Aufführungsbesprechung: „Joseph“ von Antoine Etienne Méhul am 5. Juli 1811 in München
Dramaturgische Bruchstücke.
Mit Freuden sah Referent am 5ten* Δ bey seinem EintritteΔ ins Theater das vollgefüllteΔ Haus, indem er sich dadurch neuerdings überzeugte, daß das Münchner Publikum wahre MeisterstückeΔ zu schätzen und zu würdigen weiß*. Wen sollte aber auch Δ eine Musik, wie die der Oper Jakob und seine Söhne, nichtΔ ergreifen und mit sich unwiderstehlich fortreißen! Der antike, ich möchte sagen der einfache biblische Geist, der durchaus so vortrefflich darin gehalten ist, wo kein unnötiger Kling-Klang die Ohren kitzelt, wo alles bloß durch die höchste Wahrheit wirkt, und wo durch die weiseste Berechnung der InstrumentirungΔ, die den vielgeübten Componisten beurkundet, mit so wenigen Mitteln die höchsten Effekte erzeugt werden – Um nur einigermaßen alle Vorzüge dieser herrlichen Tondichtung zu entwickeln, müßte man Alphabete füllen, und Ref. begnügt sich daher an das Gefühl der Zuhörer zu appelliren, das beynaheΔ alle Musikstücke mit lautem Beyfall belohnte. Die heutige Darstellung war aber auch in jeder Hinsicht gediegen, und in sich geschlossen zu nennen. Kein Mißgriff, kein unangenehmer Zufall störte die Wirkung des Ganzen. Sänger und Orchester kämpften den entzückendsten Kampf, um den Vorzug der vollkommneren Ausführung*. Herr Mittermaier gab in Abwesenheit des Hrn. Weichselbaum die Rolle des JosephΔ. Unter beynaheΔ allen Rollen des Hrn. W. ¦ ist diese am meisten seiner Individualität angeeignet und daher auch eine seiner besten; zudem ist jedes Publikum meist immer gewohnt, sein Urtheil nur Vergleichungsweise zu fällen, und nie auf die gegenwärtige Darstellung rein zu sehen, sondern meistensΔ zu sagen: "der machte dieß, der andere jenes besserΔ. Es gereicht daher Hrn. Mittermaier zum ausgezeichnetsten Triumph seines Strebens, daß er allgemein gefiel und befriedigte. Mit Vergnügen bemerktΔ Ref., daß er deutlicher wie gewöhnlich aussprach, und dadurch besonders der lieblichen Romanze: „Ich war Jüngling noch an Jahren,“* einen neuen, bey Hrn. Weichselbaum vermißten Reiz verlieh. Ueberhaupt war sein Gesang und Spiel herzlich, und – dankend sey es hiemit gesagt, ohne unnöthige Verzierungen, die, auch noch so klein, in dieser rein deklamatorischen Musik unerträglich sind. Erlaube uns nur Hr. MittermaierΔ die Hindeutung auf ein paar ScenenΔ, die wir wärmer in Hinsicht des Spieles zu sehn gewünscht hätten. Nämlich wie er das Erstemal seine Brüder sieht*, dann den Moment beym Anblick seines Vaters*, und besonders wie dieser seinen Traum erzählt*, und immer mit seiner unendlichen Liebe auf Joseph zurückkommt, sollte Letzterer aufs Höchste ergriffen seyn. Auch dürfte der Augenblick, wo seinen Brüdern Gefahr droht, Akt III. Sc. 2. der einzige eines heftigen Aufloderns seyn. Denn nachdem er das so lang Ersehnte wieder gefunden, ist ihm der Gedanke der Möglichkeit, es wieder zu verlieren, unerträglich, und entflammt selbst seine Sanftmuth zur Hitze.
Es wäre überflüßig, über Hrn. Tochtermann als Simeon etwas erwähnen zu wollen, so anerkannt ist sein hohes Verdienst in dieser Rolle; er gibt sie mit höchst erschütternder Wahrheit. Alles ist tief durchdacht, und bezeichnet den herrlichen Künstler.
Jakob wurde von Hrn. Lanius mit Fleiß gesungen und gespielt; besonders das Duett mit Benjamin im 3ten Akte gab er sehr herzlich. Daß er beym Erwachen im 1ten‡‡ Akt während des feyerlichen Gebetes nicht niederkniete, war wohl nur augenblickliche Vergessenheit, es störte aber sehr die andächtige Haltung dieses Momentes. Etwas zu rasch und kräftig schien auch manchmal Ref. das Spiel des Hrn. Lanius gewesen zu seyn.
