Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 3. November 1821
Schauspiel.
K. k. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore. Am 3. d. zur Feyer des allerhöchsten Nahmensfestes Ihrer Majestät der Kaiserinn und Königinn, wurde hier zum ersten Mahle aufgeführt: Der Freyschütze. Romantische Oper in drey Aufzügen, von Friederich Kind. Musik von Carl Maria von Weber, königl. sächs. Kapellmeister.
Vor der Oper wurde das Volkslied: "Gott erhalte Franz den Kaiser!" angestimmt, und Ihre Majestät die Kaiserinn, die den Abend durch ihre Gegenwart verherrlichte, mit dem Ausdruck des herzlichsten Jubels empfangen.
Der Stoff dieser Oper ist aus einer Erzählung genommen, die sich auf eine ziemlich bekannte Sage gründet, und das Gespensterbuch von Apel und Laun 1. Band eröffnet. Da aber beyde, Oper und Erzählung, hinsichtlich der Katastrophe von einander abweichen, so werden wir den Gang der ersteren hier bezeichnen. Die Handlung beginnt mit einem Sternschießen, wozu Armbrustschützen, Landleute und Musikanten versammelt sind. Es geschieht ein Schuß, und herabfällt der letzte Rest des Sterns; der Bauer Kilian (Hr. Gottdank) ist Schützenkönig. Verzweiflungsvoll in sich gekehrt steht der sonst geschickte Jägerbursche Max (Hr. Rosner), dem heute, so wie überhaupt seit kurzem, kein Schuß gelingen wollte. Kilian singt ihm ein Spottlied vor, das der Chor wiederhohlt, wie es von Alters her in solchen Fällen Sitte ist. Darüber bricht der Unmuth des Verhöhnten aus. In diesem Augenblick tritt Kuno (Hr. Weinmüller), der Erbförster, auf, und beruhigt die Entzweyten, mahnt aber Maxen, morgen besser auf der Hut zu seyn, da ihm der Probeschuß bevorsteht, von dessen glücklichem Erfolg der Besitz Agathens (Dlle. Schröder), der Försterstochter, und die Anwartschaft auf das Försteramt abhängt, da Ritter Hugo (Hr. Vogel), Herr des Gaues, Sohnesrechte auf den Eidam übertragen wollte. Bey dieser Gelegenheit wird er aufgefordert, den Ursprung der Stiftung zu erzählen. Sein Urältervater diente nähmlich als Leibschütz einem der Ahnherren der Ritters Hugo. Einstmahls auf der Jagd erblickte man einen Hirsch, auf welchem, der grausamen Strafe jener Zeit gemäß, ein Waldfrevler mit Retten fest geschmiedet war, und schnell verhieß der Herr dem guten Schützen, dem es gelingen würde, den Hirsch zu erlegen, ohne den Unglücklichen zu treffen, die Erbförsterey nebst einem nah gelegenen Waldschlößchen. Es gelang, und sicher war der Lohn. Neid und Verleumdung suchten das Verdienst des Schützen bald zu schmälern, indem es hieß, er habe nur durch einen Freyschuß es vollbracht, was so viel bedeutet, als durch Zauberey. Daher wurde nun das Probeschießen fest gesetzt. Max, seinem Glücke nicht vertrauend, wird immer finsterer und verzagter. Da naht sich ihm der wilde Jäger Kaspar (Hr. Forti), vormahls Soldat, und trinkt ihm zu, und weiß seine verzweiflungsvolle Stimmung immer mehr und mehr dahin zu leiten, daß er seinem Rath vertrauend, ihm gelobt, um Mitternacht, da eben jetzt die Konstellation das Wagestück begünstigt, mit ihm nach einem Ort, zu wandern, der den Nahmen Wolfsschlucht führt, wo böse Geister hausen sollen, um sich sogenannte Freybolzen zu verschaffen. Erst als ihm Kaspar seine eigene Armbrust gibt, und ihm über|redet, in die Dämmerung hinein auf einen Stößer abzudrücken, der getroffen gleich zu Boden fällt, wird der vom Wein bereits Erhitzte auf das Äußerste gebracht, und willigt in das Unternehmen ein. Und der Verführer, den Agathe einst verschmähte, bricht in wilden Jubel aus. Die Bolzen werden hierauf unter schauerlichen Erscheinungen wirklich herbey geschafft; bey dem siebenten erschüttert ein furchtbares Ungewitter den ganzen Wald. Agathe wurde unterdessen von