Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 26. Januar 1822
Schon lange waren die Freunde der Musik wie das Publikum auf die Erscheinung eines Werkes begierig, das so zu sagen Furore in der musikalischen Welt macht, und welches den Komponisten in die Reihe der ersten Tonsetzer stellte. Die Aufführung geschah auf der hiesigen Bühne den 26. Januar. Das Haus war, wie zu vermuthen, gedrängt voll. Alles ist in gespannter Erwartung. Die Ouvertüre beginnt mit einem einfachen Unisono des Quartetts, gleichsam die Aufmerksamkeit des Zuhörers in Anspruch nehmend zu einem charakteristischen Vorgemälde der ganzen Oper; in rythmischer Ordnung werden die Hauptmomente dem Zuhörer vorgeführt, das Prinzip des Guten und Bösen wogt im Kampfe bis zum Schluß, wo der Eintritt durch ein Pizzicato vorbereitet, in kräftigsten Accorden in C dur den Sieg über das Böse triumphirend entscheidet. Diese Einleitung zeigt schon von dem Geiste des Charaktergemäldes selbst, originell, schön und richtig durchgeführt, und zugleich effektvoll. Sie wurde mit Enthusiasmus aufgenommen. Da eine kritische Zergliederung der einzelnen Musikstücke mehr in ein musikalisches Blatt gehört, darüber auch an mehreren Orten schon ausführlich gesprochen worden ist, so beschränke ich mich mehr auf die hiesige Darstellung, welche man vollkommen gelungen nennen kann. Der Hauptcharakter, welcher dem Dichter am meisten gelungen, ist unstreitig Kaspar; eine konsequente Figur, bis zu Ende kraftvoll gehalten und durchgeführt. Auch der musikalische Theil derselben scheint vom Komponisten mit besonderer Liebe und entschiedenem Glück bearbeitet zu seyn, wie dies das Trinklied deutlich beweist. Dieser Charakter fordert sowohl einen tüchtigen Schauspieler als auch einen kraftvollen Sänger. Beides können wir an Hrn. Mayer, der diese Partie gab, in hohem Grade rühmen. Figur, körperliche Kraft, durchgreifende Stimme, richtiges Auffassen und Durchführen der Rolle, alles vereinigt sich zu einer wahren Kunstleistung, so daß diese Rolle der eigentliche Impuls der Darstellung wird. Agathe, dieser sanfte, nur in einigen Momenten aufwallende Charakter wurde von Demois. Funk dargestellt. Ihre schöne klangvolle Stimme, die sich eigentlich mehr für den gehaltenen dramatischen Gesang zu eignen scheint, konnte sich eben hier mehr entfalten, also weit kräftiger wirken. Die große Scene und Aria im zweiten Akt wurde von ihr so trefflich gesungen und dargestellt, daß wir kaum glauben, sie in einer andern Oper so vorzüglich gesehen und gehört zu haben. Max wurde von Hrn. Bergman[n] gegeben. Dieser Charakter, welcher im offenbaren Kontrast mit dem des Kaspars steht, war im Spiel nicht ganz glücklich aufgefaßt, und wir können blos die Gesangspartie die Lichtseite Hrn. Bergmanns nennen, welche auch zur allgemeinen Zufriedenheit ausgeführt wurde. Das muntere Annchen wurde von Mad. Haase im Gesang und Spiel so lebendig und brav gegeben, daß wir diese Leistung zu einer der gelungensten in der Vorstellung zählen können. Die Partien des Cuno (Hr. Keller), O tokar‡ (Hr. Wilhelmi), Samiel (Hr. Kanow), Kilian (Hr. Unzelmann), Eremit (Hr. Miksch), wurden mit sichtbarer Liebe und Anstrengung gegeben, und wirkten, das Ganze zu vervollkommnen. Der herrliche Jagdchor mußte auch hier wiederholt werden. Dekorationen, Scenerei und Garderobe waren gut. Die Oper wurde ¦ so enthusiastisch aufgenommen, daß man den Komponisten nach der Vorstellung rief. Seitdem ist die Oper schon mehrmals mit regerer Theilnahme gehört und aufgenommen worden. Deutschland kann sich Glück wünschen zu einem Meister, der durch seine gehaltvollen Kompositionen die edelste, wenn auch populärste Kunst einigermaßen wieder zu Ehren zu bringen sucht. Möge endlich noch der Wunsch nicht unerfüllt bleiben, daß die deutsche Oper, nach dem Beispiele ihrer Schwester, uns auch mit mehr Neuigkeiten erfreue, als zeither geschehen ist.
G. W–s.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, erste Aufführung in Dresden am 26. Januar 1822.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 22, Nr. 29 (9. Februar 1822), Sp. 231–232