Korrespondenz-Nachrichten aus Berlin: Über Gaspare Spontini und seinen Umgang mit Kritik

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Die glückliche Zeit ist wieder da, wo unsere schöne und – reiche Welt gleiche Triebe beseelen, als wir im Spätherbste an mehrern neidenswerthen Bewohnern der Lüfte bemerken. Sie will, sie muß ihren bisherigen Wohnsitz mindestens auf mehrere Wochen oder Monate verlassen. Sie denkt nur ans Reisen, spricht nur von Reisen, und liest, schreibt und thut nichts, als in Beziehung aufs Reisen. Deute ihr das übel, wer kann; gehörte man mit zu ihr, beym Zeus Xenius! man machte es gerade wie sie.

Der Mann, der sonst von Amtswegen unseres heimischen Vergnügens vornehmlich zu warten und zu pflegen hat, unser Orpheus, ist schon längst, wo nicht über alle, doch über die nächsten Berge. Die Reisepräludien des Hrn. Ritters Spon|tini haben verhältnißmäßig nicht halb so lange gedauert, als das acherontische Einstimmen der Instrumente, das man sich leider auch unter seiner Regierung vor jeder Oper gefallen lassen muß, und das doch gewiß auf jedes gebildete Ohr recht eigentlich furienartig einwirkt. Wie groß auch so ein Mann seyn mag, so ist eine Stadt, wie Berlin, doch immer noch größer; wenn man es nicht hörte, sehen würde man es gewiß nicht, daß er darin fehlt. Eine neue Oper hat er eben vollendet, – jezt genießt er aber statt Oper der schönen Natur. Wahrscheinlich ist er in diesem Augenblick an den Ufern des Rheins schon mit der Ouvertüre beschäftigt. Nun so ein Miniaturgemälde kann nie mißglücken, wenn man die sämmtlichen Taschen so voll ehrlichen deutschen Geldes hat, als der Herr Ritter! Dagegen würde indeß Niemand etwas haben, wenn man nur nicht bestimmt wüßte, daß an alle Redakteurs der hiesigen öffentlichen Blätter die ernstliche Weisung ergangen wäre: „gegen die eben vollendete Oper, welche von dem Herrn Ritter zur Vermählung der liebenswürdigen Prinzessin Alexandrine komponirt worden, durchaus nichts aufzunehmen, was einem Tadel auch nur ähnlich sähe.“ Kann es der berühmte Verfasser der Vestalin einem Deutschen übel nehmen, wenn er es sich nicht ausreden läßt, daß diese Weisung auf sein Ansuchen, oder doch durch entfernte Vermittelung von ihm, gegeben wurde, und wenn er eben deßhalb im ganzen Ernste ein wenig böse auf ihn ist?

Was beabsichtigt wohl der gute Mann damit in einer Hauptstadt, wo noch gar Mancher lebt, der es mit seinen eigenen Augen gesehen hat, wie der große Friedrich, seiner guten Absichten wie seiner Talente sich bewußt, ein auf ihn – den König! – verfertigtes Straßenpasquill von dem unbequemen höhern Standpunkte herab zu einem tiefern und bequemern rücken ließ, damit es – die ganze Welt möchte lesen können? Allgemeine Privilegien gegen die Kunstkritik gab es bis jezt wenigstens in Deutschland noch nicht, will er sie zuerst einführen? Ein allgemeiner Beyfall läßt sich bekanntlich nirgends erzwingen, und bey der Geradheit und Aufrichtigkeit des deutschen National-Charakters unter uns gewiß weniger, als irgendwo, und am allerwenigsten in Hinsicht auf eine Kunst, in welcher die vaterländischen Meister über alle Meister der Welt so einzig hervorragen.

Obwol man seine Vestalin nie über die unsterblichen Werke Glucks und Mozarts, ja nicht einmal neben dieselben stellte; so hat man doch dieser seiner nicht mißlungenen Arbeit bey uns überall die vollkommenste Gerechtigkeit widerfahren lassen. Verlangt er aber mehr als Gerechtigkeit, so kennt er die Deutschen fürwahr noch sehr schlecht. Auch ist es noch weniger ihre Sache, sich mit Gewalt zwingen zu lassen, das Nichtschöne schön zu finden. Und gesezt, er könnte allen unsern kompetentesten Geschmacksrichtern die Hände binden, den Kopf und die Zunge wird er ihnen doch frey lassen müssen. Sie werden vor wie nach, ein jeder in seinem Kreise, laut äußern, was sie über seine Werke urtheilen, und in welchem Grade der Herr Ritter ihr Ohr, ihre Phantasie, ihre Empfindung oder ihren Geschmack zu befriedigen weiß, oder in welchem nicht, und ihm, dem Privilegirten, wird es fürwahr nicht viel nützen, daß er einige von seinen exaltirten Freunden, oder gar einige Subjekte, die man noch nicht einmal so unschuldig bezeichnen kann, in unbemerkten literarischen Winkeln für sich auftreten und in dem vollsten Posaunentone von sich lobpreisen läßt.

