Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 2. Oktober 1817: Schreyvogel, Donna Diana (Teil 4 von 4)
Donna Diana oder Stolz oder Liebe.
(Beschluß.)
Herr Hellwig, als Perin, durchdrang durch die unerschöpfliche, allgenügsame Lebendigkeit und Behaglichkeit seines Spiels, das öfter dreifach gegen Diana, Cesar und Florette in electrische Funken ausströmen muß, das Ganze mit dem südlichen Hauch eines wahren Grazioso, eben so keck, aber vornehmer als Figaro, kein Skapin, kein Arlechino. Er hatte sich selbst ganz mit dem poetischen Princip seiner genialen Rolle durchdrungen, und zeichnete nun Umrisse und alle Hauptparthieen so fest und wahr, daß daran nie zu meistern seyn wird. Aber im Detail mag vieles noch feiner, mit Witzstacheln prickelnder ausgestattet werden. Er vergleicht sich einmal selbst mit der Schlange hinter der Eva. So lauscht er immer hinter den Spielenden. Doch Versucher ist er nur gegen Donna Diana, die ja ohne ihn ihr erträumtes Paradies nicht verlieren würde, um in das wirkliche der Liebe zu gelangen! Ein Uebermaß von List-, Spott-, Schadenfreude-, Ungeduld-, Bewunderung-malenden Geberden, oder Lazzi stand ihm zu Gebot. Die Finger- und Fußspitzen, nicht blos die horchenden Arme, die hintausschlagenden Füße sprachen. Besonders aber war sein ganzes Spiel darum durchdacht und motivirt zu nennen, weil er, so wie sich der Kampf des desten con es desten auf Seyn und Nichtseyn immer mehr entwickelt, so wie Cesar reichlichern Trost, Diana stachelndere Anreizung bedarf, auch in Verwegenheit und Quecksilbrigkeit steigt, und der ihm gegenüber in Liebeswehen befangenen Prinzessin so zuspricht, daß diese ihm endlich doch ein: Hebe dich weg! zurufen muß. Ob aber dem ohnerachtet nicht die auffallende Unwahrscheinlichkeit, daß Perin so ununterbrochen vor den Augen der stolzen Diana mit Cesar colludirt, noch feiner maskirt, sein Benehmen noch etwas respectvoller (er sollte z. B. nicht so oft neben ihr herlaufen) genommen werden könnte, mag der Meister selbst entscheiden. So viel ist aber gewiß, daß selbst sein doppelter Anzug (der erstere ist noch kleidsamer) und die Gesichtsmaske so fügsam, so ausdruckvoll gewählt waren, daß, alles übrige im Einklange, in ihm die lustige Seele des ganzen Stücks bald im Vorgrund, bald im Hintergrund gleichsam verkörpert hin und her schwebte. Der dreimalige, sehr gut motivirte Gebrauch der Tabacksdose ist hier ein eben so verzeihlicher Anachronismus, als das Herausziehen der Sackuhr, womit Gozzi seinem Cesar die Stunde des Verliebens bezeichnen läßt. Dergleichen Wagnisse entschlüpfen der Kritik, wenn sie als muthwillige Kinder des Augenblicks anspruchlos hervorspringen und nicht mit stehenden Lettern gedruckt sind, mit andern wechseln und alles Seynwollen vermeiden.
Daß bei so musterhafter Ausführung der drei Hauptrollen, auch sämmtliche Nebenrollen gut besetzt, trefflich einstudirt, ohne Vordringlichkeit des Untergeordneten ein schön geründetes Gesammtspiel, bald malerisch, bald pathognomisch darboten, war bei den oft erprobten Talenten des hier in Anspruch genommenen Kunstvereins schon voraus zu setzen. Die Direction, überzeugt von dem ausgezeichneten ¦ Werth dieses Stücks, hatte weder an (den südlich hellfarbigen und reichen) Costüms, noch an der Decoration etwas sparen lassen, und erwarb sich dadurch auf’s neue den Dank des Publikums. Rastlos hatte die Regie zur Anordnung und Einübung gewirkt. Unserm neuerlich von einer Reise nach Italien zurückgekommenen Hoftheatermaler Winkler verdankten wir den (bei der Kürze der Zeit diesmal nur noch nicht ganz vollendeten) Conversationssaal der Pracht und Geschmack um sich ausbreitenden Erbgräfin von Barcelona, wozu unser verdienter Prof. Pochmann vier neue Staffeleigemälde der vier sprödesten Schönen aus der Mythologie, der Daphne, Arethusa, Syrinx und Anaxarete, deren im Stück selbst Meldung geschieht (wahre Effectstücke zu diesem Zweck), gemalt hatte, und wozu die Büsten Homers, Platos, Lycurgs u. s. w. mit üppigen Blumenvasen auf Marmortischen umblüht, requirirt worden waren. Für die Gartenscene hatte der, als scenischer Landschaftsmaler unübertroffene, Hoftheatermaler Jentsch uns einen Lustgarten gegeben in südlicher Vegetation und Blumenfülle, mit Statuen in der Mitte, mit Springbrunnen und Cascatellen im Hintergrunde, mit Rosenlauben im fantasiereichen Style geschmückt, die uns wirklich in jenes Zauberland versetzten, wo einst aus der dort eingeborenen Novelle Calderon’s und Moreto’s warme Dichtungen hervorblüheten. Passende Musik für die Conzerte und Canzonetten war eingelegt und hätte vielleicht durch eine noch besser einleitende Symphonie vom Orchester aus beim vierten Act noch gewinnen können. Auf Gruppirungen, wie schon erwähnt, und Ordonanz der Stellungen (besonders beim listigen Einhelfespiel des sich verdoppelnden Perin) war alle artistische Sorgfalt gewendet. Ganz zu billigen war endlich die hier zuerst gewagte Eintheilung des Stücks in fünf Acte, so wie es anderwärts auch mit Calderon’s christlichen Prinzen und andern spanischen Stücken gemacht wurde, da diese nur drei Jornadas (Aufzüge) haben. So beginnt nun der zweite Aufzug mit der Audienz im Conversationszimmer, und der vierte mit der Gartenscene. Die nun unverhältnißmäßige Ausdehnung des letzten, ungetheilt gebliebenen Acts, wird durch das bis am Schluß gesteigerte Interesse niemanden, der überhaupt mit der Gattung einverstanden ist, zu lang dünken.
Wäre das, auf andern Bühnen fast bis zur Lächerlichkeit verbrauchte, Hervorrufen bei uns, die wir zusammen einheimisch sind, Sitte, so würde bei der sichtbaren Aufregung eines ungewöhnlich vollen Hauses und nach Maßgabe der wirklich erfolgten Beifallszeichen, das uns theure Kleeblatt der Künstler, denen wir einen so seltenen Genuß verdankten, nach gesenktem Vorhange heraus gerufen worden seyn. Dasselbe Stück ist auf der neuen Leipziger Bühne in kurzen Zwischenräumen mit ungetheiltem Beifall öfter wiederholt worden. Es ist nur Vorläufer anderer ähnlicher Genüsse (und möchte es dem wackern West gefallen, uns noch mehr aus Moreto zu geben!) Aber auch an sich verdient es ein Liebling unserer Bühne und jeder andern , die sich eine solche Aufgabe zumuthen darf, zu seyn und zu bleiben.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden: „Donna Diana“ von Josef Schreyvogel am 2. Oktober 1817
Entstehung
vor 14. Oktober 1817
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 246 (14. Oktober 1817), Bl. 2v