Aufführungsbesprechung: „Don Tacagno“ von Friedrich von Drieberg am 15. April in Berlin
Nachrichten.
Berlin, den 18ten April. Don Tacagno, komische Oper in zwey Acten von Dr. Koreff, mit Musik vom Hrn. von Drieberg, erschien den 15ten zum ersten Mal auf der Bühne, und wurde gestern wiederholt*. – Man kann jedem Componisten Glück wünschen, dessen erster theatralischer Versuch so ausfällt, wie dieser, und der ¦ sich auch einer ebenso aufmunternden Theilnahme des Publicums zu erfreuen hat. Dichter und Componist – besonders letzterer – hatten die bessern italienischen, komischen Opern zu ihrem Vorbilde gewählt. Das Gedicht* erhebt sich in Sprache und Versen weit über das gewöhnliche Opernfabrikwesen. Der Dialog ist mitunter voll lebendigen Witzes, und die Handlung anziehend – ausgenommen die Tollhausscene am Schlusse des ersten Acts, die unangenehm auf das Gemüth wirkt. Doch ist dieser Gegenstand leider schon öfter auf die Bühne gebracht worden, und soll der Oper im Ganzen hier keinen Nachtheil bringen. – Ref. wendet sich zur Musik, und giebt seine Ansicht darüber mit der Unbefangenheit und Offenheit, die ein geistreicher Mann, wie Hr. v. Drieberg, zu fodern berechtigt ist, und die ihm willkommener, als übel angebrachtes Lob seyn muss.
Hr. v. D. hat sich erst seit 5 bis 6 Jahren der Composition ganz gewidmet, und in diesem Zeitraume wirklich ungemein viel geleistet. Seine Musik hat durchaus ein bestimmtes Colorit, und Haltung; die Melodien sind bezeichnend und fliessend; sehr einfach ist alles modulirt, bis der Stoff nahe Veranlassung giebt, reicher mit Harmonie-Wendungen einzugreifen – wie im Finale des ersten Acts. Die Ouverture ist ein schönes Ganze, dessen Feuer am Schlusse recht zusammengedrängt wirkt. Sie ist im leichten Styl gehalten, führt aber doch nicht ganz in das Folgende ein – was hingegen die Introduction (Terzett) sehr lebendig thut, in der sich gleich der Geist ausspricht, der durch die ganze Oper hindurch lebt. Das Duett, No. 4, zwischen Blanka und Salpeter, ist sehr theatralisch, und musste, der allgemeinen Beyfallsstimme zufolge, wiederholt werden. Das Finale des 1sten Acts ist unstreitig das gelungenste Stück der Oper*. Hr. v. D. hat hier bewiesen, dass sich die komische Oper eine erfreuliche Acquisition an ihm zu versprechen habe. Es ist gut geführt und gesteigert, die Instrumentation glücklich gespart, und die Charactere sind gut herausgehoben. Nächst diesem sind ein Quartett und Quintett im 2ten Act*, und das Duett zwischen Salpeter und Fültrin*, welches voll echt komischer Laune ist, auszeichnenswerth, und Ref. geht nur darum nicht weiter | ins Detail, weil er hofft, daß diese Oper auf mehreren Bühnen Deutschlands erscheinen wird, und er seinem Zwecke, auf dieselbe, als ein, jedem Theater brauchbares, dankbares Werk aufmerksam zu machen, genügt zu haben glaubt. Einige Bemerkungen seyen Ref. jedoch noch erlaubt. Die Ensembles sind das Vorzüglichere, und die Arien beynahe durchaus etwas matter, und nicht von so abwechselndem Colorit, als nöthig ist. Besonders scheint eine gewisse Vorliebe für die ungeraden Taktarten zu herrschen, und auch in der Wahl der Melodien hätte etwas mehr Sorgfalt seyn können. Ref. bezieht dieses hauptsächlich auf die halb ernsten Arien, z. B. des Bannau, die ersten der Blanka etc. Hier möchte wol von dem Parlanten etwas mehr abzuweichen seyn, auch in der Instrumentation, und auch verdoppelte Aufmerksamkeit der richtigen Declamation zugewendet werden. Hr. von D., der uns gewiss noch mit mehreren Opern beschenken wird*, möge diese paar Worte so gut aufnehmen, als sie gut gemeynet sind. – Die Darstellung geschah mit Liebe und Fleiss. Mad. Eunike, Hr. Wurm und Hr. Rebenstein, (ein als Schauspieler und Sänger auszeichnenswerther Künstler, der in wenigen Tagen eine Kunstreise über Mannheim, Darmstadt, Frankfurt etc. unternehmen wird)* erhoben vorzüglich durch ihr Spiel das Ganze. Das Orchester griff, unter der einsichtsvollen Leitung des Hrn. Kapellm. Weber, mit gewohnter Präcision in einander.
Melos.Apparat
Zusammenfassung
lobt die gelungene Komposition des Erstlingswerks von Drieberg mit Hervorhebung des Duettes Nr. 4 und des Finales; Erstaufführung in Berlin unter Anselm Weber
Generalvermerk
Zuschreibung: Sigle (Melos.); Rezension mit 18. April 1812 überschrieben, wurde von Weber oder Redaktion offenbar vordatiert; denn lt. TB am 24. April 1812 entstanden und am 25. April an Rochlitz geschickt; vgl. auch Übersicht April 1812.
Weber lernte Drieberg am 23. Februar 1812 in Berlin kennen; vgl. TB. Bei den Vorbereitungen der Berliner EA seiner Oper Silvana äußerte sich Drieberg sehr kritisch gegenüber dem Komponisten, vgl. dazu Webers Niederschrift im TB vom 13. Mai 1812.
Entstehung
lt. TB 24. April 1812 (Niederschrift) und 25. April 1812 (Versand)
Überlieferung
Einzelstellenerläuterung
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„… Bühne, und wurde gestern wiederholt“Weber besuchte beide Vorstellungen, vgl. Kom. dazu im TB 15. April sowie 18. April 1812 und des weiteren die Rezension im Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 6, Nr. 110 (7. Mai 1812), S. 440.
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„… ihrem Vorbilde gewählt. Das Gedicht“Vgl. Arien und Gesänge .
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„… das gelungenste Stück der Oper“Nr. 7 der Arien und Gesänge.
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„… und Quintett im 2ten Act“Quartett Bannau, Blanka, Salpeter und Saanebar (Nr. 10) und Quintett der vorigen mit Fültrin (Nr. 11 der Arien und Gesänge).
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„… Duett zwischen Salpeter und Fültrin“„Zusammen hat des Zufalls Hand“ (Nr. 13 der Arien und Gesänge).
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„… mit mehreren Opern beschenken wird“Von Driebergs in Berlin aufgeführten Werken wurde das Singspiel Der Sänger und der Schneider von 1814 besonders erfolgreich. Sein letztes Bühnenwerk „Alfons von Castilien“, eine romantisch-komische Oper mit Tanz in 2 Aufzügen, blieb ungedruckt.
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„… , Frankfurt etc. unternehmen wird)“Rebenstein gastierte in Frankfurt/Main am 21., 24., 26. und 30. Mai sowie am 1. und 4. Juni, in Mannheim am 14., 16., 21. und 25. Juni 1812. In Darmstadt trat er in diesem Jahr nicht im Theater auf.