Besprechung der Erstaufführung des Oberon an der Hofoper in Wien (4. Februar 1829)

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K. K. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore.

Der für die Oper viel zu früh verblichene Weber hinterließ der Nachwelt in diesem Fache drey große Werke, die seine Unsterblichkeit verbürgen. Ohne mit enthusiastischer Einseitigkeit in unbedingte Lobeserhebungen sich ergießen zu wollen, muß der Freund der Tonkunst dennoch ihm den Lorbeer reichen, wenn er auch für seine Mängel und Fehler nicht blind ist. Ueberall verbindet Weber in seinen Operncompositionen den hohen Schwung der Fantasie mit besonnener Anordnung. Seine Melodien sind zum Herzen sprechend, seine Textur ist kunstreich. Er war ein tief fühlender, aber auch zugleich ein tiefsinniger Tondichter. Wenig Opern haben eine so allgemeine Anerkennung gefunden, als sein »Freyschütze,« wenig Opern-Compositionen sind so tief gedacht, als seine »Euryanthe,« wenig so grandios und sentimental zu gleicher Zeit, als sein »Oberon.« Weber besaß eine unerschöpfliche Erfingungsgabe, eine seltene Fertigkeit in der Behandlung der reichsten Kunst-Mittel, er vermochte, was er wollte, und er wollte sehr viel! hierin versah er es vielleicht, und hierin liegt der Grund, warum weder seine »Euryanthe« noch sein »Oberon« ein so günstiges und williges Publikum finden können, als sein »Freyschütze.«

Im »Freyschützen« ist die Melodie noch vorherrschend, doch zeigte Weber schon in diesem Werke die Neigung, den Charakter der musikalischen Situation durch die harmonischen Verhältnisse zu bezeichnen, aber in seinen späteren Arbeiten überließ er sich gänzlich diesem Hange, und entsagte dadurch dem schönen Loose ein Volksdichter in Tönen zu seyn, wozu ihn der »Freyschütze« berufen hatte.

Im »Freyschützen« hatte ihm das äußerst gelungene Opernbuch von Kind eine Bahn eröffnet, auf der er zwischen Blumengefilden und Schauerklüften eine geebnete Straße fand, auf der mit aller Behaglichkeit die aufhorchende Menge dem Sänger nachfolgen konnte. Bey weitem schwieriger und undankbarer war die Bearbeitung der beyden andern Opern-Bücher. Die »Euryanthe« entbehret des erkennbaren Zusammenhanges und des In¦teresse der Handlung, bey sehr schönen, melodiösen Versen und guten musikalischen Situationen; im »Oberon« ist der Stoff in der dramatischen Behandlung zu gehäuft, der Inhalt in seiner Form zu gewöhnlich um ansprechen zu können. Ein fahrender Ritter, sein materieller Knappe, eine verliebte Prinzessin und ihre naive Vertraute sind Personen, die in allen Textbüchern unserer Vorstadt-Singspiele sich seit Jahren herumtreiben, überdem ist Wielands »Oberon« zu viel gelesen, um daraus einen Operntext zu bilden, der durch den Reitz der dramatischen Ueberraschung gewinnen könnte. Die Situationen des Buches sind oft sehr musikalisch, aber um ihnen die musikalische Seite abzugewinnen, muß man sie mit poetischem Sinn auffassen; dieser Sinn muß aber dießmahl ins Opernhaus mitgebracht werden, denn im Verlauf des Stückes will er sich nur bey Wenigen einstellen, da die Dichtung ihre Wirksamkeit auf die Voraussetzung des Feen-Wesens, nicht aber in dem Gemüthe unmittelbar begründet, wie dieß so herrlich dem geistreichen Kind gelang.

Nachdem Weber durch den »Freyschütz« seiner ganzen Kraft bewußt wurde, unternahm er das rühmliche Wagestück, den Hörer zu sich herauf zu locken auf eine Höhe des Standpunktes, von dem aus freylich eine entzückende Ein- und Aussicht über das ganze Werk sich aufthut, zu dem sich aber ein großes Publikum in unseren Tagen keineswegs aufzuschwingen vermag. Wer in den Zauberkreis des Tondichters getreten ist, dem erscheinen die großen Massen, mit ihren zierlichen Einzelnheiten als eine herrliche, weit ausgebreitete Landschaft, aber in der Nähe von separirten Parthien festgehalten, wird der Hörer von dem auf ihn einströmenden Reichthum erdrückt.

