Aufführungsbesprechung Wien, Burgtheater: „Preciosa“ von Carl Maria von Weber, 1825
Wien. Gastrollen der Mad. Neumann. (Beschluß.)
Als Präciosa erschien Mad. Neumann zu wiederholten Mahlen* ¦ und nahm in dieser Rolle auch Abschied von den Wienern. Das Stück selbst ward auf unserm Hoftheater, wahrscheinlich, der | anmuthigen Künstlerinn zu Ehren, zum ersten Mahle gegeben; allein wir finden, außer der Weber ’schen Musik, so wenig Anziehendes in der ganz gewöhnlichen Dialogisirung und Scenirung einer bekannten Novelle, daß wir am Besten darüber schweigend hinausgehen, und uns sogleich an die Leistung der Hauptperson halten. Was aber ließe sich noch darüber sagen, was nicht bereits gesagt worden wäre? Der Verfasser der Piece selbst hat diese Rolle so reichlich mit Allem ausgestattet, was der sogenannte Geschmack des Publikums verlangt, daß selbst eine unbedeutende Schauspielerinn, wenn sie nur hübsch ist, darin gefallen müßte – um wie viel mehr also eine bedeutende, wie Mad. Neumann. Ist doch jedes Erscheinen der Präciosa mit der gehörigen Dosis von Effekt ausgestattet – sie mag nun kunstgerecht Verse zur Musikbegleitung recitiren, oder in mondheller Waldeinsamkeit von ihrer Liebe singen, oder mit kindlicher Offenheit die Reitze ihres Geliebten herzählen, oder mit der Flinte in der Hand den wilden Hauptmann zwingen. Wir brauchen daher kaum zu versichern, daß Mad. Neumann alle diese Situationen theils durch die Grazie eines fein nüancirten Spiels, theils durch das Feuer eines lebendigen Vortrages gehörig hervorhob und daß das Publikum es daher nicht übersah, bey der Stelle, wo Präciosa von den Talenten spricht, mit welchen sie die Natur begabt, durch laute Beyfallsbezeugungen ihr die sinnige und naheliegende Anwendung zu erkennen zu geben. Aber eines dürfen wir doch nicht verhehlen: daß es nähmlich Mad. Neumann eben so wenig, als irgend einer andern Darstellerinn dieser Rolle, welche wir bisher gesehen, gelungen sey, dem Charakter eine bestimmte Zeichnung oder Eigenthümlichkeit zu verleihen und also die Leerheit auszufüllen, deren traurige Wirkung den aufmerksamen Zuschauer, trotz alles äußern Flitters, in der Länge unwiderstehlich überfüllt. Dies kann übrigens als kein Tadel für die so mannigfach ausgezeichnete Künstlerinn genommen werden, sondern höchstens als ein Beweis, daß die darstellende Kunst, trotz ihrem Reichtum, es doch nicht vermag, in zwey entgegengesetzten Richtungen gleich wirksam zu erscheinen, nämlich nach Außen hin zu glänzen, und dem hohlen Aeußern innern Gehalt zu geben. – Unter den übrigen Mitwirkenden, die überhaupt wieder ein vortreffliches Ensemble bildeten, nennen wir Mad. Koberwein* als Zigeunerinn, welche Rolle von dieser vielseitigen Schauspielerinn mit reger Lebendigkeit und mit einem Anstrich vom Phantastischen gegeben wurde, der hier ganz am rechten Platze war. Eben so zeichnete sich Hr. Heurteur als Hauptmann aus, und der Vortrag jener gewissen Deklamationsstelle, die sich übrigens als ein seltsames Prachtstück an diesem Charakter ausnimmt, konnte nicht richtiger und gehaltner erwartet werden. Hr. Kettel gab den jungen Verliebten mit Feuer und Wirksamkeit. Köstlich war auch Hr. Wilhelmi als Bramarbas. – Die Musikstücke wurden mit vieler Präcision durchgeführt, wie sich denn dieses unter so vortrefflicher Leitung gar nicht anders erwarten ließ, und auch die äußere Ausstattung war so prächtig und dabey so geschmackvoll, daß nichts zu wünschen übrig blieb. Besonders geistreich schien uns die Gruppirung und Anordnung des Zigeunerzuges im zweiten Acte, die von einem ganz eigenen Leben durchweht wurde, das wir auf andern Bühnen, die sich Aehnliches doch zum Hauptzweck gestellt haben, bisher vermißten. – Ein ungemein zahlreiches Publikum wohnte den bisherigen Darstellungen dieses Stückes bey, und überströmte besonders in der letzten die begabte Künstlerinn, um deren Willen es in die Scene ging, mit den lautesten untrüglichsten Beyfallsbezeugungen. Mad. Neumann schied mit innigen Worten des Dankes von ihren zahlreichen Freunden und Bewunderern.
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Amiryan-Stein, Aida
Überlieferung
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Textzeuge: Wiener allgemeine Theaterzeitung, Jg. 18, Nr. 82 (9. Juli 1825), S. 338–339
Einzelstellenerläuterung
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„… Mad. Neumann zu wiederholten Mahlen“In Wien konnte nach dem Theater an der Wien (Premiere 5. Juli 1823) und dem Theater an der Josephstadt (Premiere 31. Juli 1824) nun auch das Burgtheater das Werk in sein Repertoire aufnehmen; in den ersten vier Vorstellungen (22., 24., 26. und 29. Juni 1825) spielte Amalie Neumann als Gast die Titelpartie. Erst am 4. August übernahm Sophie Müller als Ensemblemitglied die Rolle, die sie zuvor am 16. und 24. Juli bereits in Graz gespielt hatte, vgl. die dortigen Berichte.
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„… bildeten, nennen wir Mad. Koberwein“Beim Lithographischen Institut Wien erschien ein Rollenbildnis von Mad. Koberwein als Viarda (Lithographie von Anton Wagner).