finstern Ahnungen und Vorbedeutungen geängstigt. Sie sah im Traum sich selbst als eine weiße Taube, und einen ungeheuren Raubvogel bald darauf. Am nächsten Morgen treten die Brautjungfern herein, sie festlich zu begrüßen, und als Annchen (Dlle. Demmer), ihre Verwandte, die Schachtel öffnet, um den Kranz heraus zu nehmen, hat er sich in einen Todtenkranz verwandelt. Im dritten Akt sind die Jagdgenossen und die Schützen um den Herrn des Gaues, der in seinem Zelte sitzt, versammelt. Kaspar klettert bald nachher auf einen Baum, das Ende abzulauschen, und Max steht des Ritters Wink gewärtig, um den Probeschuß zu thun. Plötzlich läßt sich eine weiße Taube sehen, und Max muß auf sie zielen. Da erscheint Agathe, und warnt ihn, nicht zu schießen, weil sie selbst vom Pfeil getroffen werde; die Taube flattert nach dem Baum, wo der Verräther lauert, Max zielt dorthin, und Kaspar stürzt zur Erde, indem zugleich Agathe niedersinkt. Diese erholt sich wieder, jener haucht mit einem Fluch den Athem aus. Alles wird nun klar, dem Bräutigam Agathens aber gern verziehen, und ihr Besitz ihm zugesichert, mit dem Vorbehalt, daß er in Jahresfrist die alte Redlichkeit bewähre.
Der Dichter hat den Ausgang dahin motivirt, daß die Strafe nur den Lasterhaften trifft. Dabey bleiben freylich die Orakel nicht in Ehren, und alle Ahnungen, und alle schauerlichen Vorbedeutungen erscheinen hier als leere Zeichen; doch ohne Grund geschah es nicht, und vermuthlich fand er ein tragisches Ende, das durch den Tod der unschuldigen Agathe herbey geführt würde, dem Charakter der ländlich romantischen Oper nicht entsprechend. Sey dem, wie ihm wolle, Deutschland verdankt diesem Text wieder eine Tondichtung, die sich den trefflichsten zur Seite stellen darf, und dem Komponiste, der nun den folgenden Theil dieser Bemerkungen in Anspruch nimmt, ist ein Wirkungskreis dadurch eröffnet worden, worin er sich mit Riesenkraft in vollem Glanz bewegt.
Wenige Tonsetzer alter und neuer Zeit haben den Charaker der Dichtung so glücklich aufgefaßt, sind in den Geist des Romantischen, das eigentliche Element der Musik, so tief eingedrungen, als der Komponist des Freyschützen. Diese Werk beweist mit siegreicher Klarheit, daß der Genius, den wir in Mozart’s und anderer Meister Werken mit immer wachsendem Entzücken stets bewundern, noch nicht erschöpft ist. Die Tondichtung eignet sich dazu, in der Geschichte der Musik eine besondere Epoche zu bilden, weil sie mehr, als Spott und Hohn, Stürmen und Donnern gegen den Mißbrauch der Kunst und das Verderbniß des Zeitgeschmacks, den Dämon der Illusion bekämpfen und vernichten wird. Jede Einzelnheit in dieser Komposition trägt den Stempel der Genialität und der Meisterschaft an der Stirn. Jedes ergreift, entzückt, und spricht die Bewunderung auf eigene Weise an. Um ausführlich über ein so tief gedachtes und so kunstvoll ausgeführtes Werk zu schreiben, würde mehr Raum erfordert, als ein Blatt von vielfacher Tendenz gestatten kann. Jedes Gesang- und Musikstück erregte lauten, enthusiastischen Beyfall, oder stilles Entzücken, wobey es jedoch selten blieb, weil jene Stimmung fast immer diese überflügelte, wie der Tonsetzer schon in der ideenreichen, großartigen Ouverture den Dichter hinter sich zurückgelassen hat. Denn wirklich, wenn man das ganze Tonwerk Schritt für Schritt betrachtet, scheint es doch, als ob ein hochbegeistertes Gemüth nur den ersten günstigen Augenblick erwartet hätte, um alles dessen, was in seinem Innern braust und glüht, in einem vollen Strom sich zu entladen, ohne seine Fülle zu erschöpfen. Man sagt gewöhlich, der erste Akt sey der gelungenste, gediegenste. Es wurde vorhin schon bemerkt, daß Alles ausgezeichnet sey, und es darf hinzu gefügt werden, daß