Carl Baermann sen. an Friedrich Wilhelm Jähns
München, Sonntag,
19. April 1868
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Mein lieber werther Freund!
Wohl haben Sie Recht mir Vorwürfe zu machen, und ich will es auch gar nicht versuchen mich zu entschuldigen, da fast alle meine Briefe mit solchen Entschuldigungen beginnen müßen. Meine Arbeit und Thätigkeit war aber in letzterer Zeit, trotz meines steten Nervenleidens so bedeutend, daß ich wenigstens lieber Freund Nachsicht und Verzeihung verdiene.
Ich will vor allen daher gleich all Ihre Fragen beantworten so weit als es mir möglich wurde.
- 1) Von einer Oper „Ines de Castro“ ist hier nichts bekannt. Aber ein Trauerspiel, „Ignes de Castro“ von Sooden findet sich im Verzeichniß*.
- 2) Athalia ist eine Oper vom Freiherrn von Poissl ehemaliger Hofmusik u. Hoftheater-Intendant, später Oberstkämmerer, und im vorigen Jahre in einem hohen Alter gestorben, er war ein intimer Freund Webers.
- 3) Von einen Herrn Sendtmer* konnte ich gar nichts erfahren
- 4) Völkerschlacht war nichts anderes als „Kampf u. Sieg“.
Neuere Fragen.
- 1) die Tackte in der Pollacca des Es dur Clarinett-Concertes 126 sind die radirten: Violin I und die später veränderten: in meinem Or[i]ginal ist alles radirt, und nichts durchstrichen.
- 2) Hinter dem Andante der Romanze dieses Concertes steht von Webers Hand: den 17t July in Starenberg comp: 1811.
- 3) der in dem F-moll Concert im Rondo nach der Fermate 125t eingefügte Tackt ebenfalls Fermate, ist eine General-Pause, ist aber nicht von Weber eingefügt, sondern mein Vater setzte diesen Tackt ein, damit der Dirigent hier eine längere Pause mache.
- 4) Der Titel des Esdur
Concertes ist genau so geschrieben wie ich ihn hier hersetze:
Gran Concerto in Eb ❘ per il ❘ Clarinetto Principale ❘ composto per uso ❘ Del Signore Enrico Baermann ❘ da ❘ Carlo Maria de Weber ❘ Opus 2 delle Concer te per il Clar: ❘ Monaco Mese Julio 1811 - 5) Die Adresse des Herrn Prof. Schafhäutl ist von Ihnen ganz richtig geschrieben.
- 6) Der Vorstellung des Abu Hassan konnte ich leider nicht beiwohnen, da ich auf Besuch bei meiner Frau u. Tochter in Stuttgart war, doch war die Aufnahme eine ziemlich laue von Seite des Publicums, und nur einige politische extemporirte Witze haben besonders gefallen. !! – *
Was Sie über die beiden Concerte und das Concertino sagen ist ganz vortrefflich und nicht beßer u. wahrer zu empfinden. Ich unterschreibe u. unterstreiche jedes Wort und könnte es mit besten Willen nicht beßer machen daher gibt es auch nichts zu kritisiren. Nur im Bezug auf dem Vorzug zwischen beiden Concerten, bin ich anderer Meinung. Ich ziehe das F-moll unbedingt dem Es-dur Concert vor. Ich finde es in Anlage u. Erfindung viel erhabner or[i]gineller, und Weberischer /: altbayerischer Ausdruck :/. Auch sind die Passagen frei von dem Einfluße der Zeit, welcher namentlich im ersten Allegro des Esdur Concertesnicht zu verkennen ist, ebenso die Pollacca als solche. In der damaligen Zeit stand die Pollacca im schönsten Flor u. Weber hat sich diesem Einfluße nicht entzogen. Betrachten Sie dagegen das Rondo im F-moll Concert, wie neu u. originell die Erfindung, wie lustig u. launig die Fortführung und nirgends eine Beeinflußung seines Genies, alles frisch u. frei aus Webers Brust. Zudem gehört wohl das Adagio zu dem F-moll Concert mit zu dem Schönsten was Weber componirte. Es ist dieß nicht meine Ansicht allein, mein Vater liebte es weit mehr als das Es dur Concert, und Mendelsohn fand es auch ohne allen Vergleich geistig bedeutender als das Es dur Concert. Auch hat Weber, so viel ich aus Vaters Mund noch weiß, dem F-moll Concert den Vorzug gegeben welcher zwar nicht maßgebend ist, da man sich über seine eigenen Werke oft selbst sehr täuscht. So jetzt können Sie mich kritisiren und schonen Sie mich nur nicht, da ich Ihnen so gerade weg wiedersprochen habe.
Ich hoffe daß bei Ihnen alles recht wohl u. gesund ist, und daß ich Sie recht
bald bei uns begrüßen kann, den[n] hoffentlich werden Sie Ihren
unterbrochenen Aufenthalt in Starenberg wieder diesen Sommer aufnehmen. Nun lieber
theurer Freund leben Sie recht
recht wohl u. glücklich u. verzeihen Sie Ihren Sie
dennoch recht herzlich liebenden
Freund
Carl
Baermann
München
den
19t April 1868
Apparat
Zusammenfassung
beantwortet sechs Fragen von Jähns: Oper Ines de Castro konnte er nicht ermitteln; Athalia ist eine Oper von Poißl; über einen Herrn Sendtmer konnte er nichts erfahren; Völkerschlacht ist identisch mit Kampf und Sieg; Rasuren im Es-Dur-Klarinetten-Konzert; grundsätzliche Bemerkungen zu beiden Konzerten Abu Hassan
Incipit
„Wohl haben Sie Recht mir Vorwürfe zu machen, und ich will es auch gar nicht versuchen“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. X, Nr. 25Quellenbeschreibung
- 1 DBl., 1 Bl. (5 b. S. o. Adr.)
- Am oberen Rand Bl. 1r von Jähns: „No. 5. München 19. April 1868. Empfangen. 20. Apr. 68 Berlin.“
Dazugehörige Textwiedergaben
-
„Ich habe das Schicksal stets lange Briefe zu schreiben …“. Der Brief-Nachlaß von Friedrich Wilhelm Jähns in der Staatsbibliothek zu Berlin – PK. Die Briefe Carl Baermanns an Friedrich Wilhelm Jähns, in: Weberiana. Mitteilungen der Internationalen Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft e. V., Heft 8 (1999), S. 24–25 ,
Einzelstellenerläuterung
-
„… 3) Von einen Herrn Sendtmer“Johann Jakob Sendtner (1784–1833), Schriftsteller und Redakteur der Münchner politischen Zeitung, lernte Weber 1811 in München kennen; vgl. TB 26. Juni, 10. und 11. September.
-
„… haben besonders gefallen. !! –“Die Vorstellung fand am 14. April 1868 im Hoftheater in München statt (vgl. Max Zenger, Geschichte der Münchener Oper, München 1923, S. 498).