Carl Maria von Weber an Thaddäus Susan in Teisendorf
München, Mittwoch, 26. Juli 1815
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Wahrlich unvergeßlicher Freund, nur ein Herz, wie das deine konnte meines ganz verstehen und den Glauben an den nicht verlieren, der auf eine eigentlich nicht zu entschuldigende Weise stumm für dich blieb, – obgleich er bey Gott mit alter gleicher Liebe an dir hing, und unvergeßlich ihm die Zeit bleiben wird, wo auf deinem stillen Kämmerlein der emporstrebende Funke von der Hand der Freundschaft ermuntert und gepflegt wurde. Aber so geht es, ich hatte dir immer so viel zu sagen, wollte dir gerne ein Bild meines ganzen Lebenslaufes seit unserer Trennung geben, und kam endlich über dem Vorsatz alles zu geben – zu nichts. Höchst seltsam ist es, daß deine Briefe immer um die verwirrtesten und thatenreichsten Epochen fielen, aber stets wohlthätig auf mich wirkten, mir stets wieder das schöne Vertrauen auf Freundschaft und an Menschen neu belebten, und zugleich mich die Umstände immer hinderten meine Gefühle dir auszuströmen.
Deinen Brief vom 22. November 1811 erhielt ich den 27. in München, im Augenblicke meiner Abreise von da, im Sturm und Drang der Geschäfte und Vorbereitung zu einer jahrelangen Reise. Viel hast du gelitten, aber auch getragen wie ein Mann und endlich doch dir Glück und Zufriedenheit erkämpft. Ich trieb mich in Wien, Berlin, Prag, Leipzig etc. herum, und wurde endlich in Prag festgehalten. Hier stürmte mit der neuen Organisation eines ganzen Opernwesens ein fast erdrückendes und Verdruß bringendes Geschäft über mich in dem Augenblick herein, wo ich eine sechs-wöchentliche gallicht-rheumatische Fieberkrankheit ausgestanden hatte. Ein fünfzehn-monatlicher Kopfschmerz war die Folge davon. Endlich wurde ich diesen Gast verflossenen Sommer durch Bäder los. Aber ein anderer heftigerer Schmerz ergriff mich jetzt, ein Gefühl, das ich bis dahin nie gekannt, bemächtigte sich meiner und zwar in den unglücklichsten Verhältnissen. Mein Loos als Künstler verdrängt das Glück des Menschen in mir. Auf alles Lebensglück Verzicht leistend, bin ich also ein Schlachtopfer der Welt – in diesem Sturm erhielt ich den 18. März 1815 deinen lieben Brief und die Gesänge* vom 31. August 1814. Herzlichen innigen Dank für deine tiefgefühlten Melodien. Wol ist der Geist in ihnen nicht erstorben, und die höhere Ansicht, nach der sie behandelt sind, beurkundet die Fortschritte deiner Bildung und des Fleißes, mit dem du die Kunst pflegst. Fahre fort auf dem schon betretenen Wege. Könnte ich doch bey dir sein und wir uns aussprechen im Wechsel der Ideen, Ansichten und Erfahrungen. Um vieles bin ich dir in diesem Augenblicke näher, mein jährlicher Urlaub führte mich dießmal wieder einmal nach München. Könnte ich dich doch herzaubern, oder mich zu dir! Den 31. wahrscheinlich ist mein ConcertT und vielleicht bleibe ich noch bis Ende August hier, um still zu arbeiten, und dann nach Prag ins Dienstjoch zurückzukehren.
Wenn du wieder etwas herausgeben willst, theurer Bruder, so erlaube, daß ich dir bessere Wege zeige, deine Arbeiten in’s Publikum zu bringen. Ich werde dir dann für einen Verleger sorgen, wo du nicht nur keine Unkosten haben, sondern auch deine Freude haben sollst, endlich auch einmal Früchte deines Strebens zu ernten.
Du bist also glücklicher Gatte und Vater. Heil und dreimal Heil dir. Gott erhalte dir diese Zufriedenheit und die Gesundheit der Deinigen. Deine liebe Gattinn grüße ich herzlichst und befreundet, sie gehört ja dir an und schafft dein Glück. und wenn dein Sohn herangewachsen ist, und sich in ihm der Geist des Vaters regt, wenn er auch der Kunst sein Leben weihen will; dann rechne mit Zuversicht auf willige treue Hülfe deines alten Webers, der dem Sohne seines Jugendfreundes mit aller Liebe das Errungene mittheilen wird.
Und nun lieber Bruder reiche ich aus der Ferne die treue Hand, die Zeiten konnten sich ändern, aber unsere Herzen nie; verzeihe mein langes Stillschweigen, und beweise mir es durch eine baldige Antwort. Nicht immer sollst du mich so säumig finden. Lebe wohl und froh und gedenke in Liebe deines unveränderlich treuen Freundes und Bruders C. M. v. Weber m. p.
[Ergänzung der Redaktion:]
Mitgesandte Gedichte: „Rosa.“ „Das Herz und die Seele.“ „An den Abendstern.“ „Das Hütchen.“ „Tugend.“ „Am 1. May 1815.“ „Unsterblichkeit.“ „Das Grab.“ „Wiegenlied für meinen Sohn Friedrich.“
Apparat
Zusammenfassung
antwortet auf mehrere Briefe Susans nach mehrjährigem Schweigen; gibt einen kursorischen Bericht über sein Ergehen seit Ende 1811; dankt für übersandte Lieder Susans
Incipit
„Wahrlich, unvergeßlicher Freund, nur ein Herz“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung in 2 Textzeugen
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1. Textzeuge: Verbleib unbekannt
Dazugehörige Textwiedergaben
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Thaddäus Susan, Ein Brief von Carl Maria von Weber, in: Iris. Zeitschrift für Wissen, Kunst und Leben, Jg. 3, Nr. 56 (12. Mai 1827), S. 222 (darin nur Auszüge)
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in englischer Sprache veröffentlicht in: Musical Opinion & Music Trade Review, 1. Dezember 1879, S. 25 (mit Begleitschreiben an den Redakteur der Zeitung vom 18. November 1879 von Ludwig Nohl, der den Brief fälschlich als unveröffentlicht bezeichnet)
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2. Textzeuge: Briefe von Carl Maria von Weber, in: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Jg. 28, Nr. 5 (7. Januar 1843), S. 34f.
Dazugehörige Textwiedergaben
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Nohl, Ludwig: „Briefe C.M.von Weber’s“, in: Mosaik. Leipzig 1882, S. 86–88 (Nohl bezieht sich hier auf den ersten kompletten Abdruck des Briefes 1843)
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Themenkommentare
Textkonstitution
Textwiedergabe nach dem Erstdruck des kompletten Briefes 1843 (lt. Redaktion lag der Veröffentlichung das Original von den Angehörigen des Empfängers vor)