Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
München, Samstag, 12. bis Montag, 14. August 1815 (Nr. 16)
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Also konnte es wirklich 14 lange lange Tage geben, in denen meine Lina gesund war und nicht ihres Carls gedachte? denn wenn auch 1 Brief verlohren gieng, — sonst hätte meine Lina in diesem Zeitraum 3 oder 4 geschrieben. das schöne Recht zu klagen oder dir Vorwürfe zu machen ist mir genommen, — ja! ich muß es sogar klug finden! drum verschließe dich still in dich mein heißes Gefühl, betrübe Niemand mehr, und trage so lange Du kannst was dir des Schiksals Hand auflegte.
Ich habe heute den ganzen Tag von früh 6 Uhr bis jezt ununterbrochen recht viel gearbeitet. bin auch ziemlich erschöpft und die Augen wollen gar nicht mehr ihre Dienste leisten. Blike ich so auf von meinem Papier durchs Fenster in die finstre Nacht hinaus, und blinken mir von der Stadt einzelne Lichtleins herüber, so denke ich immer an dich, und wie gerne ich immer Abends noch die lezten Lichtstrahlen aus dem Fenster fallen sah, wo mir eine liebe theure Stimme ein herzliches gute Nacht zurief. Sieh! dann kann ich nicht schlafen gehen, ohne sie‡ dir zuzurufen, Und wenn du auch nun schon den lezten Faden abzureißen beginnst, so wirst du doch gut noch die lezten aber immer gleich innigen Laute deines Karls aus der Ferne aufnehmen. ich könnte wohl fast glauben dir lästig zu werden, aber diese lezte Freude gönne der treuen Seele, deren Tiefe und Innigkeit du‡ nur einstens begreiffen und einsehen wirst. mögest du so ruhig und froh schlafen als ich dir es vom Grund meines Herzens, ohne alle Bitterkeit wünsche. ich bin beßer geworden; sonst, wäre ich vielleicht nicht so gewesen. aber ich bin recht gut, recht weich!
schlafe wohl und sey glüklich. Gute gute Nacht von Deinem Carl.
Verzeihung meine geliebte Lina wenn ich dir wirklich unrecht gethan habe. mit Freuden will ich es bekennen und um deine Vergebung bitten. endlich nachdem ich schon beynah die Hoffnung aufgegeben hatte eine Zeile von dir zu sehen, erhielt ich eben deine 2 Briefe No: 13 und 14 vom 4t und 7t zugleich*. Wie das zugeht ist mir unbegreifflich. 2 Posttage giebt es nur in Prag d: 5t oder d: 9t müßen sie auf die Post gegeben worden sein, oder | man hat sie zu Hause liegen laßen. — Dem sey wie ihm wolle — ich habe sie […]‡ nun endlich und Gott sey es gep‡riesen ein gewißer heiterer Sinn leuchtet daraus hervor der mich das Beste für deine Gesundheit und Zufriedenheit hoffen läßt. möge nur dein nächster Brief nicht wieder diese schöne Hoffnung zerstören und wieder trübe sein, möge Gott dir einmal die Kraft schenken eine Stimmung fest zu halten und nicht auf für dich peinliche weise der Spielball jedes oft geringfügigen Umstandes dein Gemüth sein. Dieser ofte Wechsel hat mich so schwer vertrauend gemacht, daß ich mich beynahe nie ganz rein über einen frohen Brief von dir freuen kann, weil sogleich die düstre Ueberzeugung mit ihm Hand in Hand geht, daß der nächste dann desto finsterer wieder erscheinen wird. ich werde sogleich in Gottha‡ besorgen daß dein Brief an mich hieher geschikt werde. du mußt meinen Brief damals nicht recht gelesen haben, mit Gewißheit habe ich dir gewiß nichts geschrieben, im Gegentheile.
Nun zur Beantwortung deiner lieben theuren Zeilen. ich weiß […]‡ nicht ob ich Recht habe, oder läßt der unaufhörliche an mir nagende Gram mich über alles einen Flor ziehen, aber es [ist] mir als herrsche in diesen beyden Briefen eine Art von Fieber hafter Fröhlichkeit — ich weis es mir nicht zu deuten und zu sagen, aber ganz unwillkührlich ergreifft mich so ein Gefühl. Ein wehmüthiges Lächeln zwingst du mir oft durch Thränen hindurch ab, wenn ich lese — vergiß den lezten Brief der dir so wehe that, mit Thränen habe ich dir ihn abgebeten. — O meine geliebte Lina, wie oft haben schon gleich schöne versprechende Vorsäzze dich erfüllt, wie oft wolltest du dieß schon, aber der finstre Dämon deines argwöhnischen reizbaren Gemüthes zerstört dann jedesmal wieder mit einem Hauch die schönsten Hoffnungen. mir muß es gut gehen? — Gott gebe es, ich glaube und hoffe kaum mehr. — auch Liebich hat mir vom Gutsherrn geschrieben — es soll eine recht schöne Darstellung gewesen sein*. —
Das Gerücht daß ich hier in München bleibe, ist wahr — aber, erschrekke nur nicht gleich — nur bis zum 5t September ist es wahr. die elenden Menschen. ich habe nie mein Wort gebrochen, also werde ich wohl auch einen Contract halten. Auch hier leiden viele Menschen von dem naßen trüben Wetter. und mein armer Mukkel mußte schlaflose Nächte zubringen? was mögen da die kleinen Teufelchens freyen Spielraum gehabt haben. Es thut mir recht leid, daß ich H: Schwenke aus Hamburg nicht habe in Prag empfangen können*. er ist ein sehr gelehrter Musiker. Das Beutelchen von der guten Weisse hebt mir meine geliebte Lina auf.