Mehr oder weniger ist dieß auch bey »Oberon« der Fall. – Diese Oper ist in einem großartigen Style gehalten. Edle Melodien winden sich durch die reiche Mannigfaltigkeit des Ganzen hin, allein oft werden sie durch die sich vordrängenden Harmonien für das ungeübtere Ohr zu sehr in den Hintergrund zurück gedrängt. Die musikalische Charakteristik der Personen und der Sitationen ist auf das consequenteste durchgeführt. Wie reitzend ist sogleich die Introduktion, wie angenehm für das Ohr und zum Herzen dringend ist die große Scene zwischen Oberon, Hüon und Scherasmin, Oberons Arie, die Arie der Rezia aus C-dur, Hüons große Arie nicht zu vergessen, sodann das Quartett von Hüon, Rezia, Fatime und Scherasmin, die große Arie der Rezia aus Es-dur mit ihrem Recitative aus C-dur, der Chor der Nymphen, das Duett zwischen Scherasmin und Fatime, Puks Beschwörung der Geister u. s. w. Von den angeführten Nummern wird Niemand läugnen, daß sie höchst angenehm seyen, und dennoch wollen Viele dieser Oper Melodie absprechen; warum? vielleicht nur deßwegen, weil sie gewohnt sind, gleichsam nackte Melodien ohne alle harmonische Drapperien zu gewahren; diese Kunstfreunde lieben die bekleideten Grazien nicht.

Es liegt so viel Großes und Edles in diesem Werke Webers, daß hieraus schon, ohne Rücksicht auf den Erfolg den Theater-Directionen Deutschlands wenigstens, dem Vaterlande der ernsteren Kunst, die ästhetische Verpflichtung obliegt, sie zur Aufführung zu bringen, denn Viele werden sich gewiß daran erlaben, Viele werden daraus lernen. Bey der von unserer Direktion auf das eifrigste zu Stande gebrachten Darstellung war nichts gespart, um die Aufführung dem Werke anzupassen. Anfänglich war Hüon mit Hrn. Holzmiller besetzt, später sodann mit Hrn. Schuster, anfänglich gab den Oberon Dem. Achten, später übernahm ihn Hr. Holzmiller, die Fatime sang zuerst Dem. Lindenhein, | später, ihrer Erkrankung wegen, Dem. Achten. Dem. Hartmeier behielt die Rezia; Hr. Hölzel den Scherasmin.

Obwohl alle Mitwirkenden ihr Bestes thaten, so ist dennoch nicht zu läugnen, daß zur Aufführung einer so schwierigen Composition geübte Sänger, mit großen, kräftigen Stimmen und vieler Routine im dramatischen Gesange gehören. Unsere sind brav, haben gute, klingende Stimmen, aber sie sind meistens Neulinge auf der Bühne. Die Oper war nicht anders zu besetzen, aber wie lange wird es dauern, so werden uns fremde Bühnen um manche unsrer Anfänger beneiden, und manche derselben werden auf manchen Bühnen noch als Sterne der ersten Größe glänzen, wie wir dieses schon so oft erlebten.

Das Textbuch enthält den ganzen Hauptinhalt des Wielandschen »Oberon,« ist aber wie gesagt keineswegs eine gelungene Bearbeitung. Manches wird derjenige kaum recht in Zuhammenhang bringen können, der Wielands »Oberon« nicht gelesen hat.

Unter anderem ist ein geographischer Schnitzer drollig: der Emir zu Tunis befiehlt seine Gattinn in den Tigris zu werfen, die arme Frau muß also noch vor ihrem Tode eine Reise aus Afrika nach Asien machen.

Durch die neue Besetzung hat die Oper auffallend gewonnen[.] Hr. Schuster zeigte auch in dieser Oper als Hüon bedeutende Fortschritte. Dem. Hartmeier macht mit Glück ihre schöne starke Stimme geltend. Hrn. Holzmillers angenehme Tenorstimme verspricht viel für die Folge, und Dem. Achten sang die Fatime höchst lobenswerth; auch Hr. Hölzel verdient als Scherasmin mit Lob angeführt zu werden, Mad. Waldmüller gab den Puk mit kräftiger, ausdauernder Stimme.

Die eingewebten Tänze zieren das Ganze und die Dekorationen sind sehr schön. Der fernere Besuch dieser Oper wird zeigen, ob die schönen Gestangsstücke in derselben anziehend genug waren, die Mängel des Textes vergessen zu machen.

Apparat

Zusammenfassung

über die EA des „Oberon“ an der Hofoper in Wien

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Jg. 22, Nr. 25 (26. Februar 1829), S. 98f.

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