Gottfried Weber: Nachrichten der Monate Oktober bis Dezember 1812 aus Mannheim
Nachrichten.
Mannheim. Ende Dec. Um den Raum Ihres Blattes möglichst haushälterisch zu benutzen, strebe ich auch im gegenwärtigen Berichte mehr nach Kürze, als nach Ausführlichkeit.
Die Oper lieferte auch in diesem Quartal gar wenig Bedeutendes, und wenig Neues: Méhul’s‡ Augenarzt, und Carlo Fioras, vom berühmten Violinisten und Musikdirector Ferdin. Fränzel in München*; endlich, zur Feyer der Geburt eines Erbgrossherzogs*, ein allegorisches Ballet: das Kind des Herkules, vom hiesigen Balletmeister Mengs, mit unbedeutender Musik*. – Fränzels Musik ist dem, viel Interesse erweckenden Stücke mit Sinn und Gefühl angepasst, und würde noch mehr auf das Publicum wirken, wäre letzteres nicht mit ähnlichen Süjets schon gewissermassen übersättigt. Um nicht parteyisch zu scheinen für die hiesige Kunstschule, welche sich Fränzels als eines ihrer achtungswerthesten Zöglinge rühmt, will Ref. mehr als dieses zum Lobe der Composition nicht sagen.
Die ständigen Winter-Concerte haben erst mit dem Christtage begonnen, und wurden mit der Beethovenschen Symphonie in B eröffnet, worauf der erste Theil der Haydnschen Schöpfung folgte.
In der Kirche wurde nichts Neues gehört, als ein Te Deum vom Einsender dieses, zur Geburtsfeyer eines Erbgrossherzogs von Baden* componirt.
Das Museum, welches sonst immer ein besonderes point d ’honneur darein setzt, jedes grössere Werk gleich beym Erscheinen zu geben, ist, was Oratorien und vollstimmige Cantaten betrift, im Laufe dieses Jahres überhaupt sehr zurückgeblieben, und konnte nicht anders, da es im Laufe des Jahres mehrere der thätigsten Mitglieder, besonders des weiblichen Singpersonals entbehrt, so dass schon seit länger als einem Jahr auch nicht ein einziges voll¦stimmiges grösseres Gesangstück aufgeführt werden konnte und es also bis jetzt noch immer unmöglich war, den hiesigen Kunstfreunden den Genuss der merkwürdigsten neuesten Producte unsrer vorzüglichsten Componisten zu verschaffen – namentlich von Beethovens Christus am Oelberg, von Meyer-Beers in Berlin so gefeyertem Oratorium, Gott und die Natur, von Michael Haydns u. Gänsbachers Requiem – Genüsse, welche also bis auf bald wiederkehrende bessere Zeiten verspart bleiben mögen.
Schönen Ersatz gewährten indessen manche weniger vollstimmige Gesangstücke, vorzüglich aber einige geistliche Lieder für Sopran, Alt, Tenor u. Bass, componirt v. Meyer-Beer; wahre Meisterstücke im Kleinen, sowol an Wohlklang und Lieblichkeit, als an harmonischem Reichthum, glücklich abgerundetem Stimmenfluss, und höchst ansprechender Auffassung des Sinnes der edlen Klopstockischen Texte. (Ich kann mir das Vergnügen nicht versagen, eine Abschrift des einen, mir besonders lieben Liedes, Ihnen hier mitzutheilen. *) Dass sie sämmtlich nicht blos die musikalisch Gebildetern lebhaft ansprachen, sondern auch allgemeinen und lauten Beyfall gewannen, beweiset bey prunklosen, blos vierstimmigen, geistlichen Gesängen gewiss viel für das Talent des Tonsetzers, und zugleich für den Kunstsinn des doch gemischten Auditoriums. Noch unbedingter wäre vielleicht dieser Beyfall gewesen, fände sich nicht zuweilen der Zusammenhang des Textes, den musikal. Figuren und Eintritten zu Liebe, etwas zerrissen – eine Nachlässigkeit, welche Ref. schon an einem andern Ort (No. 300 des Morgenblatts v. 1810) an einem grössern Werke desselben Meisters gerügt, und durch angeführte Textstellen belegt hat.
Von Instrumentalmusik im Museum waren neu oder so gut wie neu: die Ouverture aus Méhuls Blinden, ein Violinconcert, comp. und gespielt vom | talentvollen, jungen Hofmusiker, Nicola, v. Beethovens Violin-Quintett: als Sextuor für Saiten- und Blasinstrumente, und Carl Maria von Webers Symphonie aus C dur, die wir zwar schon vor einigen Jahren noch als Manuscript unter des Componisten eigner Direction hier aufführen hörten*, die aber nur jetzt erst im Stich erschienen ist. Sie wurde am 21sten Novembr. aufgeführt, und musste gleich am folgenden musik. Abende wiederholt werden.