Du frägst seltsam, dunkel und geheimnißvoll. Wie kannst du glauben daß es mir nicht unendlich schmerzhaft wäre, wenn du mich so kalt und fremd behandeltest, als du in manchen deiner Briefe andeutest.
Nein, das hoffe ich nicht von dir, und habe es auch nicht verdient. Sey gut und herzlich. ich bin ewig derselbe, das wird meine Lina selbst durch den für‡ ewig festgewurzelten Trübsinn erkennen, und sehen. |
Ich arbeite sehr viel. besonders rükständige Aufsäzze, Kunstbriefe pp. Man hat dich mit einer Geliebten von mir genekt? darüber läßt sich gar nichts sagen. man muß mich sehen, mein Leben und mein Wirken, und selbst die schaamloseste Lüge würde verstummen. nur die höchste Nothwendigkeit treibt mich unter die Menschen. nun mein ConcertT vorbey ist, verlaße ich oft Tage lang mein kleines Zimmerchen nicht. Sey ruhig geliebte Lina, für mich ist alles todt. Es freut mich daß deine Stimme sich beßert und du wieder Freude am Singen hast, auch daß ein geübter Sänger wie H: Ehlers daßelbe sagt was ich dir so oft von deiner Stimme wiederholte. dieses Zeichen deines wiederkehrenden frohen Muths und Gesundheit ist sprechend. Gott mache Dich froh und heiter! — —
Mein liebes graues Kanapee — welch ein Strom der schönsten und bittersten Errinnerungen meines Lebens stürzt da auf mich ein. doch nur an denen ersteren halte ich. nie werden sie mir so wiederkehren. — —
Du sprichst von einer Wolke die über dir schwebt? was kann das sein? aber sey es was es wolle, an meiner treuen Brust sollst du jedes Leid niederlegen in ihr schlägt ein Herz das nur Wünsche für dein Wohl kennt, und in allen Stürmen des Lebens wird dir dieser sichere schüzende Hafen offen stehen. — In Deinem 2t Brief bis[t] Du schon viel bewegter, und trübe Ahndungen die wahrscheinlich blos wieder deine geschäftigen Phantasien erzeugt haben, sprechen aus dir.
Wie gerne möchte ich über Berge und Thal fliegen wenn ich dir sie wegnehmen könnte. aber das konnte ich leider nie. ich werde meine Rükkunft so viel als möglich beschleunigen, und wenigstens meine UrlaubsZeit nicht überschreiten, obwohl die Arbeit die auf mir liegt vermöge ihres großen Zwekkes und der ausgedehnten Arbeit, eine von keinen anderen Geschäften unterbrochene Zeit fodert. H: Clement muß sich schon gnädigst noch gedulden. d: 6t September kann er abreisen, so entbehre ich noch das Vergnügen ihn zu sehen. in die Geschäfte will ich mich schon ohne seine Notizen finden.
Nun lebe wohl theure geliebte Lina. sey froh und heiter, verbanne deine quälenden Ahndungen, erhalte dich der Kunst, und gedenke in Liebe und Freundlichkeit deines dich ewig unveränderlich liebenden treuen‡ Carls.
H: Schwarz nebst Familie grüßt bestens vW:
Apparat
Zusammenfassung
zunächst Klage über das Ausbleiben von Briefen Caroline Brandts; 14. August: Reaktion auf zwei gleichzeitig eingetroffene Briefe von ihr; teilt mit, dass er den Rest seines Urlaubs in München verbringen wolle, um ungestört arbeiten zu können; erwähnt schriftstellerische Arbeiten
Incipit
„Also konnte es wirklich 14 lange lange Tage geben“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. II A a 1, Nr. 11Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- PSt.: a) R. 4. MÜNCHEN | 14. AUG. 1815; b) Chargé
- Bl. 2v (Adresse) unten links Echtheitsbestätigung von F. W. Jähns: „Carl Maria von Weber eigenhändig an seine Braut.“
- auf Bl. 1r oben rechts Ergänzung von F. W. Jähns mit Bleistift: „1815: München.“
Provenienz
- vermutlich zu jenen 60 Weber-Briefen gehörig, die Max Maria von Weber Anfang 1854 an Friedrich Wilhelm Jähns verkaufte; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 403
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Bartlitz (Muks), S. 187–192 (Nr. 33)
Themenkommentare
Textkonstitution
-
„Th“„d“ überschrieben mit „Th“
-
„2“„d:“ überschrieben mit „2“
-
„sie“„Sie“ überschrieben mit „sie“
-
„du“über der Zeile hinzugefügt
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„[…]“gelöschter Text nicht lesbar
-
„p“„s“ überschrieben mit „p“
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„Gottha“sic!
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„[…]“gelöschter Text nicht lesbar
-
„für“über der Zeile hinzugefügt
-
„… treuen“dreifach unterstrichen
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„… “Postskriptum auf der Adressenseite (in gefaltetem Zustand rückseitig neben dem Siegel) quer zur Schriftrichtung:
Einzelstellenerläuterung
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„erhielt ich eben … 7 t zugleich“Erhalt der Briefe ist im Tagebuch bereits am 13. August 1815, also einen Tag zuvor, vermerkt.