Carl Maria Webers Oberon (Teil 3/8)
Carl Maria Weber’s Oberon.
Fortsetzung.
Vergleichen wir nun, um zu zeigen, wie vielleicht nie ein Stoff ärmlicher, ungeschickter und unmusikalischer zu einem Operntexte verarbeitet worden, nur einige Einzelnheiten des grossen Vorwurfs mit denen in der Oper. Die Hauptmomente, die in der Handlung selbst, – welche das Wielandische Gedicht* hergiebt, während Shakespears Sommernachtstraum den Schmuck, so zu sagen, in dem schon aufs höchste plastisch dargestellten Elfenwesen darbietet – liegen, und welche die musikalischen Glanzpunkte des Werkes hergeben mussten, die leidenschaftlichsten Verhältnisse, die herrlichsten Contraste zur Entwickelung dramatischer und charakteristischer Musik hergebend, sind
1) die grosse Entscheidungsscene, wo Huon in den Saal dringt, dem Kaiser zu höhnen, und die Rezia zu entführen. Welche Scene für eine kräftige Handlung in einem herrlichen Wechselfinale mit Chören und den einzelnen Personen! – Zuerst die Anstalten zur Vermählung in Feierlichkeiten, Tänzen und Chören, deren Freudigkeit contrastirend mit Rezia’s dazwischen dringender Verzweiflung, dem gebietenden Wort des Sultans, und dem Trotz Babekans: – dann das Eindringen Huons; nun ein erneuter Wechselkampf zwischen Huons und Rezia’s leidenschaftlichem Finden und Freude, das in abgebrochenen Tönen vielleicht sich ausdrückende sprachlose Erstaunen des Chor’s, des Sultans u. s. w. nun immer mehr steigerndes Leben im Trotz, Wüthen, wenn Huon die That an Babekan vollbracht; – mit den furchtbarsten Tönen und lebendigsten Gebehrden konnte da alles auf ihn eindringen, und hier ergiebt sich, wie fast fruchtbarer und mannigfaltiger der Stoff gewesen wäre, als selbst im herrlichen ersten Finale des Don Juan, ein glänzendes herrliches Gegenstück, einen unendlichen Triumpf der dramatischen Musik, die höchste, lebendigste Handlung, die je das Drama zu bieten vermochte, darzustellen! Und wie unendlich originell, ergreifend, contrastirend mit dem Vorbilde hätte der Schluss ¦ sein müssen, wenn nun kurz nach dem Toben, Leben der Musik und der Handlung, in Tönen der Wuth, des Trotzes, der Drohung, Verzweiflung, Liebe und des Muthes – sogleich die feierlichste Erstarrung nach den Tönen des Zorns eintrat, die Töne verstummten, die Gebehrden versteinerten – und statt dass im Don Juan der Held mit einem Pistolenschuss durch die Masse durchstürzt, langsam, feierlich und schweigend Huon und Rezia durch die erstarrte Menge durchschritte! –
Was haben wir dagegen in der Oper? Ein Paar Worte des Sultans mit Babekan – ein Ballet – etwas Schwerdtgeklirre; kaum einen kleinen Männer-Chor zum Preise des Sultans; auf das Zeichen des Sultans ein Eindringen seiner Leute ohne Wort und Ton – ein paar Witze Scherasmin’s – und alles geht in ein Paar Minuten matt, klang- und sanglos in einem Theatercoup an uns vorüber. – Die Verblendung des Dichters, und nach ihm des Componisten, wenn das alles nicht absichtlich so matt gelassen wäre, müsste an dieser Stelle fast unbegreiflich sein; welches ewige Handeln, und doch ohne Fortschreiten der eigentlichen Handlung, welchen natürlichen Stillstand und doch voller Leben, Charakter, Contrast und Leidenschaft, die oben aufgestellten Bedingungen für die Oper, bot der Stoff hier dar! – Wollte vielleicht der Componist, der den Dichter doch in manchen andern Stellen ergänzte und verbesserte, absichtlich die Stelle vorübergehen lassen, um nicht an Mozart zu erinnern, oder nicht mit ihm in die Schranken zu treten? – Er musste ja aber dann doch erkennen, welche unendliche Verschiedenheit sein Stoff von dem Mozartischen darböte, der Einem trotzenden Manne mit seinem furchtsamen Diener bloss eine Masse erzürnter Leute gegenüberzustellen, die Musik also bloss furchtbar erscheinen zu lassen hatte, und diese Furchtbarkeit nur durch die schöne Ironie des Muth aussprechenden, und doch sich hinter seinen Herrn verkriechenden Leporello milderte; aber Weber hatte ja die liebende Rezia, die Fatime, den Scherasmin, alle im freundlichen Wechselverhältniss mit Huon jener andern Masse gegenüber zu stellen, wodurch das an sich schon verschiedene Ganze, nothwendig eine andere Farbe dazu bekommen musste. ¦