Als vielversprechende angehende Instrumental-Concertisten verdienen besondere Erwähnung: der junge Carl von Erlach, Schüler des hiesigen, ganz vorzüglich geschickten Klavier-Lehrers, Meisenberger; vornämlich aber der junge Carl Ripfel, Elève des, durch die allg. mus. Zeit. der musikal. Welt schon rühmlich bekannten Kunstliebhabers, Alexander von Dusch.
Von fremden Künstlern, welche Mannheim berührten, nenne ich Ihnen Hrn. Molke vom weimarischen Hoftheater, Hrn. Gern, d. Vater, aus Berlin, und Hrn. und Mad. Gley von der hamburger Bühne. Hr. Molke zeichnet sich durch angenehme, aber schwache Tenorstimme, reine Intonation und gefälligen Vortrag, weniger durch Spiel und Anstand, vortheilhaft vor dem grössten Theile der Tenoristen aus, die wir seit einiger Zeit zu hören hier Gelegenheit hatten. Er gab im October Belmonte, Murney und Tamino. – Eine höchst willkommene Erinnerung an frühere, vorzüglich blühende Zeiten des hiesigen Kunstwesens war uns das Auftreten eines lieben Gastes, des trefflichen Bassisten Gern aus Berlin. Er gab ebenfalls im Octbr. den Wasserträger, den Abbé Lattaignant, den Leporello, und den Geronte (in Méhul’s Schatzgräber.) Die ungemeine Rundung und Fülle, und die, bey einer Bassstimme so gar seltne Weichheit und Zartheit seines Tones, zeichnen diesen so vorzüglichen Künstler noch immer aus; und schien uns auch seine Stimme gegen die Zeit ihrer schönsten Blüthe, während welcher sie auf unsrer Bühne glänzte, an Kraft und Derbheit verloren zu haben, so ersetzt die einnehmende Rundung und Weichheit ihres Timbre, die gute Schule, und edle Manier des Vortrags, den Mangel an jugendlicher Frische so gut, dass wir Hrn. G.s Besuch zu den erfreu¦lichsten Erscheinungen auf unserer Bühne rechnen. – Hr. und Mad. Gley konnten nicht zu Gastrollen gelangen, wovon die damals das Repertoire füllenden Ifflandschen und Gernschen Darstellungen einen Theil der Schuld trugen. Das Talent des Künstlerpaars, besonders der Mad. G., auch wieder eines Kindes hiesiger Stadt, war uns schon aus frühern Zeiten bekannt, und gewiss hätte auch unser Publicum sie jetzt mit vielem Interesse wieder gehört. Dies letztere war aber nur in Privatzirkeln, und in einer nicht öffentlichen Versammlung der musikal. Section des Museum vergönnt, wo Mad. G. so gefällig war, eine grosse Arie, und eine Polonaise (beyde Stücke leider von alter und geschmackloser Composition) vorzutragen. Eine rechte Bravour- und Parade-Sängerin! Grosse, hellklingende und durchdringende, doch angenehme Stimme, unerschöpflich und unermüdlich in Passagen, zu denen man ihr das Tempo nie rasch genug nehmen kann, dabey reine Intonation (geringe Abweichungen in der höchsten Höhe, und einen übel intonirten Triller auf zweygestr. e in der Polonaise aus D dur nicht anzuschlagen,) und nicht ohne Portament, doch ohne besondere Grazie im Cantabile; übrigens ganz ohne Deutlichkeit der Aussprache: denn von der italienischen Polonaise und der, ich glaube deutschen Arie vermochte ich nicht ein Wort zu verstehen. Sie und ihr, als braver Schauspieler bekannter Mann würden ohne Zweifel hier Engagement genommen haben, für Rollenfächer, welche eben hier unbesetzt waren und noch sind: es scheint aber, als sey man ihnen von Seiten der Direction nicht sehr gewogen gewesen. – – –
Gottfried Weber.Editorial
Summary
1813-Gottfried-01: Nachrichten der Monate Oktober bis Dezember 1813 aus Mannheim
Creation
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Tradition
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Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 15, Nr. 4 (27. Januar 1813), col. 57–60
Text Constitution
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“Méhul’s”sic!
Commentary
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“… Musikdirector Ferdin. Fränzel in München”Der Augenarzt hatte am 6. Dezember, Carlo Fioras am 26. Dezember 1812 Premiere.
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“… Feyer der Geburt eines Erbgrossherzogs”Großherzogin Stephanie von Baden wurde am 29. September 1812 von einem Sohn entbunden; der Thronanwärter starb jedoch bereits am 16. Oktober 1812.
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“… Geburtsfeyer eines Erbgrossherzogs von Baden”Der am 29. September 1812 geborene Erbprinz von Baden, der bereits im Oktober 1812 verstarb.
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“… eigner Direction hier aufführen hörten”Konzert am 9. März 1810 noch in der Uraufführungsfassung.