Mdm. Regine Lang ist als Benjamin eine freundliche Erscheinung, die diesen Charakter mit all’ dem kindlichen Liebreitz ausstattet, der in ihm ruht; danken müssen wir ihr, daß sie trotz eines Catharrs uns keines Musikstückes beraubte. Die Chöre der Brüder giengen vortrefflich, sowie auch die Gruppen und ihr lebendiges Spiel sehr ergreifend waren. Der schöne Schluß des 3ten Aktes ist von Hrn. Direktor Fränzl. Und nun noch den herzlichsten Dank unserm Orchester, das durch den vortrefflichen Vortrag dieses Meisterwerkes sich einen neuen Lorbeerzweig in den Kranz seines alten Ruhmes flocht.
Simon Knaster.Apparat
Zusammenfassung
lobt zu Anfang das gelungene Werk und geht dann auf die einzelnen Sängerleistungen ein; für Weixelbaum sang Mittermayr; die Leitung der Aufführung hatte Musikdirektor Fränzl
Generalvermerk
Zuschreibung: autographer Entwurf (s. Überlieferung); vgl. Bartlitz, S. 65; Sigle (Simon Knaster.); vgl. TB, Übersicht Juli 1811
vgl. auch G. Webers Besprechung der Aufführung am 1. September 1811 in Mannheim (1811-V-63); Weber befasste sich mit dem Werk wiederholt innerhalb der Dramatisch-musikalischen Notizen in Dresden
Entstehung
zwischen 5. und 10. Juli 1811
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Oliver Huck; Joachim Veit
Überlieferung in 2 Textzeugen
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1. Textzeuge: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände, Jg. 1, Nr. 54 (10. Juli 1811), Sp. 439–440
Dazugehörige Textwiedergaben
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Kaiser (Schriften), S. 110–112 (Nr. 29)
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2. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (IV), Bl. 33b/r unten–33b/vQuellenbeschreibung
- über dem Manuskript „Dramaturgische Bruchstükke.“; Incipit: „Mit Freuden sah Ref: d: 5t: dieses bey seinem Eintritte“; Manuskript undatiert
- auf Bl. 2r und v des DBl. nach 1811-WeS-10 (WZ: Lilienblüte, Gegenmarke: MH, Format 20,4x33,1 cm); von Weber paginiert mit S. 49–50
Dazugehörige Textwiedergaben
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HellS II, S. 84–88
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MMW III, S. 39–41
Textkonstitution
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„… er beym Erwachen im 1ten“Im Entwurf 1. Akt, bei Hell II, S. 87 ebenso; bei MMW III, S. 40 und Kaiser-Schriften, S. 111 korrigiert in 2. Akt
Einzelstellenerläuterung
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„… schätzen und zu würdigen weiß“In München wurde der Joseph erstmalig in deutscher Sprache (in der Übersetzung von M. G. Lambrecht) herausgebracht; EA des Werkes hier war am 6. Januar 1809.
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„… den Vorzug der vollkommneren Ausführung“Besetzung lt. Theaterzettel (BSB): Lanius (Hebron), Mittermayr (Joseph), Regina Lang (Benjamin), Langlois (Ruben), Tochtermann (Simeon), Unhoch‡ (Naphtali), Hanmüller (Utobald), Franz (Offizier).
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„… war Jüngling noch an Jahren,“I. Akt, 2. Szene; vgl. Texbuch bei Hübschmann München 1808 (vgl. BSB digital ).
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„… das Erstemal seine Brüder sieht“I. Akt, 8. Szene.
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„… Moment beym Anblick seines Vaters“II. Akt, 6. Szene.
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„… wie dieser seinen Traum erzählt“II. Akt, 6. Szene.
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„1ten“recte „2ten“.
Lesarten
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Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.Textzeuge 2: „dieses“
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Textzeuge 1: „Eintritte“Textzeuge 2: „Eintritt“
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Textzeuge 1: „vollgefüllte“Textzeuge 2: „wohlgefüllte“
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Textzeuge 1: „Meisterstücke“Textzeuge 2: „Meister Werke“
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Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.Textzeuge 2: „nicht“
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Textzeuge 1: „nicht“Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
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Textzeuge 1: „Instrumentirung“Textzeuge 2: „Instrumentation“
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Textzeuge 1: „beynahe“Textzeuge 2: „beynah“
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Textzeuge 1: „Joseph“Textzeuge 2: „Josephs“
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Textzeuge 1: „beynahe“Textzeuge 2: „beynah“
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Textzeuge 1: „meistens“Textzeuge 2: „nur“
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Textzeuge 1: „der machte dieß, der andere jenes besser“Textzeuge 2: „der macht dieß beßer, der andere jenes“
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Textzeuge 1: „bemerkt“Textzeuge 2: „bemerkte“
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Textzeuge 1: „nur Hr. Mittermaier“Textzeuge 2: „nun H: Mitterm: nur“
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Textzeuge 1: „Scenen“Textzeuge 2: „Momente“