Friedrich Wilhelm Jähns to Robert Musiol in Röhrsdorf
Berlin, Monday, May 18, 1885

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Mein sehr lieber Freund!

Es ist Ihr letzter Brief (No. 123) bereits wieder über 4 Wochen von mir unbeantwortet. Weshalb? – Nun, Sie wissen eben so wie ich, worin solche Verschleppungen ihren Grund haben; wenn ich schweige, so weiß ich: an meinem treuen Gedenken liegt es niemals. Ich bin derselbe für Sie, so lange ich eben noch bin. –

Ihrer Notiz über die neue Silv.* werde ich wahrscheinlich vollkommen beitreten müssen, wenn ich den Clav. Auszug gründlich durchgearbeitet habe, den ich jetzt auch besitze*. So viel ich bisher ersah, ist, zu einem erschöpfenden Urtheil eine sehr strenge u. zugleich complicirte Arbeit nöthig, denn selbst für einen bereits mit Weber sehr | Bekannten ist die Struktur der vorliegenden Umstürzung doch der Art, dass ein jeder Tact controlirt werden muß, wobei zu constatiren ist, daß Langer sich mit Weber vielseitig ernst beschäftigt haben muß. Ich hatte bisher nur zu viel auf mir liegen und zu viel mit meinem mannigfaltigen körperlichen Leidwesen zu thun, daß ich das, was ich über die neue Silv. in meinem Supplement sagen will (gleich dem, was ich darin schon über die französische Silvana von Wilder u. Mestépès gesagt habe)* – daß ich dies bis nach meiner Badereise aufzuschieben gezwungen bin. –

Beigehend sende ich Ihnen, lieber Freund, das interessante Stück Missale mit dem aller|herzlichsten Danke zurück. Ich schäme mich, dass ich es so lange behalten, denn Sie sandten es mir am 26. Janr. Ich habe mir aber den ganzen vollständigen Titel u. die 3 Sätze Benedicamus Domino genauestens copirt. Ihre Notizen in jenem Brief sind mir außerdem von großem Werthe. Auch habe ich jetzt ein neuerdings erschienenes Werk auf der K. Bibl. über d. Gregorianische Periode) vorgenommen, aber nichts directes auf mein Benedicamus gefunden. Ich glaube nun auch, dass es von Weber herrührt. Wenn ich meine Ansicht aufgeschrieben, sende ich sie Ihnen u. bitte dann um die Ihrige. – Am Sonnabend sah ich hier den Abu Hassan mit Genuß bei lebhafter u. sehr warmer Aufnahme des Publikums*. Wenngleich namentlich | der Abu Hassan selbst (Hr. Lieban*) viel in Stimme u. Rede (beide sehr gewöhnlich) wünschen ließ, waren die Übrigen doch sehr gut*, namentlich das Orchester ganz vortrefflich. Es wurde zugleich sehr gut gespielt, dass man recht die Empfindung einer reinlichen wirklichen komischen Oper hatte*. –

Und jetzt wieder einmal Ade! Ehe ich ins Bad gehe, Ende Juni, schreibe ich nochmal an Sie! Möge es Ihnen u. den lieben Ihrigen wohl gehen! Treu
der Ihrige
F. W. Jähns.

Editorial

Summary

kommt nochmals auf die Silvana von Pasqué-Langer zurück und äußert seine Bedenken; glaubt, dass das Benedicamus doch von Weber herrühre, und berichtet, dass er eine sehr gute Aufführung des Abu Hassan gesehen habe

Incipit

Es ist Ihr letzter Brief (No. 123) bereits wieder

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Weberiana Cl. X, Nr. 1053 (J 129)

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)

Text Constitution

  • “zu”added above
  • “will”added above
  • “d.”added above
  • “viel”added above

Commentary

  • “… Notiz über die neue Silv.”Gemeint ist die Ausgabe in der Neubearbeitung von E. Pasqué und F. Langer.
  • “… den ich jetzt auch besitze”Gedruckter Klavierauszug bei P. J. Tonger in Köln, 1885 (VN: P. J. T. 2841); Exemplar von Jähns heute in D-B, Weberiana, Cl. IV A, Bd. 28a, Nr. 58a.
  • “… Wilder u. Mestépès gesagt habe)”Die französische Bearbeitung erlebte ihre Erstaufführung am 2. April 1872 im Théâtre-Lyrique (Athénée) in Paris; ein Textdruck war im selben Jahr bei E. et A. Girod in Paris erschienen, ebenso ein Klavierauszug (VN: E. & A. G. 5391.).
  • “… sehr warmer Aufnahme des Publikums”Neu einstudiert von Direktor Ferdinand von Strantz (1821–1909), Vorstellung im Opernhaus, gefolgt vom Ballett Sylvia von Léo Delibes (Erstaufführung in der Einstudierung des Ballettmeisters Charles Guillemin).
  • “… Abu Hassan selbst (Hr. Lieban”Julius Lieban (1857‒1940), seit 1883 als Tenorbuffo an der Berliner Hofoper.
  • “… die Übrigen doch sehr gut”Den Omar gab Franz Krolop (1839–1897); die Fatime wurde von einem Frl. Hof(f)mann gesungen, das lediglich von 1884 bis September 1886 an der Berliner Hofoper engagiert war.
  • “… reinlichen wirklichen komischen Oper hatte”Deutlich distanzierter ist die Beurteilung in der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen (Vossische Zeitung), Jg. 1885, Nr. 226 (18. Mai), Abend-Ausgabe, Beilage (Autoren-Kürzel G. E.).

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