Korrespondenz-Nachrichten aus Mannheim, September 1810 (Teil 1 von 3)
Mannheim im September.
Meinem Ihnen jüngst gegebenen Versprechen gemäß, erhalten Sie hier eine Uebersicht von dem, was ich, seit ich hier in Mannheim wohne, zu hören bekam. Ohne mich an Vollständigkeit und Chronologie zu binden, fange ich an, bei der kleinen Oper Uthal, nach Ossian,* aus dem Französischen von St. Victor, frei bearbeitet von Hiemer, Musik von Mehül. Die Ankündigung dieser Oper spannte meine Aufmerksamkeit schon um der Neuheit der Instrumentirung willen, – bekanntlich ist sie durchaus für Bratschen statt der Violinen gesetzt, die Chöre der Barden mit Harfen begleitet, – meistens zwei Paar Horne, mit Pauke ohne Trompeten. Nach solchen Prämissen erwartete ich eine durchaus tragende finstre, meist melodiöse Musik, weniger Feuer als tief eingreifenden gewichtigen Charakter: – hierin wenigstens fand ich aber meine Erwartung getäuscht; das Ganze ist sehr wenig melodiös, die meisten Stücke sind rauschende Chöre der Krieger – Schlachten ec. – die Bratschen, statt ihren eigenthümlichen Vorzug vor den Violinen in gewichtigen Noten geltend machen zu können, schreiten oder springen größtentheils in gehackten Sechszehntheilen und rauschenden Läufen einher, – die höhern Blas-Instrumente, statt bloß zum Kontraste gegen die ganze übrige Instrumentirung gespart zu seyn, sindhierin meistens als Füll und Verstärkungs-Instrumente mit derselben vermischt, und fallen gegen dieselben zu sehr ab – kurz, meinem Gefühle nach hätte Mehül entweder zu dieser Musik eine andere Instrumentirung wählen, oder für diese Instrumentirung anders schreiben sollen. Den besten Beweis für diese Behauptung liefern gerade die gelungenen Stellen des Stückes selbst, namentlich die Introduktion*, Larghetto, blos von den tiefern Instrumenten vorgetragen, tiefe Empfindung malend, und mit einem das Gemüth des Zuhörers unwiderstehlich ergreifenden Anstriche romantischer Schwermuth ausgestattet.
Doch nur zu bald geht der Komponist in ein Allegro über, wo die Bratschen, um entweder auf das Getöse einer Schlacht, auf einen Gewittersturm, oder auf den Sturm in Malvina’s Herzen anzuspielen, beinahe unausgesetzt in gehackten Sechszehntheilen (im alla breve Takte) wüten müssen.
Malvina flieht in die Arme ihres Vaters Lathmor zurück, welchen ihr Gatte Uthal vom Throne gestoßen hatte. Duett Es dur*, worin beide ihre Empfindung aussprechen, mit Recitativen untermischt, erst Adagio, dann Andante, endlich mit einem kurzen Allegro schließend; ohne Zweifel das gelungenste Stück der ganzen Oper, voll zarter warmer Empfindung, und von Mlle. Frank* mit vielem Ausdruck im Gesange vorgetragen und durch Wahrheit des Spieles gehoben.
Unerwartet erscheint Fingals befreundetes Heer, um Lathmorn wieder auf den Thron zu setzen; von ferne hört man schon den Klang der Bardenharfen und den Gesang der Krieger; ein schön gehaltener Chor* nähert sich, erscheint endlich erst ganz zuletzt auf der Bühne, und schwört Uthaln Tod und Verderben. Die bisher genannten Stücke, nebst noch einer Hymne von vier Barden* mit Harfen Begleitung, und den beiden letzten Chören,* worin sich die Freude über Uthals und Lathmors Versöhnung ausspricht, sind die vorzüglichsten Stücke, und liefern die beste Beantwortung der Frage, wie man für eine solche Instrumentirung schreiben müsse, und wie Mehül durchgängig hätte schreiben sollen.
Um jedoch nicht geradezu ungerecht gegen den Komponisten zu seyn, muß ich gestehen, daß die hiesige Aufführung in der That nichts weniger als höchst vollkommen genannt werden konnte. Die hier so äußerst mager besetzten Chöre sind freilich nicht geeignet, ein Stück zu heben, dessen Haupt-Effekt in die Chöre gelegt ist. Die Soprane detoniren, die übrigen Stimmen sind kaum zu hören, einen vorschreienden Tenoristen ausgenommen, dessen krächzende Rabenstimme die Direktion schon längst hätte ausmerzen sollen; was aber das ärgste ist, es war nicht zu verkennen, daß die Orchester Parthieen inkorrekt ausgeschrieben, und – die Fehler unverbessert gelassen worden waren!
