„Händel in Hamburg“ (Teil 1 von 2)
Händel in Hamburg.*)
Georg Friedrich Händel war von Berlin wieder nach seiner Vaterstadt Halle zurückgekehrt. Nach Italien, dem Vaterlande der Tonkunst, stand sein Sinn. Er sah sich daher nach einer großen Stadt um, wo er sein Brot fände, um seiner Mutter jetzt, nach dem Tode seines Vaters, nicht mehr zur Last zu seyn, und wo er zugleich einen Pfennig zu seiner große Reise zurücklegen könne.
Die Hamburgische italienische Oper wetteiferte damals mit der Berlinischen. Ihr Zustand war glänzend, wiewohl sie keinen Kastraten in ihrem Personale zählte. Die erste Sängerin war die berühmte Conradi, welche später sich mit dem Grafen Gruzewska vermählte, ein Weib von fast vollkommner körperlicher Schönheit. Ihr hatte die Natur außerdem eine herrliche Stimme verliehen, welche sich vom bloßen a in gleicher Stärke bis ins dreigestrichene d erstreckte. Der große Musiker Matthe|son war ihr Lehrer und Correpetitor, d. h., wie er selbst sagt, er sang ihr täglich alles so lange vor, bis sie es ins Gedächtniß gefaßt hatte. Der nicht minder berühmte Komponist Keiser spielte im Orchester den Flügel. Die Pächter des Theaters besoldeten eine Menge Komponisten, unter denen Keiser selbst allein in den Jahren 1709 und 1710 acht Opern nach einander schrieb; nächst ihm werden noch Schieferdecker, Grünwald u. Graupner ausgezeichnet. Nur die Kunstgeschichte nennt noch ihre Namen; seitdem die Oper in der neuern Zeit auf einen solchen Gipfel erhoben worden ist, sind die Vorarbeiten jener Alten vergessen, wie alles, was den Stempl der Mode trägt. Mattheson war damals ein junger Mann von etwa 20 Jahren, und fand seine Hauptbeschäftigung als Theatersänger und Komponist. Er sagt selbst von sich: Er sey in 15 Jahren fast nicht vom Theater gekommen und habe fast allemal die Hauptperson vorgestellet. auch sowohl durch ein ungekünsteltes Singen, als durch seine Geberdekunst oder Action, welche in allen Singspielen das Wesentliche ist, bei den Zuschauern bald Furcht und Schrecken, bald Thränen, bald Freude und Vergnügen erwecket.
In einer Stadt, wo die Kunst blühte, konnte Händel reiche Gelegenheit finden, sein Talent weiter auszubilden und geltend zu machen. Er ging daher im J. 1703, neunzehn Jahre alt, dahin ab, und bekam bald reichlichen Privatunterricht. Auch erhielt er weiterhin als Ripienist, bei der zweiten Violine eine Stelle im Orchester. Man kann sich vorstellen, welch ein Orchester das gewesen seyn muß, wo ein junger Mann von Händels Talent es sich für ein Glück anrechnete, bei der zweiten Violine mitzugeigen!
Durch diese kleine Stelle und durch einige Scholaren verdiente Händel sich so viel, daß er seiner Mutter schon ihren ersten Wechsel freiwillig zurücksenden und noch ein kleines Geschenk beifügen konnte. Ueberhaupt ist seine Dankbarkeit, gegen Lehrer und Wahlthäter, ein rührender Zug in seinem Charakter, zu dem sich mehrere Belege in seinem Leben finden. So hat er die Witwe seines alten Lehrers, des geschickten Organisten Zachau in Halle, lange Jahre hindurch heimlich mit seinen Wohlthaten unterstützt. Wahrlich, solche edle Gesinnungen entschuldigen es reichlich, wenn er sich mehrmals durch seinen Stolz und Eigensinn hinreißen ließ und sich dadurch doch meist nur selbst schadete! Seine ge¦heime Wohlthätigkeit würde sein gutes Gemüth bezeugen, wenn seine unsterblichen Kunstwerke auch weniger beredt wären, als die Geschichte.
Etwas muß man wohl von dem unangenehmen Vorfall, der sich zwischen Händel und Mattheson ereignete, auf Rechnung von beider Halsstarrigkeit und besonders von Händels Stolze schreiben; wenigstens scheint dieser nicht so ganz vorwurffrei, wie Hiller ihn gemacht hat.
Im Juni 1703 machten Mattheson und Händel auf einer Orgel Bekanntschaft mit einander, und wurden bald Freunde. Noch denselben Sommer machten Beide eine Reise nach Lübeck, und spielten dort sowohl als in Hamburg Orgel und Klavier um die Wette; auf jener war Händel, auf diesem Mattheson der Meister, und sie erkannten gegenseitig ihre Vorzüglichkeit an. Da der Cembalist Keiser durch seine übertriebenen Verschwendungen in Schulden und auf flüchtigen Fuß gerieth, so übernahm Händel dessen Stelle und spielte noch am 20. October das Klavier, als Mattheson seine fünfte oder sechste Oper Kleopatra aufführte. Bis dahin waren sie in den besten Verhältnissen mit einander gewesen, und Händel hatte seinem Freunde selbst die kleine Schwäche nachgesehen, daß dieser in seinen Opern gern selbst dirigirte, und daher, nachdem er sich als Antonius auf dem Theater entleibt hatte, noch hinunterging in’s Orchester, um selbst das Ende auszuführen.
Den ersten Anlaß zur Mißhelligkeit mag Händel daher genommen haben, daß er anfangs den neunjährigen Sohn des damaligen kön. großbritanischen Gesandten im Niedersächsischen Kreise, des Herrn Johann Wich unterrichtet, derselbe aber, warum weiß man nicht, bei ihm keine Fortschritte gemacht hatte, Händel daher abgeschafft und Mattheson erst zum Informator und Hofmeister, bald hernach zum Legitations-Secretär mit fünfhundert Rthlr. Gehalt ernannt worden war. Vielleicht mochte darüber gesprochen worden seyn, daß der Knabe jetzt unter Matthesons Leitung ein so hübsches Talent entwickelte; vielleicht Händel’s Ehrgeiz durch solches Gerede gereizt worden seyn; kurz es trat zwischen den bisherigen Freunden eine Spannung ein, die bald zum Ausbruch kam. Bei der Wiederaufführung der Kleopatra, am 5. Dec., geriethen Beide, wie es scheint, über die Direction des todten Antonius Mattheson in einen heftigen Wortwechsel. Das Ungereimte in dieser Eigenheit Matthesons, das Gefühl, gewissermaßen bei einem so | bedeutenden Manne, wie dem Gesandten Wich, zurückgesetzt zu seyn, trugen das ihrige dazu bei. Beim Herausgehen aus dem Schauspielhause wurde der Zank so hitzig, daß sie auf öffentlichem Markte die Degen zogen, die bekanntlich damals zur Modetracht der Männer gehörten. An körperlichen Kräften waren sich Beide wohl so ziemlich gewach¦sen, aber es gelang Mattheson endlich bei größerem Muthe und Gewandtheit, seinen Gegner den Degen grade auf den Leib zu rennen, und Händel würde verloren gewesen seyn, hätte ihn nicht eine dicke Partitur, die er grade an der Stelle trug, geschützt.
(Der Beschluß folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
„Händel in Hamburg“
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 71 (24. März 1819), Bl. 1v–2v