Aufführungsbesprechung Berlin: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 16. Januar 1826
Korrespondenz-Nachrichten.
Berlin, 16. Januar.Carnevals-Opern. Euryanthe.
[…] – Wie sehr man nun auch wird über den TextT der letzten Weberschen Arbeit Klage zu führen berechtigt seyn, so möchte sich doch kein dem Musikcharakter unseres Komponisten gemäßerer haben finden lassen. Denn hat er es mit den übrigen besten Musikern gemein, Wort und Musik nicht zu trennen, so ist dagegen sein Eigenthümliches, daß er in den Inhalt der Musik zum ersten Mal durch den Freyschützen den Kampf des Bösen und Guten eingeführt hat, die sich ein Mal als Mächte im Samiel und Eremiten gegenüberstehen, zu denen sich sodann, Kaspar auf Seiten des Bösen, auf Seiten des Guten aber die Uebrigen gesellen, während sich in Max beyde Seiten bekämpfen, und in der Braut, welche, als die nur Gute, ihm angehört, und von ihm getrennt ist, statt der Heiterkeit An[n]chens, Sehnsucht und schwermüthige Ahnung bey kindlichem Vertrauen auf Gott vorherrschen lassen. Aus diesem Inhalte der ersten epochemachenden Weberschen Komposition ließe sich ganz deutlich ableiten, wie er konsequent in diesem Charakter fortschreitet, die Welt ist ihm nur in Gutes und Böses geschieden, das Böse hat vorübergehende Macht, das Gute ist nicht im Kampf mit sich selbst, sondern als reine Schuldlosigkeit nur mit dem Bösen im Zwiespalt, dem ein achselzuckendes Leider sehr große irdische Gewalt im Jammerthale des Lebens zugesteht. So muß die Tugend immer viel mit dem Weltlauf streiten. Erst in einer anderen Welt ist das Gute unangefochten, erst dort erwirbt die verkannte | Tugend ihren Lohn: die Tugend muß in ihrem Leiden zum Himmel blicken. Auf diese Weise weht denn auch durch Webers Töne stets der geheimnißvolle Hauch einer fernen Geisterwelt, wegen welcher alles geschieht, an welche immer als letzte Instanz hoffend und gläubig appelliert wird. Außerdem dringen der überall auftauchende Teufel, und das nackte Böse viel Unheimliches und Unerfreuliches in die Komposition, während es dem nur Guten an ächter Tiefe fehlt. Man möchte oft sagen: „unschuldig und nichts weiter!“ Außerdem wird man des Mitleidens für unschuldig Leidende und ihres steten unnützen Jammers höchst überdrüßig. Deswegen kann denn auch Euryanthe nicht Jedwedem gefallen, obgleich viele, die in solcher Weltdarstellung noch ihre eigene Ueberzeugung wi[e]derfinden, beschwören werden, es sey noch keine so vortreffliche Oper als Euryanthe gedichtet worden, ja sie sey allen Gluckischen und Mozartischen bey weitem vorzuziehen. Der Nathan ist ein trefflich gemachtes Stück; die Erzählung von den drey Ringen ausgezeichnet, aber dennoch müßten wir, um den Nathan mit Freude darstellen zu sehen, erst all unser Denken und Wollen in eine neue Form umgießen. Aehnlich ist es mit der Euryanthe im Elemente der Liebe. An die fleckenlose Unschuld, an die reinen tugenhaft Liebenden sind Eglantine, als die giftige, aber schmeichelnde Schlange und Lysiart, als schon erkennbarerer Bösewicht gefesselt, die sorglos vertrauende Euryanthe wird verrathen, verkannt, verstoßen, gerettet. Die Bösen verläumden, siegen und gehen unter. – Ebenso nun wie gut und bös, wie Himmel und Erde, Gott und Teufel ist bey Weber musikalischer Genius und musikalische Reflexion geschieden. Das Böse läßt sich nicht unmittelbar in Musik setzen; (wie unmittelbar sonst auch wohl Menschen böse musikalische Eingebungen kommen mögen) dazu gehört Ueberlegung, verständige Betrachtung, Auswahl; solche Dissonanzen, wie sie Hölle und Teufel erfordern, wollen durch lange Arbeit erst herausgegrübelt seyn. Zu dieser Reflexion gehört denn auch die ausgearbeitete Orchestrik. So finden wir denn in Webernschen Opern drey oder vier Hauptmelodien, die immer wiederkehren, das Uebrige ist Erzeugnis der Reflexion, des Fleißes, des unverschleierten Studiums, und man kann deutlich erkennen, wo der Genius herabschwebte, und wo er der Reflexion Platz machte. Das bringt solcher Inhalt so mit sich. Würden Beyspiele verlangt, so begönne die Reihe sogleich mit der Ouvertüre, welche reflektirend die Hauptgeniusgedanken der Oper aneinanderreiht, und als Inhaltsanzeige vorausschickt, als zum Beyspiel: „Erstes Kapitel; Adolars vertrauungsvolle‡ reine Minne und Kampf mit dem schnöden Unglauben an weibliche Tugend. Zweytes Kapitel; Emma, oder das Schweben zwischen Himmel und Hölle einer Selbstmörderinn, bis die Thräne der Unschuld in den Ring fällt, woraus die Schuldige Gift getrunken, u. s. f.