Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: Juni 1816
Theater.
Prag. – Den 12. Juny: Talentsproben, Lustspiel in einem Aufzuge von Gubitz nach dem Beruf von Hell. Dlle. Ritzenfeld aus Berlin gab die Minna als Gastrolle. Was diese neue Bearbeitung betrifft, so können wir sie leider nur eine Verböserung nennen, denn Herr G. hat selbes um einige derbe Inconsequenzen bereichert, und wo er von dem alten Stück – welches wir jedoch keineswegs unter die classischen zählen wollen – abweicht, da ist die Wirkung um ein Bedeutendes vermindert. – Dlle. Ritzenfeld hat eine sehr günstige Gestalt und ist durchaus nicht ohne Talent für das Komische; nur wäre ihr anzurathen, sich nicht so sehr der Copie hinzugeben, denn wir glaubten in manchen Momenten – zumahl in der Schauspielerinn, die ihr übrigens so wohl gelang, daß sie hervorgerufen wurde – Mad. Brede wieder zu hören und zu sehen. Der Liebhaber, den Herr G. eingeflickt hat, ist wohl eine der unglücklichsten und undankbarsten Rollen, welche das teutsche Drama besitzt, und wir bedauerten Herrn Löwe herzlich, daß er selbe in sein Gedächtniß aufnehmen mußte.
Den 15.: Vaterliebe, Lustspiel in 5 Aufzügen von Ziegler. Der Verfasser hat nicht für gut befunden, anzuzeigen, daß dieß Stück eigentlich die Bearbeitung eines ältern englischen Lustspiels ist, obschon jenes so manchen Vorwurf von Unwahrscheinlichkeiten und verzeichneten Charakteren von ihm genommen haben würde. Das vortreffliche Spiel aller Mitglieder unserer Bühne, vor allem aber des Herrn Liebich und der Dlle. Brand, welche beyde in ihren Rollen ein vollendetes Kunstganzes darstellten, verschaffte dem Stücke eine sehr glänzende Aufnahme, und es wurden, nach der beliebten neuen Mode des Prager Parterres uns – der Gallerie, welche auch ein Wort mitspricht – Alle hervorgerufen!!!
Den 19.: Die beschämte Eifersucht, Lustspiel in 5 Aufzügen von Mad. Weissenthurn, und: Das Landhaus an der Heerstraße, von Kotzebue. Dlle. Ritzenfeld gab im ersten Stück die Comtesse, im zweyten das Lorchen als Gastrollen, und in Bezug auf jene müssen wir unsern letzten Bemerkungen noch hinzufügen, daß ihr Anstand, selbst für die munterste Dame von Stande, etwas zu frey war. In der zweyten Rolle bildete die böhmische Kleidung und die märkische Sprache der Wäscherinn einen sonderbaren Contrast.
Den 25[.]: Der Fremde, Lustspiel in 5 Aufzügen von Iffland. Mad. Costenoble vom Hamburger Theater gab die Mad. Fresen als erste Gastrolle, und zeigte sich uns als denkende und geübte Künstlerinn; nur scheint es uns, als sey sie oft etwas zu lebhaft und jugendlich in Ton und Bewegungen gewesen. Die übrige Besetzung der Rollen war die gewöhnliche, mit Ausnahme der jungen Mad. Fresen, in welcher Mad. Sonntag, seit ihren Gastrollen zum ersten Mahl wieder in einer muntern Rolle erschien, und uns aufs Glänzendste bewies, welch ein reiches Talent bisher vor uns noch zum Theil verborgen gewesen. Mit echter Laune ver¦bindet diese schätzbare Künstlerinn eine sittliche Zartheit, und weicht – was in launigen Rollen oft den besten Schauspielerinnen Teutschlands geschieht – nie von der Linie der delicatesten Weiblichkeit.
Den 27.: Der Geitzige, Lustspiel in 4 Aufzügen nach Moliere von Zschocke. – Herr Costenoble, dem ein so großer Nahme voraus gegangen war, gab den Kammerrath Fegesack als erste Gastrolle, und bewies schon in dieser, daß dießmahl Miß Fama nicht zu viel versprochen hat. Tiefes und anhaltendes Studium seiner Kunst scheint ihn dahin gebracht zu haben, daß er auch den schwierigsten Charakter mit Sicherheit auffaßt und in allen Momenten mit der höchsten Consequenz festhält. Bey ihm ist alles mit der höchsten Kunst berechnet, und erscheint gleichwohl so ungezwungen und nothwendig, daß, indem die Lebhaftigkeit seiner Darstellung uns auf das schnellste mit dem Charakter bekannt macht, wir nicht mehr begreifen, wie er wohl noch anders aufzugreifen möglich wäre. Noch ein nicht geringer Vorzug des Herrn C. ist, daß er mit der größten Sicherheit sich auf der Linie des Echtkomischen zu erhalten weiß, und nie weder matt wird, noch durch allzugrell aufgetragene Farben um den Beyfall des großen Haufens buhlt. Die Scene der Verzweiflung um die verlorne Cassette, welche selbst die besten Schauspieler meist etwas grell und oft im Shakespearschen Wahnsinn darstellen, hielt er – was im Grunde keine kleine Aufgabe ist – durchaus komisch, und erntete so reichen Beyfall, daß er schon nach dem dritten und vierten Acte einstimmig hervorgerufen wurde. Nach dem Schlusse des Stückes riefen abermahls einige Stimmen seinen Nahmen, aber die zischenden Schlangen unterdrückten den Ruf. Warum? – Ja das wäre wohl an jene Herren selbst eine schwer zu beantwortende Frage.
[…]
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Jakob, Charlene
Überlieferung
-
Textzeuge: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 8, Nr. 87 (20. Juli 1816), S. 360