Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Wallensteins Tod“ von Friedrich Schiller am 20. Mai 1819 (Teil 1 von 3)
Donnerstag, den 20sten Mai. Wallenstein’s Tod, Trauerspiel in 6 Akten, von Schiller.
Da diese sechs Akte vielen, nicht ohne Grund, als eine Ketzerei erscheinen möchten, so könnte es wohl bei der Ankündigung von 5 Akten bleiben und nur die Bemerkung angefügt werden, daß (zur Bequemlichkeit des Umziehens und der Veränderung der Dekoration,) der allerdings bis zum Ueberfließen volle dritte Akt getheilt und mit dem Schlusse der 12ten Scene der Vorhang niedergelassen werde. Doch bleibt die Trennung mißlich. Sollte die Anlegung eines Harnisches so viele Zeit bedürfen? – Hr. Hellwig entwickelte, als Wallenstein, auch diesmal ein so mannigfaltiges und durchdachtes Spiel, daß seine Antrengungen mehrmals durch lauten Beifall anerkannt wurden. Der Monolog im ersten Akt, bevor Wrangel eintritt, zeigte von großem Studium in der Veränderung des Tons und in den wechselnden Bewegungen, die Besonnenheit und Leidenschaft gebieten. Doch fanden wir darin immer noch mehr rhetorische als dramatische Deklamation. Nur die vollendete Kunst und ein seltener Umfang reiner Stimme vermag hier die dreimalige Rückkehr zum ruhigen Bewußtseyn und das Zurückschaudern vor der Schuld steigernd abzustufen. Und doch giebt dieser Monolog den einzigen Schlüssel zu Wallensteins Schuld. Weit mehr gnügte uns der zweite Monolog des Geharnischten, womit hier der zweite Abschnitt des 3ten Aufzugs beginnt. Wir wollen es nicht tadeln, daß er ihn sitzend anfängt und nun gleich beim vierten Vers aufspringt, obgleich Schiller sich diesen Wallenstein ganz stehend gedacht hat. Es versteht sich, daß der feinere Sinn unsern Wallenstein vor der lächerlichen Malerei des abgehauenen Stammes bewahrte, den selbst Ramberg, in der bekannten Abbildung in der Minerva, nicht vermied. Sehr gut zeigte er uns, wie ihm mit jedem Worte der alte Muth zurück komme, in Kräftigung des Tons und der Geberde. Ob die lange Verhüllung des Gesichts durch’s Niederlegen auf den Tisch den Schmerz, wie er einen Wallenstein bei der Nachricht von Ottavio’s Verrath überwältigen darf, würdig genug andeute, muß von der Gemüthlichkeit abhangen, womit das Ganze gespielt wird. Vorzüglich hat uns indeß die Scene mit den Pappenheimern und die Erzählung des Traumes in der Schlacht vor Lützen gefallen, jene durch geniale Kraft, diese durch mystische Weichheit. Ueberhaupt überließ sich Hr. Hellwig diesmal weit mehr dem Impuls der Kraft, ohne durch die Furcht, daß er blos Sprühteufelchen aufsetze, sich selbst kaltes Wasser aufzugießen. So wurden die ¦ Worte, womit er abgeht, um die Rebellen zu zähmen, und das furchtbare: Scheidet! womit er zwischen Max und Thekla tritt, mit wohlthuender Verstärkung gesprochen, und eben dadurch die mildern Scenen im letzten Akt vor der Todesstunde besser in Gegensatz gebracht. Wir hoffen, da so eine Frucht nicht wie eine Haselnuß, sondern wie die der Kokospalme reift, in der Folge noch öfterer auf diesen Wallenstein zurückkommen zu können, und bemerken hier nur noch die wohlthätige Wirkung, die es stets haben muß, wenn der Künstler, wie diesmal, vollkommen im Besitz seiner Rolle und ganz unabhängig von äußern Einflüssen ist.
Wir können fast von allen übrigen Rollen und ihrem tüchtigen Ineinandergreifen nur Beifälliges erwähnen. Eine Darstellung aus einem Guß und wahrhaft vollendet, war die des Obersten Buttler durch Hrn. Werdy. Sie wurde bei der ersten Vorstellung selbst von einem kundigen Beurtheiler belobt, der Hrn. Lemm’s in Berlin große Leistung darin bewundert hatte. Wann wird uns der Genuß zu Theil werden, sie mit einander zu vergleichen? Solchen Gastrollen würde sich auch unser Publikum in vollen Schaaren zudrängen! Hr. Werdy hatte den Charakter dieses Emporkömmlings, dessen Orakel gekränkter Ehrgeiz, dessen Abgott Rache ist, nicht nur mit psychologischer Wahrheit aufgefaßt, – dazu gehört wenig, da der Dichter selbst die Umrisse so scharf zeichnete und fast zu sehr motivirte, – sondern er malte auch alles mit der lebendigsten Versinnlichung so aus, daß wir nun diesen bösen Genius des Helden ganz begriffen und die wahrhaft tragische Situation, wo sich Wallenstein ihn um den Hals wirft, mit wachsendem Schauern empfinden. Aber sein Triumph ist die Scene, wo ihm Ottavio enttäuscht. Dies Niederstürzen auf den Stuhl, dies Verhüllen des bis auf die Knie vorgebeugten Gesichts, dies Ausstöhnen dumpfer Rachetöne mit auflodernder Zornflamme, mußte ja wohl lauten Beifall erndten. Die stets gebückte Haltung wollten Einige als Abschattung seiner frühern Unterwerfigkeitsperiode gelten lassen. Ein geborner General trage den Kopf höher!! Uns schien es nur zum Graukopf und seinem Leben überhaupt zu passen, dessen Erzählung freilich weggeschnitten war. Sehr charakteristisch ist der gediegene, langsam artikulierende Grundton seiner Stimme. Nur geben wir ihm zu überlegen, ob nicht in der Unterredung mit Gordon, und überhaupt, wo er in Eger als Befehlender auftritt, doch etwas mehr Keckheit hervortreten könnte, Abklang des so mächtigen Selbstgefühls, womit er auch wohl noch die Schlußworte an Ottavio um ein Gutes verstärken könnte.
(Die Fortsetzung folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Wallensteins Tod“ von Friedrich Schiller am 20. Mai 1819 (Teil 1 von 3). Die beiden letzten Teile folgen in den nächsten Ausgaben.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 130 (1. Juni 1819), Bl. 2v