Friedrich Wilhelm Jähns an Max Abraham (Verlag C. F. Peters) in Leipzig
Berlin, Mittwoch, 19. November 1879

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Hochgeehrter Herr Doctor!

Meinen allerverbindlichsten Dank muß ich Ihnen sagen, daß – statt von Ungeduld ergriffen zu werden bei meinen wiederholten Anfragen – Sie diese immer aufs Neue freundlich beantworten, ja daß Sie nicht selten dabei sogar den Gegenstand derselben „in natura“ mir verehren. Ich kann Ihnen für Alles nur einen herzlichen u. warmen General-Dank widmen, bitte Sie aber aufrichtig, Ihre mir so hochwerthe und schmeichelhafte Gewogenheit in ähnlicher Weise nur dann bethätigen zu wollen, wenn es sich um complicirtere Fragen handelt, wie dies z. B. diesmal bei dem Inhalt des „Weber-Albums“ der Fall war, wo das Exemplar selbst auf das Klarste u. zugleich Kürzeste Alles erledigte. Daß mir alles Übersendete*, (Album, Trio und die Compositionen N. 1803) die größte Freude gemacht, bedarf ich dabei wohl nicht erst noch besonders zu versichern; haben doch Ihre Ausgaben überhaupt jetzt einen Grad der Vollkommenheit erreicht, welche frühere Decennien wohl kaum einmal ahnen konnten! Die Pracht-Ausgabe N. 1803 ist ein wahres Cabinetstück, ihrem Inhalte nach wünschte ich nur für die Minka-Variationen op. 40 (auch 37 gezählt) die Variationen über Joseph , op. 28, (Ihrem ursprünglichen Verlage), welche letztere jene bei Weitem an Schönheit, Originalität, Glanz u. allgemeiner musikalischer Bedeutung zweifellos übertreffen. – Daß das „Weber-Album“ sich mit dem herrlichen Adagio der Cdur-Sonate op. 24 eröffnet, ist sehr würdig, zumal es eins der beiden ganz vollständigen u. unveränderten Stücke der Sammlung ist, bei sonstiger großer Correctheit rep[r]oducirt es leider (wie schon im Sonaten -Bande 717a der Fall) einen recht fatalen Fehler, den freilich schon die alte 2te Schlesinger Ausgabe* hat u. fast alle späteren Ausgaben allerorts (mit Ausnahme der Liszt-Cottaschen Ausgabe) haben, ich meine den auch schon in meinem „Weber in seinen Werken“ besprochenen Fehler: das g statt eines a im 4ten Achtel in der Rechten Tact 7 vom Anfang. Das g bringt die widrigste Quintenfolge in Ober- u. Unterstimme. [Notenbeispiel: Quinten a-d und c-g] Lange bevor ich so glücklich war, ein Exemplar der zu einer größesten Seltenheit gewordenen uralten Ersten Orig.- Ausg. von Schlesinger* aufzufinden, hatte ich statt des g in a für die richtige Lesart erklärt, dem sich auch Rietz unbedingt anschloß, wogegen von Gegnern Weber’s bei diesem unglückdlichen g manche unliebsame Bemerkung fiel, bis endlich jene Urausgabe, deren Correctur noch Weber selbst besorgte, das a ans Licht brachte. So weit noch in Ihren Ausgaben ein[e] Correctur möglich wäre, wäre sie jedesfalls sehr wünschenswerth. ─

Verzeihen Sie, sehr verehrter Herr Doctor, wenn ich bei dieser Gelegenheit noch einige Dinge ähnlicher Art bespreche. Euryanthe Clavierauszug Ihres Verlages betreffend:* So viel ich mich erinnere, sind Ihre Clavier-Auszüge von von Freischütz, Oberon u. Preciosa mit sogenannten „Erleichterungen“ nicht versehen worden, wohl aber sind solche der Euryanthe, aber nicht zu ihrem Vortheil zu Theil zu Theil geworden. Sie werden stets etwas sehr bedenkliches sein, wenn sie bei den vom Componisten selbst vorgenommenen Pfte-Arrangements aus der Partitur angewendet werden. Wer namentlich Euryanthe begleiten will, muß überhaupt etwas Tüchtiges leisten können. Wollte man einen Cl. Auszug davon für einen Anfänger oder nur mittelmäßigen Spieler herstellen,so würde nur ein ganz besonderer Kenner des Werks, der zugleich ein Meister des Pfte’s u. ein Meister als Arrangeur wäre, etwas das Werk nicht wesentlich beschädigendes leisten. Sieht man dagegen die meisten sogenannten erleichterten Cl. Auszüge an, so staunt man über die Incon[se]quenzen in dergl. Bearbeitungen u. wird andrerseits oft gradezu schmerzlich berührt durch die unverständigsten u. dabei meist ganz unnützen Änderungen. Die schwersten Sachen bleiben gewöhnlich stehen, weil sie überhaupt nicht zu ändern sind, ohne sie zu zerstören, viel andere leichte Dinge werden geändert, weil der Erleichterer sich doch thätig gezeigt haben will. Dies ist auch theilweis bei Ihrem Cl. Ausz. der Eury. der Fall. Auf Einzelheiten hier einzugehen, würde zu weit führen. Für den Fall, daß diese größeste Leistung Weber’s, die den hervorragendsten Einfluß auf die ganze neuere Musik-Aera ausgeübt hat, einem Neustich unterworfen würde, wäre es wohl am Zweckmäßigsten, den von Weber selbst arrangirten alten Steiner schen Cl. Auszug abzudrucken**; er hat überdieß meines Wissens nur drei Druckfehler von Belang: 1) ein fehlendes b vor dem f in der Linken im Vorspiel zu Adolar’s großer Arie No 12 auf pag. 110 im 12ten Tacte; 2.) ein es statt eines f in der Singstimme derselben Arie im ersten 16tel des Tactes 13 auf pag. 111; 3.) das fehlende Auflösungszeichen vor der Octave a im Baß der Begleitung Tact 2 auf pag. 210 zu Anfang des Finale III. Die 2 te Haslinger sche (Quer-)Ausg*. wie überhaupt die dort später erschienenen Ausgaben besitze ich nicht u. die neue Ausgabe in Hochformat Schlesinger (Lienau)* kann nicht als maaßgebend betrachtet werden, weil auch sie mancherlei ungehörige Änderungen u. Zusätze hat. ─