Der Herr Ritter, der wahrlich auch im Wissenschaftlichen tief unter unserm Gluck stehen würde, wenn er nicht bereits deutsch verstünde, nehme also hier von einem Deutschen den wohlmeinenden Rath: die Kritik ihren einmal gewohnten freyen Gang gehen zu lassen, und statt uns vorschreiben zu wollen, was wir schön finden sollen, lieber etwas Schönes zu liefern. Befolgt er ihn nicht, so wollen wir ihm, ohne Propheten zu seyn, vorhersagen, daß er es in Berlin nie zu der Achtung, viel weniger ¦ zu der Liebe bringen wird, zu welcher es vormals sein Landsmann Righini gebracht hatte, dem es aber, obwol er sah, daß man ihn eben so wenig für einen zweyten Mozart hielt, als den Herrn Ritter, fürwahr auch im Traume nicht einfiel, sich gegen die Kunstrichter und ihren Geschmack ein öffentliches Privilegium ertheilen zu lassen.

Wenn er die Sache auch nur als Italiener überlegt, so muß er finden, daß es mit dem Privilegiren unter uns nicht geht. Wir wollen ihm das an dem Beyspiele seines dermaligen größten Nebenbuhlers, an dem Beyspiele des Hrn. v. Weber, so klar machen, wie die liebe Sonne, die ihm eben so schönes Reisewetter schaffen hilft. Der Freyschütz, wahrscheinlich dem Herrn Ritter kein kleiner Dorn im Auge, hat in Berlin ganz unglaubliches Glück gemacht, und dieß leider zu einer Zeit, wo man hoffte, daß der Schöpfer einer Vestalin auf ein so bewegliches Publikum noch weit tiefere und bleibendere Eindrücke zu machen im Stande seyn würde. Gestüzt auf diesen, vielleicht ihm selbst unerwarteten, allgemeinen Volksbeyfall könnte also Hr. v. Weber leicht versucht werden, zu denken, oder auch wohl laut zu sagen: „Was wollt ihr eigensinnigen Herren mit eurer engbrüstigen Kritik und mit eurem verwöhnten Geschmacke? Kennt ihr den alten Machtspruch nicht mehr: Vox populi vox Dei?“ Allein man würde ihm von Seiten der Kritik zur Antwort geben: Hätte Mozart weiland nichts weiter für sich gehabt, als den Beyfall des großen Haufens, so würde er bey seiner großen Leichtigkeit im Ausdruck gewiß schon längst vergessen seyn. Denn nichts sinkt so leicht in die Nacht der Vergessenheit zurück, als das Leichte und auf den ersten Anblick höchst Gefällige, dem der innere, ächte und wahre Kernwerth mangelt. Daß lezterer aber gerade den Melodien des Freyschützen am meisten abgeht, welche man in diesem Augenblick am häufigsten unter der Menge nachtrillern hört, ergibt sich aus dem kleinen Umstand, daß man sich längst versucht fühlt, Abends das Fenster dicht zuzumachen, wenn sich darunter ein Freyschütz-Sänger vernehmen läßt, anstatt daß man es nach einem Zeitraum von dreyßig Jahren noch immer weit aufreißt, so bald der alte wohlbekannnte Mozart’sche Vogelfänger auf den Straßen zu hören ist. Und „treibt der Champagner das Blut im Kreise,“ dann möchten wir den sehen, der nicht Lust zum Tanzen bekäme, gesezt auch, daß er nicht mehr der Jüngste wäre. Hr. v. Weber hat also zwar das Leichte und Gefällige wieder zu erfinden gesucht, und das war eben so nöthig als löblich, hat aber bis jezt die freylich nicht leichte Kunst noch zu erlernen, dabey auch das Flache, das Triviale, das Alltägliche und Gemeine, damit wir nicht sagen das Platte, zu vermeiden; darum kann seine mit dem rauschendsten Beyfall aufgenommene Oper auf die Dauer doch nicht gefallen. Es thut uns leid, dieß Urtheil so frey äußern zu müssen (denn der Hr. v. Weber gehört zu den bescheidensten Künstlern, die wir kennen); allein wer kann wider seine eigene innere und durch die größten Meisterwerke verwöhnte Empfindung? Uebrigens fehlt es ihm durchaus nicht an Talent, und da er noch jung und im Studio unermüdet ist; so schmeicheln wir uns selbst mit der Hoffnung, daß er die schönen, unvergeßlichen Mozart’schen und Haydn’schen Zeiten dem Vaterlande wieder zurückführen helfen werde.

Dem Herrn Ritter Spontini müssen wir aber schließlich noch zu bedenken geben: ob es nicht ganz vergebliche und verlorne Mühe seyn möchte, die öffentliche Kritik durch bloße Autorität in Deutschland entwaffnen zu wollen, da er bald von mehrern Seiten hören wird, daß sie sich selbst durch einen so allgemeinen und lauten Beyfall, als der Hr. v. Weber durch diesen Freyschütz erworben hat, nicht im geringsten irre machen läßt?

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Apparat

Zusammenfassung

Korrespondenz-Nachrichten aus Berlin: Über Gaspare Spontini und seinen Umgang mit Kritik. Dabei Rezension von „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 16, Nr. 186 (5. August 1822), S. 743–744

Textkonstitution

  • „wohlbekannnte“sic!

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