Friedrich Wilhelm Jähns an Emilie von Gleichen-Rußwurm
Berlin, Freitag, 10. bis Sonntag, 12. November 1871

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Theure hochverehrte Frau.

Diesen Augenblick nach Haus kommend von der Feier des erhabenen Tages, finde ich Ihr Telegramm als Entgegnung des heut Mittag an Sie abgesendeten vor. —

Ich kann diesem Tage keinen schöneren, herzbefriedigenderen Abschluß geben, als an Schillers Tochter noch das Wort zu richten, das gern einen Abglanz bringen möchte der glanzvollen, auf diesen unvergeßlichen Tag selten herrlich niederlachenden November-Sonne. – Wie schwach fühle ich meine Kräfte dazu! – Aber so schwach sie auch sind — dennoch sende ich den frischen, einfachen Wiederklang der aus ganzer, unbegränzter Hingabe an diesen Tag hervorgegangenen Empfindungen! —

Ich kann ihn nicht als abgeschlossen für mich zu den vergangenen Lebenstagen legen, ohne an ihm nicht noch Ihnen, theure Frau, eine kurze Kunde gegeben zu haben von der erhabenen Feier, die, wenngleich sie lange vorenthalten war, unsere Herzen mit doppelter und darum unwiderstehlicherer Gewalt die unermeßlich großartige Bedeutung derselben auf das Erhebendste hat empfinden lassen.

Der reinste blaue Lichthimmel grüßte mich, als ich heut früh die Augen zu ihm erhob, welche die letzten Tage in trübes Grau gehüllt hatten sehen müssen. Eine glänzende Sonne blitzte und strahlte alle Sorge hinweg um eine Trübung der lang ersehnten Stunden; freudig schaute jetzt ihnen das frohe Augen entgegen. Die ersten Schritte zum Festplatz galten der Erwerbung der Festschriften, die ich sofort an Sie absendete, die bereits in Ihren Händen sein werden u. denen nachträglich noch andre folgen sollen. Um 10 Uhr stieg ich auf die Tribünen. Man hatte den Festplatz auf folgende Weise eingerichtet: (Zeichnung)

Wohl 2000 Menschen hatten sich außer den Barren angesammelt auf dem gewaltigen Platz. Einige Minuten nach 11 Uhr fuhr der Kaiser an und begab sich von der Jägerstraße aus in das königl: Seehandlungsgebäude, worin er, an dem umstehend blau markirten Fenster stehend, der ganzen Feierlichkeit zuschaute, mit ihm der Kronprinz und die andern höchsten Herrschaften an demselben Fenster u. den daneben liegenden. So wie er an‘s Fenster trat, begann der Choral „Eine feste Burg“, von dem 2 Strophen mit Blasinstrumenten-Begleitung gesungen wurden. Ich stand auf der Tribüne an der französischen Kirche, auf welcher sich die meisten Minister, auch der alte Feldmarschall Wrangel befanden. Ich stand grade Ihrem Herrn Sohne gegenüber, der hart neben dem noch verhüllten Denkmale Stellung genommen hatte, wie meine höchst mangelhafte Zeichnung dies näher angiebt. Bewegte sein Anblick mich schon wundersam, so wirkte die Musik in Verbindung mit dem Anschaun des herrlichen Kunsttempels gradezu überwältigend. Es war, als wenn die erhabenen Klänge sich um die prachtvolle Säulen-Herrlichkeit herumschlangen und um die edlen griechischen Linien und Formen des hehren Kunsttempels flossen, von dem aus sie über den weiten Platz u. Die Menschen-Masse ausgingen. – Darauf übergab Reinhold Begas, der Schöpfer des Denkmals, dasselbe der Stadt Berlin, wonach einer ihrer Vertreter die Geschichte der Herstellung desselben verlas. Nunmehr gab der Ober-Bürgermeister Geh: Ober-Reg. Rath Seydel das Zeichen zur Enthüllung. Ihr Herr Sohn vermittelte dieselbe; alle Augen der ungeheuren Versammlung waren auf ihn gerichtet. — Während dreier markerschütternder Trompeten- und Posaunen-Fanfaren senkte sich langsam die von vier hohen mit Eichenlaub geschmückten Fahnenstangen bisher gehaltene Hülle — und in dem lichtesten Sonnenglanze strahlte nun das herrliche Bildwerk in reinster Weiße auf. Alle Häupter wurden baar; den theuren geliebten Dichter begrüßte nun ein langes, von tiefster Rührung begleitetes, lautloses Hüte- und Tücher-Schwenken, und nun fiel Reichardt’s Lied an die Freude brausend ein, gesungen von 13, etwa 800 Männerstimmen zählenden Gesang-Vereinen. Dies Lied wie schon der Choral wurden von meinem lieben alten Jugendfreunde, dem Oberhofkapellmeister Taubert geleitet. So schön u. herrlich erhabenem Momente war das Lied seit dem Tage seiner Dichtung noch nie erklungen. ― ― Nachdem die Tonwellen verrauscht waren, sprach der Oberbürgermeister die Festrede, die mit einem Hoch auf den Kaiser endete, was, dreimal wiederholt von der riesigen Stimmengewalt aller versammelter Tausender, die Lüfte erbeben machte. Freundlich u. liebreich wie immer dankte der hohe Herr seinem Volke, das ihn so wahrhaft begeistert verehrt. ― Und nun schloß Meyerbeer’s Schiller-Marsch das Ganze, währenddessen die Repräsentanten der Studentenschaft dreimal feierlichen Umgang um das Denkmal hielten, die gezogenen Hieber in Händen und begleitet u. angeführt von den hochgehaltenen neu- und altdeutschen und den Großherzoglich Weimarschen Fahnen. —

