Theaterbericht Dresden „Das unterbrochene Opernfest.“ (Januar 1817)
Theater-Nachrichten aus Dresden.
Am 11ten und 14ten December: Il Sacrifizio interrotto. (Das unterbrochene Opferfest.)
Beide Male war das Haus zum Brechen voll; eine bei Aufführung italiänischer Opern sehr seltene Erscheinung; allein diesmal galt es der Signora Benelli, einem achtzehnjährigen Mädchen, das, unter uns groß und hübsch geworden, in der Rolle der Mirrha zum ersten Male die Bühne betrat. Der Vater der jungen Künstlerin ist der Kammersänger Hr. Benelli, dessen Musikkenntnisse hier allgemein anerkannt sind; er hat um die italiänische Oper, und durch den Unterricht, den er seit den zwanzig Jahren seines Hierseyns, in den ersten hiesigen Familien ertheilt, unbestrittene Verdienste, und wird darum noch lange unter uns fortleben. Auf seine Tochter hat er, da sie sich von je an für das Theater bestimmte, den mühsamsten Fleiß gewendet; Madame Hartwig war ihr von Seiten der Mimik, bei dem Einstudieren der Rolle, mit freundlichem Rath behülflich gewe¦sen; und jetzt sollte uns die erste Frucht dieser vielseitigen Bemühungen werden.
Signora Benelli überraschte das ganze Haus. Sie trat mit einer Anmuth, mit einer Sicherheit auf, die ihr alle Herzen gewannen. Ihre jugendliche frische Gestalt, ihr ungemein lieblicher Mund, die zarte Weiblichkeit in ihren Bewegungen, ihr schöner Arm, ihr recht hübscher Fuß, die funkelnden Sterne in ihren sprechenden Augen, – – wer kennt nicht die ungeheure Gewalt all solcher Reize! – „Ihre Mutter ist eine Neapolitanerin,“ raunte mein Vordermann dem Nachbar ins Ohr, und gab mir damit die Antwort auf meine an mich selbst gerichtete Frage: „ob dies wirklich eine Anfängerin sey.“ So furchtlos steht das neapolitanische Mädchen, wenn es einmal gilt, wenn einmal der erste Schritt geschehen. Dies Selbstgefühl, dieser Stolz, diese Festigkeit – das ist Mutter-Erbteil aus dem Süden Europa’s. Wir wissen recht gut, daß der jungen Künstlerin, ehe sie zum ersten Male hervortrat, groß bangte vor dem großen Augenblick; daß sie beide kleine Hände vor die geängstetete‡ Brust legte; daß sie, als der Takt sie auf die Bühne rief, als sie keine Sekunde länger ausbleiben durfte, beinahe vorgedrängt werden mußte; aber um so verdienstlicher war ihre Kraft, mit der sie sich nun zusammenraffte, und nun auch nicht die mindeste Blöße, nicht die geringste Spur von Befangenheit gab.
Ihr Duett mit Elvira (Frau Schüler v. Biedenfeldt): La sua p[a]role, ihr zweites mit Murnei (ihrem Vater): Jo provo a te vicina, ihre große Arie: Quelle puppille tenere, ihr Duett mit Mafferu (Signor Benincasa): Fra tema è speme io sto dubbiosa, und ihr Terzett mit Guliru und Balisa (Signora Miksch und Signora Hunt): Nel modo, che i scimiotti, wurden mit dem verdientesten Beifall aufgenommen; sie sang mit Ausdruck; sie sang zum Herzen; ihre Manier ist, Dank sey es dem braven Vater, nicht überladen; sie läßt der Kunst ihre Rechte, ohne der Natur untreu zu werden; ihre Stimme ist für unsern Bühnenraum vollkommen hinlänglich und von nicht unbedeutendem Umfange; und wenn sie auch vielleicht mehr Metall haben könnte, so gefällt sie doch durch ihr ansprechendes Melodisches. Das Spiel der jungen Signora hebt sie über manche Künstlerin ihres Fachs schon jetzt. Bei daurendem Fleiße und bei guten Vorbildern | wird sie sich bald unter die Meisterinnen zählen können.
Fallen je diese Zeilen in ihre Hände, so lasse sie sich das, was zu ihrem Lobe, der strengen Wahrheit gemäß, darin gesagt ist, dienen: nicht um eitel zu werden; nicht um zu glauben, daß der Gipfel nun erreicht sey; sondern um der Natur, dem Vater und der mütterlichen Freundin für das zu danken, was diese an ihr gethan; um sich zu bestreben, die gute Meinung, die für sie, außerhalb unserer Mauern, erregt worden, durch ferneren Fleiß zu begründen, und um sich zu überzeugen, daß Bescheidenheit immer die treue Schwester wahrer Verdienstlichkeit ist.
Frau v. Biedenfeldt, die wir diesen Abend von Neuem schätzen lernten, und unsere liebenswürdige Benelli waren die einzigen, die auch in Hinsicht des Kostüms die Aufmerksamkeit bethätigten, mit der sie vor den Hof und das Publikum auftraten; die übrigen alle hatten in diesem Fache gröblich gesündigt; bei einer herumziehenden Gesellschaft nimmt man Verstöße dieser Art nicht so genau; allein bei einer königlichen Hofgesellschaft, die eine so reiche Garderobe hat, wie wenige in Deutschland, sollten doch solche ¦ gräßliche Mißgriffe nicht bemerkt werden, die uns in den Augen der Fremden lächerlich machen.
Frau Schüler v. Biedenfeldt (die, wir wissen nicht, warum, auf dem Zettel immer Frau Schüler Biedenfeldt genannt wird, obgleich ihr Gatte, der sich hier als Privatgelehrter aufhält, Baron ist), ist mit 1500 Rthlr. jährlichem Gehalte auf zwei Jahre engagirt worden.
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Berichtigung.
Nach öffentlichen gedruckten Nachrichten ist der bisherige Theater-Direktor Liebich zu Prag am 21ten December mit Tode abgegangen, wodurch sich die in Nr. 24. dieses Wochenblatts aus einem Briefe aus Prag mitgetheilte Nachricht von seinem früheren Tode von selbst widerlegt.
D. Red.Von diesem Wochenblatt wird jeden Sonnabend Vormittag Ein Bogen erscheinen und hier in Berlin in der Expedizion des Wochenblatts, Poststraße Nr. 27 ausgegeben werden. Der Preis eines einzelnen Stücks ist zwei Groschen Courant, der Abonnements-Preis für ein Vierteljahr ist hier achtzehn Groschen Courant. Für Auswärtige ist der Preis des halben Jahrgangs vom Januar bis Junius zwei Thaler, wofür es durch jede gute Buchhandlung zu bekommen ist.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechungen Dresden: „Il Sacrificio interrotto“ (Das unterbrochene Opferfest) von Peter von Winter am 11. u. 14. 12. 1816 + Notiz zu Liebich (Prag)
Entstehung
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Überlieferung
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Textzeuge: Dramaturgisches Wochenblatt in nächster Beziehung auf die königlichen Schauspiele zu Berlin, Bd. 2, Heft 28 (11. Januar 1817), S. 223–224