Lieber und werther als Mehüls schwülstiges Produkt ist mir ein anderes kleines Operettchen geworden, um der Naivetät des Sujets und der Lieblichkeit und Zweckmäßigkeit der Komposition willen. Es ist der Zitterschläger,* Text von Seidel, Musik vom hiesigen Kapellmeister Pet. Ritter. Die Stelle einer solennen Ouvertüre ersetzt ein ganz kurzes liebliches Pastoral, bei dessen Schlusse plötzlich der Klang der Schmiedehämmer hinter dem noch geschlossenen Vorhange überraschend Solo hervortönt; der Vorhang öffnet sich, und die Musik folgt den Rhythmen der Hämmer. Röschens Geliebter, ein Schmiedebursche, Raimund, ist schon seit einem halben Jahre auf und davon gelaufen, aus Eifersucht über einen Ritter, welcher nahe beim Dorfe, schwer verwundet, gefunden, und von Röschens Vater, dem Grobschmiede in sein Haus aufgenommen worden war. Alle bedauern Raimunds Verlust, am meisten aber das treue Röschen, welches seinen Kummer in einem schön gehaltenen Ariettchen* ausspricht. Ihr Vater bemüht sich, sie zu trösten, versichert sie: zu seiner Zeit sey es nicht Mode gewesen, so zu schmachten, wie es heut zu Tage üblich sey; er malt ihr das Bild der Liebesweise seiner Zeit, und der Ritter ist so gefällig mit einzustimmen. Dieß führt ein Duettchen* herbei, voll Originalität und unübertreffbarer Wahrheit des Charakters und Ausdruckes. Schon die ersten Paar Noten sind so überraschend charakteristisch, haben etwas so an’s altmodische, aber fröhliche und herzliche Erinnerndes, daß man gleich um ihrer Willen dem Ganzen gut werden, in der Folge aber bedauern muß, daß das Thema nicht oft genug wiederkehrt, wodurch dieses im Ganzen so auszeichnungswerthe Tonstück an Plan und Rundung vielleicht gewinnen würde. – Röschen und der Ritter gehen ab, und – Raimund, als Bergknappe und Zitterschläger verkleidet, kömmt, von Liebe und Eifersucht getrieben, singend zurück*. Doch der Schmied erkennt den Verkappten, faßt sogleich den Entschluß, ihn für seine Eifersucht zu bestrafen, und geht, um mit seinen Hausgenossen den Plan dazu zu entwerfen.
Der Zitterschläger, allein gelassen, kann endlich den Empfindungen den Lauf lassen, welche beim Wiedersehen der bekannten Fluren sich in ihm aufregen; eine kurze Arie* , voll lebendigen Ausdrucks.
Röschen, von ihrem Vater unterrichtet, erscheint, grüßt Raimunden gar freundlich, als kenne sie ihn nicht, läßt sich mit ihm in ein Gespräch ein, erzählt ihm ihre ehemalige Liebensgeschichte mit einem „gewissen Raimund;“ – der Mensch sey aber nicht klug gewesen, und aus Eifersucht davon gelaufen. Anfangs habe sie sich recht gekränkt darüber, – jetzt aber werde sie den Ritter heirathen, und so sey es ihr auch recht; sie freut sich sogar recht darauf, die Frau eines Ritters zu werden, und in einem Ariettchen* (der Ausdruck des Leichtsinnes selbst,) zählt sie ihm die Herrlichkeiten auf, in welchen sie als vornehme Dame zu schwimmen gedenkt. Der arme gefolterte Raimund bietet seine Beredsamkeit auf, sie von dieser leichtsinnigen Denkungsart zurückzubringen, singt ihr zu seiner Zitter die rührendste Romanze* , von einem Mädchen, welches Grafen und Könige verschmähte, und ihrem Geliebten treu blieb, mit dem Refrain:
allein Röschen bekehren weder Sentenzen noch gute Exempel, dies gibt Anlaß zu einem ziemlich leidenschaftlichen Duette* : das am meisten ausgeführte Stück des Ganzen, gut karakterisirt und von vielem Theater-Effekt – Röschen und ihr Vater nöthigen den armen gepeinigten Zitterschläger, noch länger bei ihnen zu bleiben, weil – heute noch Röschens Verlobung mit dem Ritter vollzogen werden, und er das Fest durch sein Spiel und Gesang verherrlichen soll. Himmel! das ist zu toll; – er will davon laufen – durch vorgehaltene glühende Zangen und andre gute Gründe wird er aber disponirt, noch zu bleiben (lebhaftes Quartett* ,) und muß sich zuletzt noch bequemen, die Brautkränze für die Brautleute aus Gefälligkeit selbst zu flechten, weil eben niemand da ist, der damit umzugehen versteht. – Die Gäste finden sich zur Hochzeit ein, Raimund in Todesnöthen soll singen – Röschen soll ihren Bräutigam mit dem Kranze schmücken, und – setzt ihn endlich dem nun genug bestraften Raimund auf. Allgemeines Entzücken und Schluß, worin sehr willkommen aus Röschens Munde die Versicherung wiederkehrt:
