Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Prag, Dienstag, 18. Oktober 1814
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S. Wohlgebohren
dem Herrn Professor
Dr: Lichtenstein
zu
im linken Flügel
des UniversitätsGebäudes.
2t Stok.
Lieber Bruder!
Kaum angekommen, stürzte ein solcher Schwall von Arbeiten, von für mich sorgfältig aufgehobenen Verdrußes über mich her, daß ich bis jezt keinen Augenblik finden konnte, dir auch‡ mein Einrükken in das StandQuartier auch nur anzuzeigen. Selbst Heute werde ich nur kurz dir sagen können wie es mir geht und was ich treibe. d: 17t Sept: schrieb ich an dich. d: 18t reiste ich nach Gotha mit dem Herzog und spielte Abends bey Hofe. d: 20t desgl: und d: 21t reiste ich nach Altenburg ab, wo ich d: 23t Concert gabT, und endlich d: 25t glüklich Hier anlangte. Je näher ich dem Großen Steinhaupfen kam je gepreßter fühlte ich meine Brust, und wahrlich meine Ahndung hatte mich nicht betrogen, denn ich war in wenig Tagen, wieder ganz in der alten unglükseligen Geisttödtenden Stimmung. 1000erley Zufälle und Umstände die dem Papiere nicht zu vertrauen und auch zu weitläufig wären, drükten mich nieder. doch kämpfe ich mit Macht dagegen, und hoffe wenigstens nicht ganz zu unterliegen, und etwas Thätigkeit und Lust zum Arbeiten zu erhalten. Hier fand ich einen Brief von Romberg, den ich schon wieder dem Herzog gemeldet habe. d: 4t huj: erhielt ich einen sehr herzlichen Brief von Graf Brühl — von München aus auf der Reise seine Braut zu holen, – Worinn Er mir schreibt daß er höchst wahrscheinlich nach Iffl: Tode Intendant würde, und dann sicher darauf rechnete mich für Berlin zu gewinnenT. im Augenblike des Empfanges wuste ich schon Ifflands Tod, und antwortete ihm d: 8t daß ich vor allem wißen müste, welcher WirkungsKreis mir zu Theil werden würde, dann könnte sich das übrige finden. Ich bin nun begierig von dir zu hören, was seitdem in Berlin vorgegangen und was du für rathsam hältst. — Es war hohe Zeit daß ich zurük kam, denn die Unordnung war aufs Höchste‡ gestiegen, und man hatte allgemein fühlen lernen daß Ihnen eine sichere Hand fehlte.
Ich hätte längst gerne an die gute Koch, an Gubiz pp geschrieben aber es [war] mir durchaus unmöglich, denn die paar Stunden die ich für mich habe, werden so zerstükkelt durch Millionen Besuche | daß man kaum einen zusammenhängenden Gedanken faßen kann, bey der 3t oder 4t Zeile gewiß jedesmal eine Störung.
Kysting sage alles Schöne, und daß bald entweder Geld oder Wagen zurükkommen würden. Er hielt sich sehr gut, und ich bin Kysting den besten Dank dafür schuldigT. Von den Körnerschen Liedern, habe ich 7–8 4stimmig comp:* unter denen ich einige gelungen glaube*.
Nun lebe wohl lieber Bruder sieh diese
Zeilen, nur als ein schwaches LebensZeichen von mir an, und glaube daß du desto inniger
und fester in meinem Herzen lebst. Grüße alle Bekannte aufs Beste. Wollank, auch Zelter, die ganze Academie
p p p p von deinem
ewig treuen Bruder
Weber.
Prag d: 18t 8ber 1814.
Apparat
Zusammenfassung
Bericht seit 18. Sept.; nach Rückkehr sei er in „alten Zustand“ verfallen; erwähnt Brühls Brief und Hoffnung auf Berliner Stelle; erwähnt Komposition von Körnerschen Liedern
Incipit
„Kaum angekommen, stürzte ein solcher Schwall von Arbeiten“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
Themenkommentare
Textkonstitution
-
„auch“durchgestrichen
-
„Höchste“Korrektur unklar: Höchste aus höchste oder umgekehrt?
Einzelstellenerläuterung
-
„… habe ich 7–8 4stimmig comp:“Bekannt sind lediglich jene sechs vierstimmigen Körner-Vertonungen, die Weber zum op. 42 zusammenfasste. Da Webers Tagebuchnotizen der zweiten Jahreshälfte 1814 verloren sind, ist nicht gänzlich auszuschließen, dass er noch weitere Körner-Texte als Chöre vertonte, die erhaltenen Entwürfe enthalten jedoch nur die sechs bekannten Nummern. Möglicherweise zählte Weber hier fälschlich den später nicht ausgeführten Entwurf zu einem Schlummerlied („Die Engel singen den Wiegengesang“) hinzu, der innerhalb des Dresdner Teilentwurfs der Chöre aus Leyer und Schwert notiert ist (D-Dl, Mus. 4689-C-2), dessen Text allerdings nicht von Körner, sondern von Carl Grumbach stammt. In seinem eigenen Werkverzeichnis erwähnt Weber ausschließlich die im Druck erschienenen Chöre.
-
„… denen ich einige gelungen glaube“C. F. Rungenhagen zitierte diese Briefpassage in seiner Weber-Schrift von 1826 (S. 4) und setzte hinzu: „Wie wenig kennt oft der Schaffende den Werth seiner Arbeiten! – Diese Lieder haben sich als vortrefflich bewährt. Kraft und Kühnheit, bei möglichster Einfachheit, bezeichnen sie als Meisterstücke. Schnell verbreiteten sie sich und haben nicht wenig zur Begeisterung der deutschen Streiter beigetragen.“