Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 2. Oktober 1817: Schreyvogel, Donna Diana (Teil 2 von 4)
Donna Diana oder Stolz und Liebe.
(Fortsetzung.)
Bei der zürnenden und eifersüchtigen Spanierin gelten die gewöhnlichen Rücksichten nicht mehr. Daß sie übrigens jungfräulicher Zucht nicht ermangle, zeigt ja der gewaltige, immer zunehmende Kampf in ihrem empörten Innern. Daß sie weibliches Zartgefühl habe, beweist die weiche, rührende Stelle, wo sie der Muhme den Geliebten abzutreten entschlossen ist. Dabei ist sie freilich ein verwöhntes Kind, die einzige Tochter und Erbgräfin, die Sonne, um die alles am Hofe umkreiset, die Turniere und Spiele ordnet, und die nach dem Willen des Vaters selbst wählen soll. Behält man dies im Auge, so wird das Untergeordnete der Cusinen (das sich selbst bis auf die Kleidung erstrecken kann), und manches in den Verhältnissen der zwei andern Prinzen, zu Anfang des 5ten Aktes, nicht mehr befremden. Auf der andern Seite ist aber auch wieder die vordringliche Vertraulichkeit des Perin mit dieser sonst so hochfahrenden Dame ganz im Charakter dieses spanischen Hoflebens, und des in keinem spanischen Schauspiele zu entbehrenden Grazioso, wozu der wahre Maßstab nicht einmal auf der verwandten italienischen Bühne ausgemittelt werden könnte, weswegen ihn auch Gozzi in einem Veneziano faceto umgeschaffen und ihn dem gemeinen venezianischen Dialect gegeben hat.
Dies alles hatten die Künstler, welche uns durch die Darstellung der drei Hauptcharaktere einen so hohen Genuß gewährten, richtig erwogen und aufgefaßt. Es ist nur Gerechtigkeit, wenn wir Madame Schirmer als einer seltenen Donna Diana den lautesten Dank aller Unbefangenen darbringen. Sie herrscht durch die ihr eigenthümliche Grazie und Naivetät in einem ganz andern Fache der Darstellung. Doch daß sie auch selbst schaffende und dichtende Künstlerin sey, bewieß sie durch das Durchführen dieser Rolle, in der sie mit dem genialen Dichter gleichsam wetteiferte. Anfangs wußten sich viele Zuschauer gar nicht in die auffallende Geberdung der sonst so holden Frau zu finden. Diese stolze Haltung des sich kaum leise verbeugenden Hauptes, dies Anschließen der übergeschlagenen Arme, dies herrische Meistern der vorlauten Cusinen zeichnete dem Auge, was die an die drei Prinzen edel, nicht hochmüthig gesprochene Rechtfertigungsrede dem Ohre vormalte, die unempfindliche, philosophirende Schöne, die das Wort Liebe verpönt und doch allgemeine Huldigung fordert. Man vergesse dabei nicht, daß sie durch die Zudringlichkeit der verliebten Prinzen, die sie in ihrem Zimmer gleichsam überfallen, schon sehr gereizt seyn muß. Von nun an entwickelt die Künstlerin mit der studirtesten Oekonomie in stets fortschreitender Steigerung einen Reichthum doppelter Kunst vom ersten Symptom der Zerstreuung an, dem ihr die ¦ Spitze bietenden Don Cesar gegenüber, und von der, mit Hohn auf den Lippen und in den Zügen des Gesichts ausgesprochenen, höchst behaglich gegebenen Aeußerungen der triumphirenden Selbstzuversicht, bis zu den stets neu motivirten Verzweifelungsscenen beim dreimal abgeschlagenen Sturm, und wieder das dreimalige, stets gewaltigere Aufraffen zum erneuerten Stolz und listigern Angriff, das in diesem schneller und schneller sich selbst vernichtenden Gegenkampf nur gesehen seyn will. Eine köstlichere Versinnbildung des alten Axiom der biblischen Psychologie: des Menschen Herz ist ein trotzig und verzagtes Ding! kann man schwerlich finden. Vorzüglich gelang das zweimalige Aufhorchen mit diesem Sonnenschein der Schadenfreude im Gesicht der Fängerin (man hat ja Coquette so zu übersetzen vorgschlagen), als sie den Don Cesar das erstemal im Netze hat, und das zweitemal, im 5ten Akt, ihn fragt: ihr liebt? Dabei ging sie doch nie über die Linien des Anstandes, wodurch auch in der heftigsten Aufwallung das wahrhaft Vornehme sich noch immer von dem Unerzogenen unterscheidet. Eine so eingebissene Lippe, ein so gebogener Hals, ein solches Fingerzucken gestattet, daß man, was Don Cesar mehrmals rühmt, auch noch im Zorne schön ist. Sie wirft sich nicht in den Stuhl, sie schmeißt die Laute nicht auf den Boden, sie weint, schluchzt nicht mit halberstickter Stimme, lauter Ausbrüche, die Gozzi selbst seiner Prinzipessa filosofa vorschreibt, vor welcher aber ein sicherer Tact unsere Künstlerin stets bewahren wird, mögen auch andere diese grellen, rembrandischen Schatten als gute Flamänder lieb haben. Der große Wendepunkt ihres Spiels tritt erst im 5ten Akt ein, wo die aus Eifersucht entwickelte Liebe, sich auch im gedämpften und wankenden Ton trefflich ankündigt. Unsicher war er schon früher geworden, als nach Vernichtung aller ihrer Künste in der unvergeßlichen Gartenscene sie den Don Cesar noch wegen seiner Zudringlichkeit zur Rede setzen will. Diese Verlegenheit und die minutenlange Betäubung, nachdem Cesar wirlich aus dem Garten entronnen ist, möchten wir höher anschlagen, als alle noch so leidenschaftliche Darstellungen des Gemüthskampfes, der leichter ist, aber mehr Effect macht. Am herrlichsten unter allen gesprochenen schien uns aber der Vers in der Scene, wo sie den Entschluß, sich Lauren zu entdecken, noch einmal zurückkämpft:
Bist Du verloren, Herz, so rette doch die Sitte.Bei einer solchen Darstellung mag man ohne Bedenken behaupten, die Kunst habe an ihrer Gränze gestanden. Wir können uns imposantere, und also auch vollendetere Formen im blitzenden Augenspiel, im Umfang der Stimme und mancher andern Aeußerlichkeit denken. Aber fänden wir auch dies an ihr, so würde dieselbe Künstlerin nicht noch in ganz andern Fächern der Liebling des Publikums seyn können. –
(Die Fortsetzung folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden: „Donna Diana“ von Josef Schreyvogel am 2. Oktober 1817
Entstehung
vor 11. Oktober 1817
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 244 (11. Oktober 1817), Bl. 2v