(Die Fortsetzung folgt)
Editorial
General Remark
Zuschreibung: Sigle
Kommentar: Über die UA von Peter Ritters Zitherschläger am 1. April 1810 in Mannheim hatte bereits C. M. v. Weber eine lobende Kritik (1810-V-05) für das Morgenblatt für gebildete Stände geschrieben, wo sie jedoch nicht veröffentlicht wurde, da bereits eine Kritik in Jg. 4, Nr. 92 (17. April 1810), S. 368, erschienen war, in der – wie in Webers eigenem Text – besonders die Leistungen von Ludwig Berger und Katharina Gervais hervorgehoben wurden.
Auf eine Formulierung in G. Webers Korrespondenz-Nachrichten aus Mannheim Teil 3 spielte C. M. v. Weber in seinem Brief vom 23. Oktober 1810 an G. Weber an: hör einmal Bruder Giusto du hast dich ja ganz an den Himmel verstiegen, und mir auch einen schönen Plaz da angewiesen, erlaube mir also wenigstens mich zu dem Zwillings Gestirn zu rechnen, und dich auch als meinen lieben Bruder mit hinauf nehmen zu dürfen.
Creation
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Tradition
Commentary
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“Uthal , nach Ossian,”Uthal von Etienne Nicolas Méhul wurde in der Übersetzung von Franz Carl Hiemer am 5. August 1810 zum ersten und einzigen Mal in Mannheim gegeben. Das Libretto von Jacques Maximilian Benjamin Bins de Saint-Victor basiert auf der Erzählung Berrathon aus den Ossian-Dichtungen von James Macpherson.
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“Introduktion”gemeint ist die Ouvertüre.
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“schön gehaltener Chor”Chor (Nr. 3) „Auch im Sturm sind wir beide“.
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“Hymne von vier Barden”Morceau d’ensemble (Nr. 4), darin: „Hymne au sommeil chanté par quatre Bardes“.
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“beiden letzten Chören ,”Chor (Nr. 8) „Laut juble Morven“ und Schlußchor (Nr. 9) „Welche Lust durchbebt die Seele“.
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“der Zitterschläger ,”Die Besprechung bezieht sich auf die Aufführung am 30. August 1810, zu der kein Theaterzettel erhalten ist, da ursprünglich Uthal gespielt werden sollte und der Zitherschläger nur wegen Unpäßlichkeit der Mlle. Frank (vgl. den Ankündigungszettel) ersatzweise aufgeführt wurde.
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“Ariettchen”Röschen (Nr. 1) „Auf den Abend Auen“.
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“Duettchen”Maidlingen und Bertram (Nr. 2) „Als die Mütter Mädchen waren“.
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“singend zurück”Raimund (Nr. 3) „Aus fernem Lande wandert er“.
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“kurze Arie”Raimund (Nr. 4) „Jede Stelle hält mich hier gefangen“.
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“Ariettchen”Röschen (Nr. 5) „Mit einem alleine ist trauriges Spiel“.
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“Romanze”Romanze des Raimund (Nr. 6) „Ritter Arno ging zu kämpfen“.
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“„Liebestreue Bricht kein deutsches Mädchenherz;“”Der Refrain; vgl. T. 19–24 u. ff.
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“Duette”Röschen und Raimund (Nr. 7) „Falsche, Betrügerin“.
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“Quartett”Röschen, Bertram, Maidlingen, Raimund (Nr. 8) .
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“„Liebestreue Bricht kein deutsches Mädchenherz.“”Vgl. T. 253–264 im Finale (Nr. 9).