von Anfang bis zu Ende großer Sinn und großer Fleiß, die lebendigste Phantasie und immer rege, durchdringende Besonnenheit sich offenbare. Die besonderer Wirkung, die der erste Akt ver|ursacht, liegt in der Dichtung selbst, in der Folge und dem Gegensatz der einzelnen Stücke, überhaupt in der belebteren Situation dieses ganzen Theils der Handlung. Wenn in der zweyten Hälfte der Ouverture, die zum größten Erstaunen bey einem solchen Aufgeboth von Mitteln, einer solchen Fruchtbarkeit von Harmonien, sonst herrschende Klarheit vermißt wirt, so rührt es von dem kühnen Streben, in die geheimnißvolle Geisterwelt zu dringen, ihre Tiefen zu durchwandeln und das Wunderbare, Unbegreifliche zu schildern, wo der erste Versuch den Meister selbst erbeben machte. Nun eröffnet sich die Scene und eine ausgelassene, schnell ergreifende Volksfreude theilt sich durch den Ausbruch des Jauchzens nach glücklich erfolgtem Königsschuß in der Näh und Ferne mit. Der ganze Umkreis hat sih schnell verwandelt, wir fühlen uns aus der Welt der Ahnungen und Phantasien in die heitere Wirklichkeit, aus zweifelhafter Dämmerung an das Tageslicht versetzt. Der auf den einleitenden Chor folgende Lach- und Spott- Chor, nebst dem Liede des Bauern Kilian, hat etwas so Originelles und bey so vieler Einfachheit so viel echt Humoristisches, daß man dieses Stück nur mit sich selbst vergleichen kann. In dem Terzett zwischen Kuno, Max und Kaspar, in welches der doppelte Chor betrachtend und tröstend eingreift, erschließt sich das Innere das menschlichen Gemüths, zwey sich bestreitende Gefühle stoßen auf einander, schnell aber geht der leicht bewegliche Volkssinn in seine eigenthümliche Heiterkeit über, und diese Stimmung macht wieder einen vortheilhaften Konstrast mit dem folgenden Gesang des Max, aus dessen düstrer Schwermuth der innre Kampf und der dumpf sich heranwälzende Aufruhr des schwankenden Herzens hervorbricht. Hierauf stimmt Kaspar das wilde Trinklied an, aus welchem übermüthige Verworfenheit und der Triumph der Hölle tönt, indem Gesang und Instrumentirung sich in einem schneidenden Zusammenklang begegnen. Die Schlußarie dieses Aktes schildert den Ausbruch satanischer Schadenfreude mit der höchsten Kraft der Harmonie, und steigert die Wirkung dieser Abtheilung auf den letzten Punkt.
Wenn wir jede Nummer einzeln hier berühren wollten, so würden wir uns gegen die Eintönigkeit des Lobes kaum verwahren können, und dieß bey allem Reichthum, aller Mannigfaltigkeit des Stoffes, weil überall das Treffliche mit dem Trefflichen wetteifert.
Der zweyte Akt fängt mit einem Duett, von Agathe und Annchen gesungen, an, worin die beyden kontrastirenden Empfindungen beyder trefflich vereinigt sind. Diese Aufgabe war gewiß keine der leichtesten. Der Komponist hat sie eben so befriedigend gelöst, wie die scheinbar schwierigere, in der Scene Agathatens, die mit dem Ausdruck schwermüthiger Errinnerung, frommer Erhebung und einem vom Kampf streitender Gefühle belebten Rezitativ wechselt. Welches fortdauernde Interesse wußte er in diesen ziemlich gedehnten Text zu legen!
Das Terzett zwischen Agathe, Max und Anna schildert wieder auf eine so klare und lebendige Weise die gegen einander ankämpfenden Regungen, und das Gewühl der Leidenschaften, daß der Streit in harmonischer Verkörperung gleichsam in die Außenwelt hervorgezogen wird. Den Schluß dieses Akts nimmt die Beschwörung ein. Der Dichter hat hier nur angedeutet, der Komponist überbiethet mit erschütternder Gewalt sich selbst, vom ersten dumpfen Geisterchor an, bis zum letzten tobenden Ausbruch der unterirdischen Gewalten, wo der Geist wundersam erschütternder Harmonien den Abgrund zu zersprengen, und seinen innern Aufruhr zu enthüllen scheint.