Mit den letzten rauschenden Klängen war das Fest, das hohe, selten langersehnte, beendet, welches einen höheren Moment in Deutschlands Geschichte sich wohl kaum hätte erwählen können, als denjenigen, wo wie jetzt Deutschland geeinigt, groß und gewaltig wie noch nie dasteht, woran der Mann, dem dieses Tages Feier galt, in so unermeßlicher Weise Theil hat; denn Er war das Idol, das Zeichen des deutschen Genius, das Zeichen, in dem es seine inneren wie äußeren Feinde siegreich niedergekämpft hat. Glorreicher konnte kein Fest begründet werden, und darum wollen wir das glückliche Geschick laut preisen, daß nicht eher die Hülle fiel. Sie konnte nie schöner fallen, sie konnte das unter ihm so lange Verborgene nicht strahlender zum Lichte treten lassen. Ruhm, ewiger Ruhm, heiligste, unvergängliche Liebe dem Geiste, der über diesen erhabenen Dingen so erhaben schwebt. — — — —

Noch in ganzer, voller Erregung des Augenblicks telegraphirte ich an Sie. — Lassen Sie mich nun Ihnen auf das tief bewegteste danken, das Sie mir Ihre schöne, mir unschätzbare, so voll und tief Ihre Empfindung wiedergebende Erwiederung gesendet haben. Ich habe es in seinem ganzen beglückenden Werthe empfunden, daß es grade mir zu Theil wurde, an diesem Tage grade von Ihnen die herrlichen Worte zu erhalten, die ich mit eben so großer unbeschreiblicher Freude wie gerechtem Stolze so gern bei dem feierlichen Festmahl den 500 Anwesenden mitgetheilt hätte, von denen es mit unglaublichem Jubel würde aufgenommen sein. So kam es erst um 7 Uhr hier an und meine Frau war nicht zu Haus; sie würde es sicherlich in das Fest-Lokal gesendet haben. Doch schon habe ich Schritte gethan, daß das Telegramm Berlin nicht verloren gehe, dem es theuer und hochwerth sein muß. — Vor dem Festmahl ging ich zu Hrn. von Wurmb, um Ihren Herrn Sohn zu begrüßen. Leider verfehlte ich ihn, fand ihn jedoch beim Mahle, wo meine Freude sich nun verdoppelte, als ich ihn als den Hauptgegenstand des persönlichen Interesses der auserlesenen Gesellschaft sah, die Berlins vorzüglichste Männer zu einem erhebenden Zwecke in sich schloß. — Ich gab die Hoffnung nicht auf, Ihren Herrn Sohn nochmals zu sprechen. Jedenfalls werde ich in den nächsten Tagen Frau von Wurmb, diese so sehr liebenswürdige Dame, die zugleich eine so ausgezeichnete musikalische Instrumentalistin ist, — jedenfalls werde ich diese in den nächsten Tagen wieder aufsuchen, um mit ihr einige meiner neusten 4händigen Clavier-Compositionen zusammen zu spielen, (zwei deutsche große Festmärsche „Heeres-Auszug“ u. „Heeres-Heimkehr“) die ich derselben am Mittag des 10. Novembers überreicht hatte. Von der Enthüllungs-Feier Mittags nach Haus kommend fand ich das erste Geschenk des hohen Tages vor: Ihren theuren Brief, der mich natürlich hochbeglückte. Nehmen Sie, hochverehrte Frau, auch dafür meinen allerinnigsten gerührtesten Dank. Der 10 te Nov. hatte mir aber noch eine 3te Freude aufgespart. Von diesem Tage ist das Diplom datirt, mit dem mich der Kaiser von Österreich zum Ritter des Franz-Josef-Ordens ernannt, in Rücksicht auf meinen „Weber“, den ich Ihm — es ist mir selbst ganz unbegreiflich u. kaum glaubhaft noch nicht einmal zugesendet hatte, wo ich noch nicht einmal die Erlaubniß hatte, den „Weber“ Ihm zusenden zu dürfen. Die Erlaubniß kam zugleich mit dem Orden. Dies Ereigniß am 10. Nov. War mir eben so wunderbar, wie daß ich an Weber‘s Todestag das Ritterkreuz des Zähringer Löwen erhielt (5. Juni d. J.) — Nun, ich weiß, Sie auch freuen Sich an so schönen Spielen des Zufalls mit mir. —

Und nun leben Sie wohl, theure innig und tief verehrte Frau; tausend tausend tiefgefühltesten Dank für Alles, für Alle Ihre Freundlichkeit, Güte und holde Gaben, die Sie so überreich gespendet haben und nicht aufhören, zu spenden. — Ich knüpfe hieran den Ausdruck herzlichster und innigster Verehrung für Ihren Herrn Gemal, wie freundliche Grüße an Ihr liebes Enkelchen wenn es auch solche sind, die von einem ihm ganz unbekannten Manne kommen. Ich verbinde noch meine Grüße mit den warmen und verehrungsvollen meiner Frau u. meines Max, womit ich mich in unbegrenzter Ergebenheit nenne
Ihren F. W. Jähns
geschlossen
Sonntag 12. Nov.
1871.

Apparat

Zusammenfassung

berichtet ausführlichst von den Feierlichkeiten zur Enthüllung des Schiller-Denkmals auf dem Gendarmenmarkt (mit Zeichnung), an denen ihr Sohn Ludwig und auch er teilnahmen

Incipit

Diesen Augenblick nach Haus kommen von der Feier

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Weimar (D), Stiftung Weimarer Klassik, Goethe- und Schiller-Archiv (D-WRgs)
    Signatur: GSA 83/1329

    Quellenbeschreibung

    • 7 DBl. (13 b. S. o. Adr.)

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