Caroline von Weber an Friedrich Wilhelm und Ida Jähns in Berlin
Dresden, Donnerstag, 3. Februar 1848
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Meine lieben Kinder
Glaubt nicht, dass ich es nicht fühle wie Unrecht es ist, dass ich Idas lieben Brief so lang nicht beantwortete aber kaum hieher zurükgekehrt hatte ich einen Besuch von einer Freundin meiner Kinder, welche über 14 Tage bey mir wohnte, und all meine Zeit in Anspruch nahm. Seit 8 Tagen ist sie nun freylich nach Chemnitz zurükgekehrt und ich hätte in meiner Einsamkeit Zeit genug zum Schreiben gehabt wenn meine Stimmung nicht so traurig gewesen wäre, dass ich Euch, Ihr Lieben, damit nicht zu nahe komen mogte. Auf dem Papier, so schwarz, auf weiss, sieht ja alles noch einmal so trübe aus als wenn man Aug, in Aug sein Leid klagen, und Trost empfangen kann — Leider war mein Aufenthalt in Chemnitz diesmal, so sehr ich mich darauf gefreut hatte, besonders auf mein lieb klein Mariechen, noch ungemüthlicher als gewöhnlich. Max war unwohl, Nettchen hatte einen steifen Hals, und hatte, unbegreiflicher weise, ohne allen Grund, und Ursach, 3 Tage vor meiner Ankunft Marichen entwöhnen lassen. — Das arme Wurm schrie, und lamentierte Tag und Nacht, besonders da sie Nettchen bis jetzt (denke Dir Ida) mit der Amme im kalten Vorhaus hatte schlafen lassen, um Nachts nicht gestört zu werden und nun das Kind, natürlich da weg, und zu sich nehmen musste, was dem Kinde nun alles doppelt fremd und ungewohnt war. Erst kurz vor meiner Abreise war die Kriesis überstanden und ich sah noch das liebe Kindchen aufblühen. Zum Uiberfluss bekam sie in ihrer Leidenszeit noch 4 Zähnchen dazu, und recht recht schlime Ohren, so, dass ich den kleinen Lazarus nur mit Jammer ansehen konnte. Das also war die WeihnachtsFreude welche mir Nettchen bereitet hatte! trotz dem, dass ich sie anständig gebeten hatte das Kind noch so lange trinken zu lassen bis die Kühe wieder besseres Futter hätten, und die Milch leichter zu verdauen wäre. In ihrer Weisheit aber hatte sie es einmal anders beschlossen, und da war es auch einerley ob sie mir den ganzen Aufenthalt verleidete. Zum Uiberfluss fand ich denn auch ihre ganze Wirtschaft recht in Unordnung, und Maxens ganze Wäsche fast in unbrauchbaren Zustant, so dass ich mich gleich hinsetzen und Hemden ausbessern musste. Ja, kannst Du denken dass sie zu Weihnachten für Mann, noch Kind auch nicht die geringste Kleinigkeit gearbeitet hatte? trotz dem dass Max ein paar ganz zerrissene Handschuh trägt? Als ihr, eben die Freundin, welche jetzt bey mir wohnte, darüber Vorwürfe machte, sagte sie „ach, ich komme nicht dazu! und Mama wird schon für alles sorgen[“]. Den Abend vor der Bescherung hatte ich einen sehr ernsten Auftritt mit ihr, welcher mich beynah veranlasst hätte gleich abzureisen. Ich hatte nehmlich die Kiste mit meinen Geschenken auf den Boden in eine Kammer stellen lassen, und den Tag vorher etwas herausgenomen, und desshalb den Deckel geöffnet. Ich sagte den Abend scherzweise, sie würde doch nicht verathen was sie von mir bekäme. Da lachte sie, und sagte „ach da irrst Du Dich ich war heut auf den Boden und habe mir alles besehen[“]. — Könnt Ihr Euch nun wohl solche Rücksichtslosigkeit denken? Jemanten der ein halbes Jahr arbeitet, sorgt, und spaart, um den Kinder eine freudige Uiberraschung zu bereiten, so alle Freude zu verderben? Welches Herz gehört dazu? Ich musste bitterlich weinen und nur der Gedanke den armen armen Max sehr zu betrüben veranlasste mich meine Gaben zu bescheren. Wie sehr Max sein Herz unbefriedigt fühlt, sehe ich daraus dass er sich mehr wie je an mich anschliesst und wenn er auch nicht klagt, so schliesse ich doch aus mancher Aeüsserung dass er sich gar nicht glücklich fühlt. So sagte er, als er mich hieher begleitete, und einen Tag bleiben konnte, Abends ehe er so‡ Bett ging „Sieh Mutter, so habe ich doch alle 4 Wochen 24 glückliche Stunden!![“] Sein klein Marichen ist, wie er sagt der Lichtstrahl seines Lebens, und ich danke Gott dass er in ihr einen Ersatz findet welcher ihm sein Haus lieb macht. Nettchen wird immer trokner und ungeniessbarer — — Ich, wenigstens kann mich von nichts mit ihr unterhalten. Leider sehn alle Maxens Freunde den Missgriff welchen er gemacht, und bedauern die arme Seele welche nun für Lebenszeit seine Uibereilung büssen muss —. Ach seit nicht bös dass ich Euch unser häusliches Leid ausmale aber ihr seit ja die Einzigen denen ich mein Herz ausschütten darf. Hier muss ich gute Miene zum bösen Spiel machen, denn man würde es uns villeicht gönnen dass auch ein Wurm an unsern Glücke nagt. Nettchens Gesundheit ist auch nicht die beste wenigstens klagt sie immer über Rückenweh welches sie abhält etwas zu nähen — Nun in Gottes Namen! So lang ich noch da bin soll weder Max noch Marichen die sorgende