Der dritte Akt beginnt, nach einer Zwischenmusik, die auf den Anfang der Katastrophe hindeutet, mit einer fromme Rührung athmenden Kavatine, worin Agathe ihre trüben Ahnungen und schmerzlichen Gefühle in seelenvollen Tönen aushaucht. Hierauf folgt Annchens Romanze, worin der Komponist dem Dichter auf das freundlichste entgegen kommt. Nach diesem treten die Kranzjungfern ein, und stimmen das im Geist des echten Volksgesangs erklingende, lieblich einfache Brautlied an, das sich mit der ersten Strophe gleich in’s Herz drückt, ohne daß man es zu hören überdrüssig wird. Eben so ertönt für immer in die Seelen der begeisternde Jägerchor nach der letzten Verwandlung, der das Herannahen der wichtigen Entscheidung und das fröhliche Leben der Jagd in Tönen des Jubels und mit unübertrefflicher Wahrheit mahlt. Wenn unter den | sämmtlichen Chören, die alle mit dem Siegel des herrlichsten Gelingens gezeichnet sind, irgend einer auf den Vorzug Anspruch machen dürfte, so wär es dieser. Mit Jubel wurde seine Wiederholung verlangt, und das Chorpersonal bewährte, wie im Übrigen und bey andern Gelegenheiten, seine ausgezeichnete Geschicklichkeit. Der Tonsetzer hat den gedehnten, und durch die Abweichung von dem Gange der Begebenheiten, wie sie in der Erzählung auf einander folgen, weniger wirksamen Schluß, in möglichster Kürze und mit aller Kraft einer unerschöpflichen Phantasie behandelt. Die Augen aller wahren und gründlichen Kenner, wie aller leidenschaftlichen Verehrer echter Tonkunst sind mit vollem Recht auf dieses Werk gerichtet, in welchem der Charakter deutscher Tonkunst überhaupt in fortdauernder Kraft und Fülle aufs Neue sich bekundet.
Mlle. Wilhelmine Schröder sang die Stimme der Agathe mit tief erregender Gemüthlichkeit, die in der großen lyrischen Scene des ersten Akts und besonders am Schluß zu hoher Leidenschaft gesteigert wurde. Angenehme Rührung erweckte auch der einfache Vortrag der Kavatine und des Gebeths im dritten Akt. Der Vortrag der Prosa eignet sich bey der jungen Sängerinn immer mehr die von mehrern Mitgliedern dieser Bühne angenommene singende Deklamations-Monotonie an.
Hr. Rosner sang mit möglichster und recht ausgiebiger Kraftäußerung. Ein tief bewegtes, leidenschaftliches Gemüth muß Vortrag und Darstellung beleben, auch ist die Auffassung und Durchführung einer so schweren Rolle nicht in Jahr und Tag begriffen und erlernt; länger ist Hr. Rosner nicht auf dem Theater. Was er in dieser kurzen Zeit geworden, bringt ihm und seinem Meister, Hrn. Hofkapell- und Kammersänger Simoni, große Ehre. Opern, wie die gegenwärtige, werden ihn überzeugen, daß für einen deutschen dramatischen Sänger ein höheres Ziel als jenes der leeren Gurgeleyen zu erstreben ist.
Hr. Forti leistete Vorzügliches, und zeigte, so im Spiel, wie im Gesang, daß er die Bedeutung des Charakters aufgefaßt habe; daß es ihm an Kraft nicht fehle, das richtig Aufgefaßte mit allem Nachdruck auszuführen, hat er anderwärts schon dargethan und wiederholte hier zur vollen Überzeugung den Beweis. Mit großer Sicherheit und einem das höchste Ziel erschwingenden Nachdruck gab er den Charakter beyder Arien wieder.
Mlle. Thekla Demmer (Annchen) war in der ersten Vorstellung nicht bey Stimme, den zweyten Abend gelang ihr dieser heitere, fein gezeichnete Gegensatz von Agathens trüben Ahnungen und wehmüthigen Gefühlen etwas besser.
Das Kostum ist einfach und geschmakvoll. Unter den fünf mit gleichem Fleiß ausgeführten Dekorationen, bestehend aus zwey Landschaftsgemälden, zu Anfang und zu Ende, der starren, ausgestorbenen Schlucht, und den beyden antiken Gemächern des vormahligen, jetzt zur Forsterey bestimmten, Waldschlößchens, fesselt jede in ihrem Eigenthümlichen die Aufmerksamkeit; am meisten aber das vom hereinfallenden Sonnenlicht erhellte Zimmer Agathens im dritten Akt, mit seinem heitern Farbenton, so festlich prangend, als lächelte nach schwerer Wetternacht der schönste Frühlingsmorgen frisch bekränzt herein.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Wien: Der Freischütz von C. M. v. Weber
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Ran Mo