Notizen über Spontini
Noch Einiges über Spontini
„Die Welt weiß noch nicht, was Musik ist, sie soll es durch mich erfahren!“ – Ich sah mich um – mein Nachbar rechterhand hatte diese Worte gesprochen, ein dürrer, aschfarbener, noch junger Mann mit gepuderten Taubenflügeln, der mir vorkam, als sei er Niemahls jung gewesen.
Aus stillem Behagen an einer köstlichen Schüssel hatte uns Gäste alle der lieben Henriette Mendelssohn* dies Wort, wie ein Bombendonner aufgeschreckt, es war im Sommer 1803 – aber Alles schwieg, u aß weiter. Ich dachte mir, nun, wir haben ja schon u. A. Gluck u Mozart – ich wußte nicht weil ich erst spät zu Tisch gekommen war, neben wem ich saß, die andern Gäste, wol Alle schon Jenseits, waren mir bekannt, links neben mir hatte ich Friedrich Schlegel, auch Er schwieg, aber aus Indignation. Beim Dessert entfernte sich mein Tischnachbar rechts, ich fragte nun links wie er heiße? „Spontini! rief Henriette Mendelssohn; Wer ist das? fragte mit kaum verbissenem Ingrimm Friedrich Schlegel. Ein junger italienischer Componist, erwiederte sie, in gewissem Sinn wird er Wort halten. Hm! brummte Friedrich Schlegel u langte nach der Ananas, die der junge Maestro keines Blicks gewürdigt hatte, wenn sie gleich unstreitig seinetwegen auf der Tafel stand. Ja, die Henriette! | war so eine Wünschelruthe, die sich bewegt, wo Schätze verborgen liegen, ich könnte davon manches Beispiel anführen
Der junge Mann ist also bei Trost? fragt ich.
Dorotheens Wunderaugen funkelten mich zornig an. Deine Urtheile galoppieren immer mit Dir fort, Helmine! rief sie mir zu. Des jungen Italieners Worte sind viel bedeutsamer, als sie Manchem unter uns vorkommen mögen, kamen auch nicht ex abrupto, wie es Dir geschienen haben mag, es war, just eh Du kamst, von Méhul die Rede gewesen, dieser muß Spontini’s Eifersucht erregt haben, weil ihm der erste Consul gesagt hat: Er würde die Italiener in Schatten stellen. Da hat denn der Jüngling unbewußt vor sich hin gesprochen, wie er sich selbst fühlte u verkündet wo er Hinaus wollte. Gewiß, wer nicht das Höchste erstrebt bleibt mittelmäßig! Das Genie kennt nur eine Zielscheibe.
Dorothea sah bei diesen Worten ihren Friedrich zärtlich an; wäre nicht die zweite‡ Ananasschnitte gewesen, die Henriette ihm eben gereicht hatte, er würde den Blick erwiedert haben
Notabene man sagte damahls noch Genie u gieng mit dem Worte | vorsichtiger um, wie jetzt mit dem vielsagenden Genius –“ Genialität heißt mir die Gewalt das Schöne, das Herrlichste in einer neuen, niedagewesenen Gestalt hervor, als vielmehr auf die Welt herabzurufen.
Ich sah in Paris den Aschfarbenen nicht mehr, aber wol seine Vestalin. Sie wurde in‡ Deutschland mit der Milder, der Schechner‡ entzückender als in Paris gegeben
Mir scheint es als könne man die Meinung des Verfassers vom Aufsatz Spontini in der Beilage zu No 47 der A. Allg. Ztg, so sinnreich sie ist, nicht ganz unbedingt u vollständig theilen, besonders wenn man in der Werdezeit der Vestale lebte. Der aufblühende Tondichter (so sah ich es an) hat eben noch die letzten, klaren‡ süßen, feurigen Tropfen aus dem prachtvollen Wonnekelch der Begeisterung für Napoleon geschlürft, die über der Hefe schwebten, an der wir noch heute würgen. Frankreich war damahls groß, stolz, sicher, mit allen Schätzen des Alterthums, wie eine junge Braut geschmückt – Rome n’est plus à Rome Elle est toute à Paris‡ wurde gejubelt, als Griechenlands u Roms Kunstgebildete feierlich hinein zogen – Wer hätte geglaubt, sie würden den Weg nach Rom zurückfinden, u Paris in endlosem Jammer verlaßen? Italien, selbst das Gep‡ Geplünderte, das von seiner Kunstherrlichkeit Verwaiste, das in französischen Ketten | Verstrickte, hier in Einer Ecke eine Cisalpinische Republik, dort in der Andern ein Königreich Heteruwina, u frisch bepabstet, glaubte an Napoleon! Spontini […]‡ mit! – Aus der edelsten Glut der Vaterlandsliebe, der süßesten Hoffnung, flammte die Vestalin auf! Auch bot‡ die Dichtung in ihrer reinen pyramidalischen Symetrie dem Tonkünstler die großen Verhältnisse u Massen zu seinem Bau, auf welchen ich‡ glauben‡ könnte‡, daß weder Napoleon, noch Gluck Einfluß ausgeübt – Spontini anerkannte kein Vorbild, u huldigte keinem Kaiser, er huldigte dem Heros, doch nur als Heros selbst, den‡ als den er sich im süßen Rausch des Schaffens träumte: die Welt weiß noch nicht, was Musik ist, sie soll es durch mich erfahren!