Verzeihen Sie, sehr geehrter Herr Doctor, diese Ausstellungen! Sehen Sie, ich bitte herzlich darum, dieselben nur an als hervorgehend aus der dankbaren Erkenntniß der großen u. von größesten Einfluß auf die musikalische Bildung begleiteten Aufgabe, die Ihr großartiges Verlags-Unternehmen sich stellte u. mit so großartigem Erfolge erreicht hat.

Das beiliegende Blatt zeigt denjenigen kleinen Abschnitt, der die Band-Ausgaben Ihres Verlages in Bezug auf Weber betrifft. Die Band-Ausgaben, welche mehrere unter sich gleichartige Werke in sich vereinigen, bilden eine, so zu sagen, ganz neue Kategorie des neueren Musikalien-Verlags, daß ihnen in meinem „Ausführlichen Nachtrage“ einen besonderen Abschnitt zu widmen mir erforderlich erschien, wenn auch schon im laufenden Text meines Nachtrages jedes einzelne Werk, welches diese Band-Ausgaben enthalten, bereits aufgeführt worden ist. – Ich bitte Sie, das beiliegende Blatt einer genauen Durchsicht würdigen lassen zu wollen, damit sich nichts Unrichtiges etwa eingeschlichen habe u. stehen bleibe*. –

Ich würde darin einen neuen Beweis sehen, daß Sie meinen Bestrebungen u. sonstigen Äußerungen nicht abhold wären, der ich die Ehre habe in wahrer Hochschätzung zu verbleiben Ihr
aufrichtig ergebener
F. W. Jähns

[Originale Fußnoten]

  • er steht Ihnen meinerseits zu Diensten!

Apparat

Zusammenfassung

dankt für übersandtes Weber-Album, wünschte sich darin aber lieber die Joseph-Variationen und macht auf einen tradierten Fehler in der Klaviersonate C-Dur im Takt 7 der rechten Hand aufmerksam; erörtert ausführlich das Problem der sogenannten erleichterten Ausgaben von Opern für Klavier, äußert starke Bedenken dagegen und bittet ihn schließlich, das Blatt über die Bandausgabe des Peters-Verlages für seinen Nachtrag durchzusehen, ob alles korrekt ist

Incipit

Meinen allerverbindlichsten Dank muß ich Ihnen sagen

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig (D-LEsta)
    Signatur: Musikverlag Peters Nr. 1446

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (6 b. S. o. Adr.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Weberiana 10 (2000), S. 49–51

Textkonstitution

  • „Ausgabe“über der Zeile hinzugefügt
  • „Orig.-“über der Zeile hinzugefügt
  • „ans Licht“über der Zeile hinzugefügt
  • „zu Theil“durchgestrichen
  • „zu“über der Zeile hinzugefügt
  • Schlesinger (Lienau)über der Zeile hinzugefügt
  • „ungehörige“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… erledigte. Daß mir alles Übersendete“Vgl. die Kommentare zu der dem Brief vom 7. Oktober 1879 beiliegenden Frageliste.
  • „… alte 2 te Schlesinger Ausgabe“Exemplar mit PN 52 (nicht S. 52) sowie Angabe der Verlagsnummer „N° 52“ auf dem Titelblatt; Exemplar von Jähns in D-B, Weberiana Cl. IV B [Mappe X], Nr. 1128.
  • „… Ersten Orig.- Ausg. von Schlesinger“Exemplar mit PN 52 (nicht S. 52), ohne Angabe der Verlagsnummer auf dem Titelblatt; Exemplar von Jähns in D-B, Weberiana Cl. IV A, Bd. 53, Nr. 361.
  • „… Euryanthe Clavierauszug Ihres Verlages betreffend:“Edition Peters 292, VN: 5299.
  • „… steht Ihnen meinerseits zu Diensten!“Im Exemplar des Steinerschen Klavierauszug-Erstdrucks der Euryanthe in D-B, Sammlung Weberiana, Bd. 35a, Nr. 65 sind die genannten Fehler handschriftlich korrigiert.
  • „… te Haslinger ' sche (Quer-)Ausg“Titelauflage des Steinerschen Erstdrucks.
  • „… Ausgabe in Hochformat Schlesinger (Lienau)“Ausgabe von 1866, VN: S. 5547.
  • „… eingeschlichen habe u. stehen bleibe“Vgl. dazu im Nachtrags-Manuskript zum Werkverzeichnis (D-B, Weberiana Cl. X, Kasten 3, Nr. 1) den Abschnitt zu den Band- und Sammelausgaben (Bl. 237–243; zu Peters speziell Bl. 240).

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