Mutter und Gattin vermissen. Der Artzt spricht noch von einer Badekur für N. und das hält mich jetzt auch noch ab etwas über meinen Sommer zu bestimen, denn geht sie ins Bad so ist’s natürlich, dass ich das, von Schlesinger erhaltene Geld dazu hergeb, und lieber still in meinem Gärtchen bleibe. Auf jeden Fall schreibe ich Euch noch ehe ich etwas bestimme. Wohl wäre es gar lieb und schön wenn wir zusamen in Hosterwitz wohnen könnten und ich kann mir das gar so reizend ausmalen. Freilich wird es mit Möbel und Betten Schwierigkeiten haben. — Auch in Tätschen einen Monat zu leben müsste reizend sein, und da hätte man alle Bequemlichkeit beysamen. Doch wie gesagt, ich schreibe Euch noch darüber. Uiber die Angelegenheit mit Herr Schlesinger mögte ich eigendlich gar nicht schreiben, wenn ich Sie nicht bitten müsste die Partitur des Freyschützen nicht aus der Hand zu geben, und ihn zu erinnern dass er mir schriftlich versprochen, mir dieselben nach 6 Monaten wieder zur Disposition zu übergeben. Ich schreibe gewiss nicht mehr an ihn und es wäre mir lieb ich hätte nie etwas mit ihm zu thun gehabt. Ich habe den Verdruss und den Schaden davon. Aber ganz für voll soll ihm die Sache nicht ausgehen und er wird einst gewiss wünschen etwas nobler gegen die Hinterlassenen dessjenigen gehandelt zu haben, denen er einen Theil seines Reichthums verdankt.
Mit Ernst betreibe ich nun die Zusammenstellung von Webers vollständiger Biographie, und habe desshalb in die gelesenste Zeitungen einen Aufruf ergehen lassen an Alle welche Materialien dazu liefern können. An Lichtenstein werde ich desshalb auch in diesen Tagen schreiben. Glauben Sie nicht dass ich mich auch an Rollstab wenden könnte? gewiss könnte der auch intressante Beyträge liefern. Sprechen Sie aber keinen Menschen davon, wer die Biographie schreiben soll das ist uns von grosser Wichtigkeit.
Dass Messerschmit die Briefe nicht geholt und nicht geschrieben hat mag wohl den Grund darin haben dass die armen Leute aus der Trauer nicht heraus komen. Kürzlich ist die intimste Freundin der Familie Mad. Stroh an den bösen Masern gestorben* und hat das ganze Haus in Betrübniss versetzt. Diese hässliche Krankheit grassiert jetzt recht unter den Erwachsenen, wo sie meistens todtbringend ist. ‒ Nicht wahr guter Jähns Sie haben die grosse Messe von Weber mitgenomen?* wenn Sie sie nicht mehr brauchen so bitte ich schicken Sie [sie] hieher, weil die Singacademie eine Aufführung für Webers Monument veranstalten wird, wozu sie aufgeführt werden soll. Heute ist im Theater Mendelsohns Todtenfeyer*. Zuerst ein Prolog, und dann der Somernachts Traum. Letzteres scheint mir, zur Todtenfeyer wenig zu passen — nun, Lüttichau macht doch eine gute Einnahme.
Nun aber genug für heute nicht wahr meine Lieben? Gott sey mit Euch. Behaltet die Mutter Weber lieb wie sie Euch immer lieb haben wird. Tausend Grüsse den KindernC. Weber.
Apparat
Zusammenfassung
enttäuschende Erlebnisse mit ihrer Schwiegertochter bestimmen den Inhalt des Briefes; sie ist außerdem beschäftigt mit der Zusammenstellung von Webers Biographie und hat in die gelesensten Zeitungen einen Aufruf ergehen lassen an alle, welche Materialien dazu liefern können; an Lichtenstein will sie deshalb auch schreiben, auch glaubt sie, dass Rellstab Beiträge liefern könnte; bittet J. die Messe, die er mitgenommen, ihr zurückzusenden, weil die Dresdner Singakademie eine Aufführung für Webers Denkmal davon veranstalten will; Trauerfeier für Mendelssohn ist im Theater
Incipit
„Glaubt nicht, dass ich es nicht fühle wie Unrecht“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler; Eveline Bartlitz
Überlieferung
-
Textzeuge: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
Signatur: Mscr. Dresd. App. 2097, 109Quellenbeschreibung
- masch. Übertragung nach dem verschollenen Original (Nr. 109 des Konvoluts)
- 6 S.
- am Kopf die Notiz: „Empfangen den 5. Febr. 1848.“
Dazugehörige Textwiedergaben
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Weberiana 25 (2015), S. 22 (Auszug)
Einzelstellenerläuterung
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„so“recte „zu“.
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„… an den bösen Masern gestorben“Henriette Stroh, geb. Eckhardt, war am 20. Januar 1848 in Dresden verstorben; vgl. Leipziger Zeitung, Jg. 1848, Beilage zu Nr. 25 (25. Januar), S. 464.
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„… grosse Messe von Weber mitgenomen?“Jähns bereitete die Drucklegung der Es-Dur-Messe Webers in seiner Bearbeitung für Klavier zu vier Händen bei Haslinger in Wien (PN: T. H. 10.696., erschienen 1848) vor.
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„… ist im Theater Mendelsohns Todtenfeyer“Zur Aufführung am 3. Februar 1848 vgl. u. a. die Kurznotiz in AmZ, Jg. 50, Nr. 8 (23. Februar 1848), Sp. 133.