“ Dabey drängt sich nun freylich sogleich die Bemerkung auf, wie es über alle Massen langweilig sey, daß all das Leiden und der vielfältige Jammer nur ahnfraulicher Weise eines längst vermoderten Liebespaars wegen vor sich geht, und wir glauben Weber habe sich an solchem Inhalte nur befriedigt, weil dadurch überhaupt ein Jenseits mit sehnsüchtigem Mondscheinschimmer diese sublunarische Jammerwelt bescheint, und in diesem Sinne ist ihm die Komposition der ganzen Oper ausgezeichnet gelungen. Ihr Inhalt würde vortrefflich zu einem schauerlichen Melodram passen, denn daß die Schuldlosen aus lauter Gutmüthigkeit zur unrechten Zeit schweigen, und dafür nachher um sich zu strafen, wenn es zum Sprechen Zeit wäre, ebenso tugendhaft schweigen, daß die Tugendhaften in ihrem heiligen Tugendeifer nebenbey höchst grausam und unbarmherzig sind, und einem armen Mädchen, weil es ihnen treulos scheint, den Mordstahl in die Brust stoßen wollen, und nachdem es für den Geliebten augenscheinlich das Leben hinzugeben sich bereit ¦ zeigt, in einer Wüsteney, wo denn doch, außer Menschen, noch manch andere gefährliche Bestien aus den Koulissen hervorgezogen werden, großmüthigerweise einsam und unbeschützt zurücklassen – darüber darf sich Niemand wundern, es folgt ganz konsequent aus solchem Inhalte.
Die nähere Analyse nun der Komposition müssen wir für andere Zeit versparen, um für das Lob der heutigen Darstellung den gehörigen Raum zu gewinnen. Die Dekorationen sind sämmtlich schön und prachtvoll, zumal können der Rittersaal im zweyten, und die Burg im dritten Akt rühmend hervorgehoben werden. Den Lindwurm, der Adolar zum St. Georg macht, möchte man zwar als zu unnatur-historisch und fabelhaft tadeln, aber er wird dadurch ein desto besseres Gegenstück zu der früheren Geisterhistorie der guten Emma. Dagegen scheint Madame Seidler in den Weberschen Kompositionen erst ihr eigentliches musikalisches Element gefunden zu haben, denn solches liebliches Bild von Unschuld, Innigkeit, Glaube, Liebe und Hoffnung hat uns noch nicht von der Opernbühne herab gelächelt und geweint. Besonders gelang ihr jeder schuldlose Ausdruck eines reinen liebenden Herzens; ferner die Scene in der Wildnis, und das wiederholte Wiedersehensduett: „Hin nimm die Seele mein!“ Auch Herr Bader gibt den Liebes-, Tugend- und Ehre-Helden mit gehöriger Innigkeit und Strenge, und zweckmäßigem Aufwande von Tugendeifer, Schmerz und Zorn. Das Minnelied im ersten Akt, die Cavatine und der Ausdruck des festen Vertrauens auf Euryanthens Treue im Finale des zweyten Akts sind seine Hauptmomente. Aber für Herrn Blume (Lysiart) muß der große Helm mit den Geisterflügeln und der herabhängende Bart spielen; schade nur, daß für ihn nicht auch die Erfindung einer Singmaschine gemacht ist, die er mit seinem Athemaufwande höchst zweckmäßig in Bewegung setzen könnte, denn ohne solche Hülfe sieht man Herrn Blume nur singen, oder hört nur hin und wieder einige besonders böse Töne seiner Lasterarien und Recitative. Desto vollendeter ist der Gesang der Madame Schulz als Eglantine; die geheime Gluth, das arge schlangenzüngelnde Schmeicheln gelingt ihr vortrefflich mit dem zum ersten Mal in Musik gesezten Wahnsinn und dem höllischen Hohngelächter bey dem Namen „Euryanthe“ erwirbt sie sich, wie Adolar und Madame Seidler den Sängerkranz, und wenn sie nur die erste Arie des zweyten Akts: „o mein Leid ist unermessen!“ klarer heraustreten ließe, wären Spiel und Gesang in allen Theilen vollkommen. Am König (Herrn Devrient d. J.) erkennt man nur durch die Lilien die französische Majestät, im Uebrigen läßt er die an sich schon unbedeutende Rolle auch bis zur äußerlich vollkommensten Nullität herabsinken, was doch in allen monarchisch-europäischen Staaten nicht sollte geduldet werden. Das Publikum erwärmte sich erst beym Tanz, und beklatschte Herrn Hoguet und Dem. Lamperi zwar nicht unverdient, aber gegen die Aufnahme der Musikstücke gehalten denn doch mit unverhältnißmäßigem Eifer. Die königliche Kapelle übertraf ihren dirigirenden Meister.
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Bandur, Markus
Überlieferung
-
Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 20, Nr. 42 (18. Februar 1826), S. 167f.