Carl Maria von Weber an Christoph Ernst Friedrich Weyse in Kopenhagen
Dresden, Montag, 9. Dezember 1822
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Wenn Sie mein theurer Freund mir recht ernstlich zürnen, ja mich sogar vielleicht zu dem andern Gesindel zählen das ins Gesicht gar zu verbindlich thut, und = aus den Augen, aus dem Sinn = denn auf sich anwenden läßt, so muß ich es leider Gottes über mich in Demuth ergehen laßen, denn Sie haben das Recht dazu, und ich kann nur Ihre Nachsicht für einen der geplagtesten Menschen in Anspruch nehmen.
Ich könnte Ihnen viel Ausführliches über die verschiedenen Sorten von Plagen und Zeit versplitternden Geschäften herzählen, die wenigstens beweisen würden, daß ich mindestens eben so unschuldig als schuldig bin; aber ich wende mich blos an Ihr eigenes Gefühl, und Frage Sie, ob Sie nie ähnlicher Schuld bewußt waren? besonders wenn Sie nicht bald nach Empfang eines Briefes das schreiben konnten was Sie gerne wollten? — Ich hoffe zu Gott daß Sie auch einigermaßen zu‡ schlecht sind wie ich, und tröste mich damit so gut es gehen will. Troz dieses rechtschaffenen Spizbuben Trostes aber, fühle ich mich‡ doch gedrungen, Sie recht herzlich wegen der gar unfreundlich aussehenden Verzögerung um Vergebung zu bitten, und den Grund‡ dieser Verzögerung in allem, nur nicht in einem Mangel von wahrer Hochachtung und inniger Zuneigung suchen zu wollen.
Nun zu dem das Ihre Opern* zu nächst betreffende.
Während meiner Anwesenheit in Koppenhagen bekam unser Theater einen anderen Cheff. andere Ansichten regierten. ich fühlte mich veranlaßt mich in mich selbst zurükzuziehen und eben nur zu thun was mir aufgetragen ward. die Unvollständigkeit unseres Personales, der Hang für das Südliche, brachten nebst zahllosen Gastrollen eine totale Lähmung in alles Neustudieren, wozu | die Unentschloßenheit in der Wahl noch vollkommen beitrug. Zufällig gaben die Italiener eine Oper /: il morto vivo :/ die das Sujet des Schlaftrunkes hat. Grund genug ihn vor der Hand zurüklegen zu können. Mit Ludlams Höhle war man wegen Öhlenschläger in Verlegenheit, der es als Stük dem hiesigen Theater überlaßen hatte, und wiederholt auf deßen Aufführung drang, die aber unterblieb weil es in Wien in dieser Gestalt mißfallen hatte. Erfahrungen haben nun unserem übrigens höchst achtungs und liebenswerthen Cheff, andere Ansichten gegeben, und ich darf hoffen Ihre Arbeiten auf unserer Bühne zu sehen. deßhalb habe ich sie auch nicht verabfolgen laßen, als man mir sie in Ihrem Namen abfoderte. haben Sie also nun nur noch etwas Geduld lieber verehrter Freund, ich hoffe Ihnen Erfreuliches berichten zu können. Wenigstens stehe ich Ihnen dafür, daß Ihre Arbeiten nicht überarbeitet werden sollen, wie man meinem armen Freyschützen in C: gethan. Wie herzlich habe ich über die ungemein lebens- und wiz-volle Schilderung gelacht, die Sie mir von dieser Titanischen Mulatten Geschichte machten*. So schonungslos werden Kunstwerke behandelt, über denen jeder Theaterheld hoch zu stehen glaubt, und unbedingt das nächste beste das ihm einfällt für beßer hält als das Jahre lang Erwogene des Dichters und Komponisten.
In Wien haben sie die Oper auch gut zugestuzt. und‡ aber nicht nach einem Augmentations, sondern Simplifikations System. sie haben nehmlich ganz einfach das gute und böse Prinzip heraus gestrichen, und es dem Gott im Busen der Hörer überlaßen, sich | Zusammenhang und Motive hineinzudenken. ich war im Februar und März in Wien, und recht krank. ich hatte eine neue Oper bis diesen Winter zu liefern versprochen, wurde aber durch die den ganzen Sommer dauernde Krankheit eines Collegen so mit Dienst überhäuft, daß ich erst hoffen kann im Herbst 1823 damit fertig werden zu können. Sie sehen daraus mein billig Erzürnter, daß ich wenigstens bei mir nichts vor anderen voraus habe, und gezwungen bin, mich selbst schlechter zu behandeln als mir lieb ist.
Obwohl wir des Jahres nur circa 400 Kirchendienste haben, giebt es doch selten Gelegenheit andere geistliche Musiken als Missen pp aufzuführen. doch giebt zuweilen die Kapelle Concerte, und Sie würden mich sehr verbinden wenn Sie mir die Texte schikken wollten, nebst Bemerkungen wie lange sie dauern, und was für Stimmen dabei nothwendig sind*.
Ich schließe für heute. Laßen Sie mich nicht befürchten daß Ihr Unwillen sich nicht besänftigen laße, und senden Sie bald ein Wort freundlichen Trostes Ihrem Sie herzlich ehrenden CMvonWeber Dresden d: 9t Xb 1822.
Apparat
Zusammenfassung
bittet ausführlich um Nachsicht wegen seines Schweigens; über die Veränderungen durch den Intendantenwechsel und den italienischen Einfluss; über Arbeiten Weyses, die er auch in Dresden geben möchte; erwähnt Weyses humorvolle Schilderung der Kopenhagener Freischütz-Einrichtung; über Bearbeitungen seines Freischütz in Wien und Euryanthe-Pläne; bittet um Übersendung von Texten Weyses (für Dresdner Konzerte)
Incipit
„Wenn Sie mein theurer Freund mir recht ernstlich“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Kopenhagen (DK), Det Kongelige Bibliotek (DK-Kk)
Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- von fremder Hand Auslassungsvermerke (eckige Klammern) für den Erstdruck eingetragen
Provenienz
- 1876 im Besitz von A. P. Berggreen
Dazugehörige Textwiedergaben
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tV: Fog, Dan: „Weyse og Weber. Et brev dukker op“ in: Festskrift Henrik Glahn. Kopenhagen 1979, S. 146 [unvollständig]
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Kopie von A. P. Berggreen nach dem Original: D-B, Weberiana Cl. II B, S. 857–860, Nr. 33
Textkonstitution
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„mich“über der Zeile hinzugefügt
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„den Grund“über der Zeile hinzugefügt
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„und“durchgestrichen
Einzelstellenerläuterung
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„zu“recte „so“.
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„… zu dem das Ihre Opern“Weyse schickte Weber Ende 1821 die Opern Sovedrikken und Ludlam’s hule; vgl. Tagebuch 29. Dezember 1821.
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„… Titani schen Mulatten Geschichte machten“Weyses Schilderung bezog sich auf die Kopenhagener Erstaufführung der Oper (unter dem Titel Jægerbruden), die am 26. April 1822 stattfand. Zur dänischen Einrichtung durch Oehlenschläger vgl. Webers Brief an seine Frau vom 11. März 1822.
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„… für Stimmen dabei nothwendig sind“Vermutlich hatte Weyse seine Kantaten Weber zur Aufführung angeboten.