Mich hat weder Cortez noch die Olympia erfreut, nichts davon ist in meiner Seele geblieben, nach der Vestale sehne ich mich oft zurück. Der Alcindor entsetzte mich schon in den‡ Theater Berichten. C. M. v. Weber liebte die Vestalin, ich hörte ihn nie der andern Werke Spontinis erwähnen, doch Eifersucht war das nicht | Nicht auf Spontini war Weber eifersüchtig‡, selbst auf Rossini nicht so recht eigentlich, wiewohl eine Empfindung, dieser nicht unähnlich, […]‡ den theuren Meister von seinem eigentlichen Siegesfeld, dem des Freischütz, wo noch Lorbeern in Fülle sproßten, weggelockt‡‡ u in eine andere Sphäre hinüber gelockt hatte. Er zürnte mir einmahl, wie zermalmt von Schmerz, als ich ihn treuherzig, liebevoll bat, mir nachzugeben, u die Euryanthe volksthümlich, u zugleich troubaderesk zu halten, indem das Leben allein dankbar sei, wo man’s zu packen wisse. Weber glaubte nun ich halte seine Gabe für eine beschränkte, einseitige, aus […]‡ Höllenspuk u Liebesjammer gebraute – ich schrieb ihm, als er fort war, schnurstracks die rechte Meinung, Er mir gleich aus‡ versöhntem Herzen zurück. Ich wollte, meine Feder wäre zuweilen mein Mund, und umgekehrt.
Nichts ist (von sichtbaren Dingen) so weisheitvoll, wie die Natur, u nichts so aberwitzig, wie die Eklektik, die Palme soll keine Eiche, diese keine Buche, u die Dahlie keine Rose sein, zu des Veilchens Duft würde sich keine Prunkfarbe, u kein aufgehobnes Haupt schicken,‡
Apparat
Zusammenfassung
Reflektionen über ihre und Webers Einstellung zu Spontini und seinen Werken (Bericht von einer Tischgesellschaft bei Henriette Mendelssohn)
Entstehung
nach 1825
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Veit, Joachim
Überlieferung
Textkonstitution
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„zweite“über der Zeile hinzugefügt
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„in“am Rand hinzugefügt
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„klaren“über der Zeile hinzugefügt
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„das Gep“„in seiner Ber“ durchgestrichen und ersetzt mit „das Gep“
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„Gep“durchgestrichen
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„[…]“gelöschter Text nicht lesbar
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„bot“„konnte“ durchgestrichen und ersetzt mit „bot“
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„ich“„man“ durchgestrichen und ersetzt mit „ich“
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„n“durchgestrichen
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„könnte“durchgestrichen
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„den“durchgestrichen
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„tig“gelöschter Text nicht lesbar
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„[…]“gelöschter Text nicht lesbar
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„gelockt“durchgestrichen
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„gelockt“unsichere Lesung
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„[…]“gelöschter Text nicht lesbar
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„aus“gelöschter Text nicht lesbar
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„… u kein aufgehobnes Haupt schicken,“Text bricht hier ab
Einzelstellenerläuterung
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„… alle der lieben Henriette Mendelssohn“Maria Henriette Mendelssohn (1775–1831), Schwester von Dorothea Schlegel, ihre Wohnung war ein beliebter Treffpunkt der Deutschen in Paris. Lt. Karl August Varnhagen, der während seines Aufenthalts an der Seine bei ihr häufig zu Gast war, verkehrten in ihrem Hause u. a. Madame de Staël, Benjamin Constant, Gaspare Spontini, Alexander von Humboldt, David Koreff und Helmine von Chezy, vgl. K. A. Varnhagen von Ense, Denkwürdigkeiten des eignen Lebens, Bd. 2 1810–1815 (= Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 23), hg. v. Konrad Feilchenfeldt; Frankfurt/M. 1987.