Aufführungsbesprechung Salzburg, Dom: wiederaufgefundene „Missa solenne“ von Carl Maria von Weber am 24. April 1927

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Eine wiederaufgefundene „Große MesseK. M. v. Webers.

(Uraufführung im Salzburger Dom am 24. April 1927.)

Immer wieder ereignet es sich, daß unbekannte oder verschollene Werke großer Musiker aufgefunden werden, deren Schaffen durch die musikgeschichtliche Forschung schon völlig erfaßt zu sein schien. Handelt es sich dabei auch meist um Werke untergeordneter Bedeutung oder um Gelegenheitsarbeiten, so gelingt doch manchmal auch ein Fund, der das Interesse nicht bloß der Musikforschung sondern auch der Oeffentlichkeit in höherem Maße wachruft. So gelang es dem Musikhistoriker Dr. Konstantin Schneider, bei den Vorarbeiten für die Salzburger Musikausstellung 1925 in der Bibliothek des Salzburger städtischen Museums die Partitur einer „Missa solenne“ aufzufinden, die er einwandfrei als Jugendwerk K. M. v. Webers agnoszieren konnte. Der Handschrift lag ein Widmungsschreiben des jungen Weber an den Landesherrn, den damals schon seit zwei Jahren (1800) in Wien residierenden Erzbischof Hieronymus Grafen Colloredo bei, welches die genaue Datierung des Werkes auf das Jahr 1802 gestattet. Die Messe ist, wie Schneider in einer Sonderpublikation nachgewiesen hat, identisch mit jener in Webers Selbstbiographie verzeichneten, in den Jahren 1798-99 in München entstandenen „Großen Messe“, die allgemein als verloren galt, da Weber selbst von ihr sagt, sie sei bei einem Brande zugleich mit einer Anzahl anderer Jugendwerke zugrunde gegangen. Weber schrieb das Werk als Dreizehnjähriger unter der Leitung seines Münchener Lehrers Kalcher, von dem er später sagte, „er danke ihm größtenteils die Herrschaft und Gewandheit im Gebrauche der Kunstmittel, vorzüglich im Bezug auf den vierstimmigen Satz“. Als die Familie Weber 1801 zum zweitenmal nach Salzburg kam, wo der junge Weber Schüler der Kapellhauses war, erfolgten Reinschrift und Widmung der Messe, von der Weber oder sein ehrgeiziger Vater sich vielleicht eine Anstellung im landesherrlichen Dienst erhoffen mochten. Diese Hoffnung verwirklichte sich freilich um so weniger, als Colloredo bereits 1803 abdankte und das Erzbistum säkularisiert wurde. Das von Weber eigenhändig geschriebene Manuskript geriet in Vergessenheit, und so konnte der Komponist nach Jahren glauben, es sei bei jenem Brande in der Wohnung Kalchers zerstört worden. Weber übernahm dann – aus dem Gedächtnis – Teile die Kyrie in die viel spätere Messe in Es-dur. Eine Aufführung hat aber, wie schon die zahlreichen unkorrigierten Fehler der Partitur beweisen, bei Lebzeiten Webers nicht stattgefunden.

Der Stil des interessanten Werkes ist der der Salzburger Festmesse des späten 18. Jahrhunders, wie er sich unter dem Einflusse des Salzburger Schule, namentlich Michael Haydns und Adlgassers ausgebildet hatte. Dem Einfluß der zeitgenössischen neapolitanischen und französischen Opernform, die dem jungen Weber aus Theorie und Praxis genau bekannt war – schrieb er doch bald nachher eine Oper – hat an diesem kirchenmusikalischen Stil starken Anteil, aber ihm tritt auch schon die deutsche Liedform, z. B. im „Agnus“, entgegen. Vor allem zeigt das „Credo“ mit seinem ganzen theatralischen Accompagnatorezitativ, seinen bewegten, stellenweise a capella gesetzten Chören und das „Sanctus“ den stark weltlichen Einfluß in jenem Messenstil. Die Sauberkeit und Glätte der kontrapunktischen Arbeit weist auf den Schüler Michael Haydns ¦ und Kalchers hin, wenn auch gerade die Fugen „Cum Sancto spiritu“ und die Tripelfuge im „Sanctus“ über eine rein äußerliche Formbeherrschung nicht hinauskommen und von den Ausdrucksmöglichkeiten dieser Kunstform wenig ahnen lassen. Die Melodik ist überall reizvoll, nicht immer gewählt und noch ohne individuelle Eigenart. Einflüsse Mozarts oder gar Beethovens, dessen Schaffen damals in Salzburg noch so gut wie unbekannt war, lassen sich nicht nachweisen. Man wird aber auch Hinweise auf den künftigen Schöpfer der deutschen romantischen Oper vergebens suchen. Gewisse romantische Wendungen in der Harmonik, einige durch ihre Eigenart überraschende Führungen der Bässe im „Credo“ und „Gloria“, den beiden bedeutendsten und originellsten Sätzen, weisen gewiß, ebenso wie die Verwendung der Trompeten an einigen Stellen in die Zukunft. Allein man darf nicht übersehen, daß das Jahrhundertende eine Uebergangszeit darstellt, in der romantische Tendenzen offensichtlich im Vordringen waren, wie der sogenannte „dritte“ Stil Mozarts, die Oratorien Haydns, die Frühwerke Beethovens und die gleichzeitige französische Oper beweisen. Die Besetzung des Werkes ist die übliche der Salzburger Festmessen: 2 Oboen, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauke und Streichquintett. Auch das Hervortreten konzertanter Instrumente (das Cellosolo im Benedictus) entsprach dem lokalen Stil.

Man darf in der Messe, deren Partitur im Verlage Dr. Filser in Leipzig erscheint, das merkwürdige Werk eines genialen Jünglings erblicken, das trotz einer gewissen Unsicherheit in der Beherrschung der Ausdrucksmittel und eines Mangels an persönlicher Charakterisierungskunst doch eine bedeutende, über dem Durchschnitt damaliger Messekomposition stehende Arbeit darstellt und schon in manchen Zügen den späteren Meister ahnen läßt. Ihre Aufführung und Herausgabe ist daher sehr zu begrüßen.

Die um 125 Jahre verspätete Uraufführung unter der Leitung des Domkapellmeisters Joseph Meßner* war sorgsam vorbereitet und sehr flüssig und exakt.

Dr. Hermann Ullrich.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Amiryan-Stein, Aida

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Deutsche Musikzeitung. Wochenschrift für das Musikleben der Gegenwart, Jg. 54, Nr. 22 (27. Mai 1927), S. 580

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