Julius Miller: Erinnerungen an Carl Maria von Weber (Auszug aus der Autobiographie)

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[…] Wir stifteten einen musikalischen Klub, der wöchentlich in dem sogenannten Sch  garten* an der Ohlau in dem Gartensaal zusammen kam. Hier waren alle musikalischen Genies von Breslau zu finden, unter Andern ein gewisser Scheibler*, der neben seiner Musik ein wissenschaftlich gebildeter Mensch war. Der Anfang wurde jedes Mal mit der Ouverture zum Don Juan gemacht, welche nach der Anordnung Webers auf die Worte „Ach um alles in der Welt! Clara, Herr von Heinzenfeld!“ aus dem „Neuen Sonntagskind“ gesungen wurde, was ein[en] Hauptspaß gab*. – Dann wurde ein Thema zu einer Phantasie aufgegeben, die Weber oder Berner begann. Mitten darinnen bei einem verminderten Septimenaccord stand der Eine auf, der Andere setzte sich hin, griff in diesen Accord ein und führte das Thema bis zum Schluß durch. Beide waren in der Phantasie eben groß, und nie habe ich wieder so etwas gehört. Hummel und Moscheles phantasirten ebenfalls recht gut; aber die Art, wie sie ihre Themata verarbeiteten, und ihre Zwischenspiele blieben sich fast immer gleich; das war bei Weber und Berner nicht der Fall; ihre harmonischen Wendungen war[en] immer neu. Auch wurden musikalische Vorträge gehalten. Zum Schluß wurde voltigirt. Im Saale befand sich ein großes ledernes Pferd, worauf wir alle voltigirten. Es war um sich todt zu lachen, wenn der lahme Weber in bloßen Hemdsärmeln angehinkt kam und von hinten auf das Pferd sprang. Nach diesem kam der Ungar-Wein und die Anekdoten begannen, was bis tief in die Nacht hinein dauerte. – Beim Nachhausegehen nahmen wir eine lange Stange, die wir die „Theepflanze“ nannten; die nahmen wir zwischen die Beine und ritten nach der Stadt; damit wurde zuweilen bei einem Bekannten im zweiten Stock an’s Fenster gepocht. Nie vergesse ich diese schöne Zeit! […]

Apparat

Generalvermerk

Übernommen wurde nur der von Miller stammende Text, nicht die (gekennzeichneten) Einfügungen von Jähns.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. V [Mappe XVIII], Abt. 4 B, Nr. 14 E. B

    Quellenbeschreibung

    • Auszug aus Millers Autobiographie, notiert von F. W. Jähns

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Weberiana 13, S. 32f.

    Einzelstellenerläuterung

    • „… wöchentlich in dem sogenannten Sch  garten“Jähns konnte Millers Manuskript an dieser Stelle wohl nicht entziffern; er ergänzte im Leerraum mit Bleistift ein Fragezeichen. Somit bleibt fraglich, in welchem Garten am Flüßchen Ohle (auch Ohlau), östlich der Stadt, sich die Gesellschaft traf. Stellt man in Rechnung, dass Miller nur kurze Zeit (drei Jahre) in Breslau lebte und seine Autobiographie möglicherweise erst in weit späterer Zeit schrieb, so ist allerdings auch ein Versehen möglich. Eventuell meinte Miller nicht die links zur Oder fließende Ohle, sondern die auf der gegenüberliegenden Stromseite mündende Alte Oder; dort lag der seinerzeit äußerst beliebte Scheitniger Garten, den Friedrich Ludwig Fürst von Hohenlohe-Ingelfingen hatte anlegen lassen und für den Publikumsverkehr freigab. Der spätere Bürgerpark im Winkel von Oder und Alter Oder ist noch heute ein beliebtes Ausflugsziel mit Attraktionen wie der Jahrhunderthalle, dem Zoo und Ausstellungsgebäuden; vgl. Walter Irrgang, Bemerkenswerte Parkanlagen in Schlesien, Dortmund 1978, S. 125–146.
    • „… unter Andern ein gewisser Scheibler“1806 erschien in Breslau im Verlag Korn die Schrift Gründliche und praktische Anweisung, feine wollene Tücher zu fabriciren. Ein belehrendes Handbuch für Tuchfabrikanten, Tuchkaufleute, und für die, die sich insgesammt, oder mit einzelnen Zweigen der Tuchmanufaktur beschäfftigen […] von Johann Georg Scheibler. Ob der Autor dieser handwerklich-kaufmännisch orientierten Publikation mit der von Miller genannten musikalisch und wissenschaftlich gebildeten Person in Verbindung steht, lässt sich nicht belegen.
    • „… wurde, was ein[en] Hauptspaß gab“Die Textpassage stammt aus dem Finale des II. Akts (Partie des Herrn von Hasenkopf) von Wenzel Müllers erfolgreichem Singspiel Das Neusonntagskind. Das Werk, das im August 1797 seine Breslauer Erstaufführung erlebt hatte und zu den „Kassenfüllern“ des dortigen Theaters zählte (vgl. Maximilian Schlesinger, Geschichte des Breslauer Theaters, Berlin 1898, Bd. 1, S. 76 und 91), hatte für den Breslauer Freundeskreis offenbar eine besondere Bedeutung. Julius Miller notierte am 5. März 1807 in Webers Freundschaftsalbum ein Notenzitat aus Mozarts Ouvertüre zum Don Giovanni (Thema Molto Allegro, T. 32–39) und unterlegte den Text „Klara Herr von Heynzenfeld.“ Darunter ergänzte er: „Man bittet, sich zuweilen dieses Skandals zu erinern“. Auch Heinrich Carl Ebell überschrieb seinen Eintrag in diesem Album vom 17. Juni 1806 mit „Hr. v. Heinzenfeld“, allerdings stammen weder das nachfolgende Notenzitat noch der unterlegte Text aus Müllers Singspiel. Leider bleibt unklar, auf welches Ereignis hier angespielt wird.

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