Da nicht anzunehmen ist, dass Webers durchdringendem Verstandesblicke alles dies entgangen sein sollte, ist durchaus nur zu vermuthen, dass er es absichtlich vorüber gehen liess, entweder aus eigensinnigem Künstlerstolz, oder aus einem Gefühl von Schwäche. Dass aber in beiden Fällen sein Werk unendlich verlieren musste, das hätte ihm wohl nicht entgehen sollen; denn ein richtiges Gefühl musste ihm zugleich sagen, dass eine rein bloss schreckliche, mit der Elfenruhe und Sanftheit des Ganzen nicht verträgliche, Spektakelmusik gar nicht von Nöthen war, da er theils die schon oben angegebenen sanften milden Elemente in der Rezia u.s.w. zur Milderung hatte, theils das Drohende, Ernste nur bis zu einem gewissen Punkte zu steigern brauchte, da an dieser Stelle ihm ja ein so motivirter Deus ex machina, das Horn, augenblicklich demselben Einhalt zu thun, zu Gebote stand. Und im Nothfall wäre an dieser entscheidenen Stelle, wo der mit dem Stoff vertraute Zuschauer, aufs Aeusserste gespannt, durchaus Leben, Leidenschaft u. s. w. erwartet, ein Spontinischer ja fast Rossinischer Notensturm, der wenigstens angedeutet hätte was hieher gehört, wenn auch nicht schön und immer tadelhaft, doch erträglicher und befriedigender gewesen, als jener matte Theatergebehrdencoup; das grösste Missbehagen erfasst uns, wenn wir fühlen, dass der Musik, und nur der Musik allein, nicht dem redenden Drama, hier das Höchste möglich gewesen wäre, und nun sehen dass sie gar nichts gethan.
Die zweite von dem Stoffe nothwendig dargebotene Stelle ist die Scene zwischen Almansor und Rezia. Diese Stelle musste besonders von der Musik und dem Dichter benutzt werden, die reine, edle, jede Prüfung bestehende Liebe der Rezia anscheinlich zu machen, um die sich ja die Entscheidung des ganzen dreht, und welche nebst Huons, eben der erotische Theil der Oper ist, weil gerade der andere Ort jener Prüfung, der Aufenthalt auf der wüsten Insel nothwendig bloss für die beschreibende Darstellung des Epos sich eignet, da dort ein reines Stillstehen aller Handlung, ein monotoneres ohne contrastirendes Leben sich darstellendes Verhältniss ist, in der Ausführung eigentlich eine idyl¦lische Episode in dem Epos, allein zu einem bloss idyllischen, beschaulichen reflektirenden Gemählde für sich zu benutzen. Wir wollen später darauf wieder zurück kommen. Nur so viel hier, dass die eigentliche Prüfung durch Handeln, also die dramatisch musikalische, an dieser Stelle ist, auf der Insel die Prüfung durch Leiden, Verharren, Ausdauern Statt findet, Umstände, die der dramatischen Wirksamkeit offenbar hemmend sind. Ein leidenschaftliches Kämpfen zwischen dem Drängen, Drohen, Versprechen Almansors mit der Treue, Abscheu, Standhaftigkeit der Rezia hätte hier ein wunderschönes Duett zwischen Bass oder Bariton um so mehr, als seine tiefen Töne im Drohen, so wie die weichen mittleren im Versprechen, Locken und Drängen hätten in Anspruch genommen werden können. Aber dem Dichter hat es gefallen, Almansorn nicht singen zu lassen, ihn, dem so herrlich die Haupt-Bassparthie und dem Sultan die andere hätte zu Theil werden können! – So geht nothwendig alle dramatische Musik verloren; Rezia singt allein eine Arie, dann besprechen sich beide miteinander. (Fortsetzung folgt.)
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Schreiter, Solveig
Überlieferung
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Textzeuge: Münchener allgemeine Musik-Zeitung, Jg. 1, Nr. 44 (2. August 1828), Sp. 698–701
Einzelstellenerläuterung
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„… – welche das Wielandische Gedicht“Christoph Martin Wielands Epos Oberon. Ein romantisches Heldengedicht, erstmals erschienen 1780 in vierzehn Gesängen im ersten Vierteljahresheft des Teutschen Merkur; im gleichen Jahr erschien auch eine Einzelausgabe: Oberon, ein Gedicht in 14 Gesängen, Frankfurt und Leipzig 1780; 2. Fassung 1785 in zwölf Gesängen: Die Sieben ersten Gesänge des Oberon sowie Die Fünf Lezten Gesänge des Oberon (Wielands auserlesene Gedichte, Bd. 3 und 4), Leipzig 1785.