Aufführungsbesprechung Pest: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 13. und 14. Mai 1822
Aus Pesth.
[…]
Endlich, nach langem, ungeduldigen Harren und Sehnen, nach einem
zweimonathlichen Einstudiren, nach mehreren Tag- und Nachtproben, und nachdem uns
schon einige Provinzial-Bühnen vorangingen, ward auch zu Pesth am 13. Mai
„der Freischütz“ (der Freischütze)
angekündigt, und das war ein Signal und eine Aufforderung für alle Kunstfreunde, dem
Schauspielhause in Masse zuzuströmen und solches zu überfüllen. – Der Gehalt dieser
Oper ist schon so vielseitig besprochen und beurtheilt worden, daß wir es für
überflüßig halten, noch Etwas hinzuzufügen. Wir begnügen uns nur zu melden, daß hier
einige Personen, die gerne für Kunstkenner gehalten werden wollen, den Werth dieser
Oper zwar nicht verkannten, aber doch nicht ganz nach ihrer überspannten Erwartung
entsprochen fanden. Diese Herren aber wagen nicht ihre Meinung laut werden zu lassen,
da sie die öffentliche Stimmung Wiens,
Berlins und Dresdens gegen sich haben, und überdieß gefährdet sind, als Rossinianer verschrien zu werden. Es mögen nun ¦
vielleicht schon Andere aus ähnlichen Motiven zu Nachbetereien verleitet worden seyn,
doch ziemt es einem Provinzial-Kritiker nicht, sich gegen
das Allgemeine aufzulehnen. – Das Buch dieser Oper (man folgte hier der
Berliner-Aufführung) ist nicht von der Art wie wir es dem bekannten poetischen
Talente des Dichters angemessen halten. Es scheint, als wenn Kind von der Regel, nach welcher fast
alle Operntexte beschaffen sind, keine Ausnahme machen wollte. Jedoch leuchten darin
einige Geistesfunken zum Ruhme des Dichters hervor. – Die Oper ward mit allem
möglichen Aufwand, Fleiße und mit Präcision executirt, und keine andere Produktion in
der Provinz kann der hiesigen an die Seite gesetzt werden. Den Lorbeer errang
unstreitig unser wackerer, nicht genug zu rühmende[r] Herr Wächter, Kaspar. Er faßte seinen Part
mit vieler Einsicht und Verständigkeit auf, und blieb sowohl im Gesange als im Spiel
dem Character treu. Er beurkundete mit seiner schönen und gerundeten Stimme einen
geübten, deklamatorischen Vortrag, und sprach besonders in dem Trinkliede an, das er
ganz im Geiste des Tonsetzers ausführte. Alles
was wir ihm noch empfehlen würden, wäre etwas Mäßigung, denn seine allzustarke
Anstrengung im ersten Acte wurde später fühlbar. Nächst ihm müssen wir Mad. Wächter, Annchen,
nennen. Diese junge Künstlerinn wird immer, und auf jeder Bühne eine interessante
Erscheinung seyn. Sie weiß jede ihrer Leistungen dergestalt mit Lieblichkeit und
Anmuth zu würzen, daß selbst Mittelmäßiges durch sie gehoben würde, geschweige denn
wenn sie so viel dankbares und treffliches als heute auszuführen hat. Mit der
heitersten Beweglichkeit, begleitet von den angenehmen Klängen ihrer Stimme, war sie
wie geschaffen zu ihrem Parte. Kaum wird je ihr Theil im ersten Duett mit Agatha
besser gesungen worden seyn, welchem die Romanze: „Einst träumte &c.“ nicht
viel nachstand. – Hr. Babnig, Max, sang
mit der an ihm gewohnten Kunstfertigkeit. Mad. Hornick, Agatha, zeigte vielen Eifer, und
leistete Alles was in ihren mittelmäßigen Kräften steht. Nur Herr August Demini, Fürst, that nur als ob er sänge, und wir
wundern uns, daß die Regie diesen Part nicht einem musikalischen Sänger ertheilte.
Zum Glück war er zu wenig beschäftigt, als daß er dem Ganzen hätte Eintrag thun
können. – Uebrigens that Alles nach Gebühr seine Schuldigkeit. Die verstärkten Chöre,
20 Männer, waren trefflich eingeübt, und konnten ihre Wirkung nicht verfehlen. Unser
braves Orchester legte bündige Proben ab, welche bedeutende Künstler es in seiner
Mitte zählet. – Auch auf die äußerliche Ausstattung dieser Oper ward viel gewendet,
und die Erscheinungen der Bergesschlucht bewährten die Geschicklichkeit unserer
Theatermahler und Maschinisten. Unser großes Theater biethet zu dergleichen
Vorstellungen ein bequemes Lokale dar. – Das Publikum nahm fast jedes Musikstück
beifällig auf, nicht minder aber auch das erwähnte Maschinenwesen. Am Schluße des
zweiten Aktes wurden der Decorateur, Herr Kerker und der
Maschinist, Herr Schmidt rauschend gerufen, welche Ehre
auch am Ende dem verdienstvollen Wächter wiederfuhr. – Am folgenden Tage war die Oper, bei
abermaligem vollen Hause mit gesteigertem Beifalle wiederhohlt.
[…]
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler
Überlieferung
-
Textzeuge: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 15, Nr. 63 (25. Mai 1822), S. 252