Hans Michel Schletterer an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Vahrn b. Brixen am Eisack, Mittwoch, 27. August 1879
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27 Aug. 1879.
Hochverehrter Herr,
Verehrter Freund!
Wieder hat, u. leider wieder durch meine Schuld unser Briefwechsel eine lange Unterbrechung erlitten. Wenn ich mich entschuldigen wollte, müßte ich früher angeführte Gründe, Geschäftsüberbürdung u. übles Befinden, wiederholen; ich unterlasse es u. bitte nur zu denken, dass es weder Undankbarkeit noch Rücksichtslosigkeit war, die mich so lange schweigen ließen, sondern die Unmöglichkeit einen ruhigen, ungetrübten Moment zu einem Briefe zu gewinnen. Erst am 24. d. M. konnte ich mich in A. loslösen; seit gestern bin ich hier; und ists mein erstes Geschäft Ihnen zu schreiben u. mit Freude u. Genuß Ihre lieben Briefe, die mich hieher begleiteten, wieder zu lesen. Da der Arzt mein heftiges rheumatisches Leiden nur der durch Überarbeitung hervorgerufenen äußersten Erschöpfung u. Abspannung zuschreibt, glaubte er, dass ein warmes‡ Bad überflüssig sei | u. dass ein Aufenthalt in warmer, schöner Gegend u. völlige Ruhe mich auch herstellen würden. Ob er sich nicht täuscht? Immer haben mir warme Bäder gute Dienste geleistet; nur ist mir ein Badeaufenthalt, des ewigen Aus- u. Ankleidens wegen, unausstehlich. So bin ich denn in kurzen Tagesreisen Freitags bis Rosenheim, Samstags bis Innsbruck, Sonntags nach Brixen u. gestern hieher gekommen. Vahrn ist ein Nettes, ganz im herrlichsten Kastanienwald verstecktes Dorf in dem man sehr gut lebt u. nun will ich der Dinge harren, die da kommen werden. Gott gebe, dass ich Ihnen s. Z. gute Nachrichten geben kann.
Und nun, wie geht es Ihnen, verehrtester Herr? So oft es im Monat Juli regnete, dachte ich an Sie; leider regnete es fast alltäglich. Konnte da Ihre Kur Erfolg haben? Für Ihre freundlichen u. unausgesetzten Bemühungen in Sachen des Don Juan-Textes sage ich Ihnen wärmsten u. verbindlichsten Dank. Das vielgesuchte Buch war s. Z. in Berlin, es wird noch dort sein u. wird u. muß sich finden; das ist vorläufig, da ja auch der Bibliothekar freundlich gesinnt ist, genug. An ihn u. an H. Bitter werde ich selbst noch schreiben*.
|Ihr letzter Brief (den ich leider unter den mitgenommenen nicht finde) traf in A. ein, als ich eben im Begriffe war, nach München zu reisen; ich konnte ihn erst in der Eisenbahn lesen. Nun suchte ich gleich Herrn Her, den Besitzer der großen Textbüchersammlung auf, fand‡ traf‡ ihn aber, da er verreist war, nicht. Erst letzten Freitag konnte ich ihn sprechen. Leider fand sich ein Waldmächen bei ihm nicht. Rübezahltexte aber eine ganze Reihe aus älterer u. neuer Zeit, alle‡ aber meist‡ ohne Angabe des Verfassers, keiner, der auf Weber gedeutet hätte. Zwei Texte, die ziemlich weit zurückführen, haben folgende Titel:
Rübezahl der Berggeist am Riesengebirge in 4 Akten. Musik von V. F. Tuczeck. Hamb (o. J.) Introduktion: Blandine: „Jammervolles Abentheuer!“
Rübezahl. Große rom. Oper in 3 Aufzügen v. W. Marsano, Musik v. W. W. Würfel. Introduktion: Chor der Bauern: „Wir kommen als freundliche Gäste.“
Sollte eines dieser Bücher für Sie Interesse haben, so kann ich es Ihnen wohl verschaffen, da ich des Besitzers Vertrauen habe. Er ist sonst | mit seinen Heftchen entsetzlich ängstlich u. will namentlich keines der Post anvertrauen; ich müßte das Betreffende also persönlich bei ihm in Empfang nehmen die Sendung an Sie wagen‡ u. ebenso wieder zurück bringen.
Das P. Schmollbuch besitzt auch er nicht. Ich glaube Sie haben nun in dem von mir überschickten ein Unikum.
Außerordentlich würde michs freuen Ihnen ferner dienen zu können. So suche ich auch unablässig nach dem Cramerschen Romane; aber so viel ich selbst von diesem Schriftsteller besitze, so viel mir schon angeboten wurde, nie fand sich das gewünschte Buch. Zufall u. Glück müssen da günstig zusammenwirken.
Und nun werde ich diesen Brief, der Ihnen wärmsten Dank u. herzlichste Grüße bringt, selbst nach Brixen zur Post bringen. Finde ich wohl Nachricht bei meiner Rückkehr vor, nichts Geschäftliches, sondern nur eine Mittheilung über Ihr Befinden? Ich weiß nicht, wie lange ich noch hier bleibe; ich habe schlechtes Sitzfleisch.
Mich Ihrer ferneren Gewogenheit empfehlend, hochachtungsvoll ergebenst Dr. H.M.Schletterer.
Editorial
Summary
teilt mit, dass er bei dem Textbuchsammler Christian Her (1815–1892) in München war, aber vom Waldmädchen nichts gefunden habe, zu Rübezahl habe er eine ganze Reihe, zwei davon (von Tuczeck und Würfel) nennt er in seinem Brief, Hinweis auf Weber gibt es aber nicht, der Besitzer würde sie ihm leihen; sucht auch noch nach dem Cramerschen Roman bisher ohne Erfolg; die Ausgabe des Peter Schmoll von 1802, die er Jähns kürzlich geschenkt habe, fehlt sogar in der Her’schen Sammlung
Incipit
“Wieder hat u. leider wieder durch meine Schuld”
Responsibilities
- Übertragung
- Frank Ziegler