Aufführungsbesprechung: „Heinrich von Anjou“ von Zahlhaas und „Faust“ von Spohr 1816 in Prag

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Theater zu Prag.

Unter den neuen Erscheinungen, welche unsre Bühne in der letzten Zeit lieferte, zeichnen sich vorzüglich zwey aus; das erste ein Trauerspiel vom Ritter v. Zahlhaas: Heinrich von Anjou, das zweyte Spohrs phantasiereiche Oper Faust, der Text von Bernard in Wien*. Jenes, wenn es gleich nicht ganz ohne Mängel, und zumahl die Katastrophe auf eine etwas gewöhnliche Tragödien-Weise gewaltsam herbeygeführt wird, hat doch sehr effektreiche Momente, eine gebildete Sprache und größtentheils gehaltene Charakteristik, und kann immer unter die bessern neuern Dramen gezählt werden. Die Besetzung war wohl getroffen und die Aufführung größtentheils gelungen zu nennen. Herr Bayer gab die höchst schwierige Rolle des Heinrich mit wahrer Vollendung, auch Mad. Sonntag stellte das ganz in Liebe versunkene Gemüth der Blanca Siffredi, so wie Dem. Böhler die fromme Resignazion der Prinzessin Constanze mit Wahrheit und Gefühl dar.

Die Composition des Faust, spricht das tiefe genialische Gemüth des allgemein anerkannten Künstlers in seinem ganzen Umfange aus, und – einige kleine Mißgriffe abgerechnet, z. B. daß die Hexen ein liebliches Alpenthema singen, und Amor und Hymen zur Feyer des Brautpaares eine Polonaise tanzen – ist das Ganze sehr charakteristisch gehalten, und enthält herrliche ergreifende Momente. Vorzüglich schön ist die Ouverture, die Arie mit Chor des Grafen Hugo, das Duett des Fausts mit Röschen und das Finale des ersten Aktes; sodann im zweyten Aufzug die Hochzeitsgesänge und die obenerwähnte, sehr glänzende, Polonaise. Fausts Arie enthält zu verschiedene Gefühle, um zur Einheit gelangen zu können, und jene der Kunigunde ist wohl – eine Bravour-Arie!

Minder zufrieden können wir mit dem Dichter seyn, und da Herr Bernard schon manche Beweise von poetischem Talent gegeben hat, so scheint es uns als hätte das Streben eine Nachahmung des Götheschen Werkes zu vermeiden, den Dichter zu einer ziemlich matten Charakteristik verleitet. Faust ist hier ein blos etwas sinnlicher Mensch, aber keineswegs so frevelhaft, daß seine Vergehen als hinlängliche Motive für die höllische Besitznahme seines Wesens gelten könnten, und es scheint fast als solle er ein Gegenstück zu dem Klingemannschen Faust liefern, der, jede Steigerung ausschliessend, vom Anfang bis zu Ende wüthig ist. Satan ist ganz kraftlos, ein ewig schleichender Wurm, der nur in einzelnen Momenten wahrhaft satanisch wird, und dann mit Faust ein Spiel treibt, wie die Katze mit der Maus.

Noch stiefmütterlicher ist der Dichter mit den übrigen Personen umgegangen, denn wenn gleich Röschen und Franz hie und da an Klärchen und Brackenburg aus Egmont erinnern, so ist doch diese Reminiscenz nur vorübergehend und in Bezug auf das innere Leben der Charaktere oft negativ. Gulf und Kunigunde sind Personen der gewöhnlichen Ritter- und Flugwerksstücke – wie es denn auch eine sonderbare Forderung des Dichters an die beyden Hauptpersonen ist, aller Augenblicke herum zu fliegen.

Die Hexen sind wenigstens in soweit originell, daß sie durchaus nicht an die Schakespeareschen erinnern. Mit einem Worte, wir hätten von Hrn. Bernard eine höhere Ansicht dieses so höchst poetischen Stoffes erwartet.

Die Besetzung war ziemlich glücklich und Mad. Grünbaum wußte durch den Zauber ihrer Stimme und fleißiges Studium sogar der undankbarsten Rolle (Kunigunde) einen hohen Reiz zu verleihen. Herr Stöger sang den Hugo vortrefflich und macht auch in der Darstellung sichtliche Fortschritte. Herr Kainz gab den Faust mit Auszeichnung und Dem. Brand wandte alle Kunst an, dem ewig klagenden und schmachtenden Röschen einige Bedeutung zu geben. Herr Gned stellte die äußerst schwierige Rolle des ewig lauernden Satans, die dem darstellenden Künstler fast allein überlassen ist, mit Einsicht dar, und auch die kleinen Rollen des Franz (Herr Grünbaum) und Gulf (Herr Zeltner) waren gut besetzt, nur wäre dem letztern eine besondere Aufmerksamkeit auf seine Aussprache anzurathen.

Hr. Fr. Rud. Bayer ist zum Regisseur der hiesigen Bühne ernannt worden. Diese Wahl hat um so mehr den allgemeinen Beyfall erhalten, als nicht nur der Erwählte sich durch großes Talent und vielseitige Bildung die Gunst des Publikums in hohem Grade erworben, sondern auch als Mensch sich der herzlichsten Liebe und Achtung seiner Mitbürger erfreut.

Apparat

Zusammenfassung

positive Aufführungsbesprechung, allerdings Werkbesprechung durchaus auch kritisch, v.a. wird der Text des Faust mangelhaft empfunden

Generalvermerk

bei Bužga Weber zugeschrieben

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Kaiserlich Königlich privilegirte Prager Zeitung, Jg. 3, Nr. 272 (28. September 1816), S. 1083

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Jaroslav Bužga, Vergessene Aufsätze, Berichte und Mitteilungen aus Carl Maria von Webers Prager Wirkungszeit (1813–1816), S. 108–110

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Text von Bernard in Wien“Die Premiere von Heinrich von Anjou war am 25. August, die von Faust am 1. September 1816.

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