.

Wie geht es denn meinen guten Lichtenstein? Es ist doch der Familie kein Leid wiederfahren? Ach die armen Leute wohnten so recht am Herd der Revolution und der Greule*. Bitte bitte lieber Wilhelm schreiben Sie mir gleich wieder wie die Sachen bey Euch stehen. Möge Gott das Herz Eures Königs zur Milde lenken, und auch dem Volk Einsicht geben dass es sich durch zu weit getriebene Forderung nicht ganz zu Grunde richtet wie es doch am Ende die Franzosen gethan haben. —

Die Partitur des Freyschützen behalten Sie nur dort, aber die Schrieften schicken Sie mir, wenn es sein kann durch Buchhändler Gelegenheit. Die Abschrieften der übrigen Partituren ist nun auch beendet*, und die armen Copisten mögten gern ihr Geld haben. Was meinen Sie lieber Jähns ob Schlesinger wohl jetzt zahlen wird? Er hat mir geschrieben ich mögte Ihnen, oder Lichtenstein die Partituren und die Rechnung für die Copisten mit schicken welche er sodan gleich mit dem Honorar von 400 Thaler zahlen wollte. Meinen Sie nun dass es besser ist noch kurze Zeit zu warten bis sich alles wieder in etwas beruhigt hat und soll ich dann Ihnen oder Lichtenstein die Partituren schicken? Am Ende wäre es wohl besser wenn mir Lichtenstein die Sachen besorgte, und Sie würden mir einen rechten Gefallen thun wenn Sie ihn besuchten und sich in meinen Namen erkundigten wie diese Schrekenszeit an ihnen vorüber gegangen, und so nebenbey fragten ob er wohl so gut sein wollte dieses Geschäft für mich zu übernehmen. Ich weiss wohl er hat nicht gern mit Schlesinger zu thun, aber villeicht übernimt er es doch aus Freundschaft für uns. Erzählen Sie ihm auch wie unsere ganzen Verhältnisse sich jetzt gestalten, denn einen langen Brief von mir zu lesen, und zu beantworten, wird es ihm jetzt wohl an Zeit und Lust fehlen. In Chemnitz hat sich die ganze Bürgerschaft bewafnet, um einen Sturm der Bahnarbeiter abzuhalten welcher zu befürchten ist sobald die armen Menschen entlassen werden. Gott gebe es gnädig! Max ist nun auch Comunalgardist.

Möge Euch und uns der liebe Gott für grössere Uibel bewahren.
Stets Eure treue Mutter Weber

Apparat

Zusammenfassung

sie bedauert die Berliner wegen der schlimmen Revolutions-Nachrichten und teilt ihre Befürchtungen, dass die Russen sich einmischen könnten; Maxens Stellung ist auch gefährdet, die Chemnitz‑Riesaer Eisenbahn hat banquerott gemacht, 3000 Menschen sind arbeitslos; ihre Kinder haben ein neues Logis in Chemnitz bezogen; bittet ihn, die Freischütz‑Partitur dort zu behalten, aber die Schriften soll er schicken; die Abschriften der übrigen Partituren sind beendet, und die Kopisten möchten ihr Geld haben; sie bittet ihn, Lichtenstein mit der Angelegenheit zu betrauen

Incipit

Ihr armen armen Menschen was habt Ihr in dieser

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler; Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
    Signatur: Mscr. Dresd. App. 2097, 111

    Quellenbeschreibung

    • masch. Übertragung nach dem verschollenen Original (Nr. 111 des Konvoluts)
    • 4 S.
    • am Kopf die Notiz: „Empfangen den 22. März 48.“

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • MJ S. 295 (Auszug)

    Einzelstellenerläuterung

    • „… dieser letzten schreckensvollen Zeit gelitten!!“Nach der Demonstration vor dem Schloss am 18. März 1848 begannen in Berlin die Barrikadenkämpfe im Rahmen der Märzrevolution.
    • „… Gebliebenen zittere ich auch noch“Beisetzung der Märzgefallenen in Berlin am 22. März 1848.
    • „… der Revolution und der Greule“Hinrich Lichtenstein wohnte mit seiner Familie im Universitätsgebäude Unter den Linden, also jener Gegend, in der die Barrikadenkämpfe am heftigsten tobten.
    • „… Partituren ist nun auch beendet“Partitur-Kopien der Opern Webers für Schlesinger.

      XML

      Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
      so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.