Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Piccolomini“ von Friedrich Schiller am 18. Mai 1819 (Teil 2 von 3)

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Die Piccolomini.

(Fortsetzung.)

Aber das Publikum muß auch regere Empfänglichkeit zeigen und nicht jenen barbarischen Königsstatuen im Capitol gleichen, denen beide Hände abgehauen sind. Es muß jedem Gelungenen lauten Beifall zollen, denn dies ist und bleibt nun einmal die Lebenslust des Künstlers. Auch sollte es sich wohl zu solchen Vorstellungen zahlreicher versammeln. Der Frühling haucht, grünt und flötet in unserm paradiesischen Elbthale auch morgen und übermorgen noch. Aber ein dramatischer Vollgenuß, wie dieser, kann nur selten dargeboten werden, dem verständigern Lustwandler noch auf viele Abende hin ein willkommener Stoff zur Unterhaltung. Da sollte, wer eine Stimme hat, ein jeder im erwählten Kreise, zur freudigen Theilnahme an Melpomenens Heldenspiel eingeladen haben, das schon mehrere Tage vorher verkündigt wurde. Wir beklagen jeden, der an einzelnen Unvollkommenheiten und Mängeln mäkelnd, die Gelegenheit versäumen kann, bei der auch so noch vollbesetzten Tafel, an dem Köstlichsten, was unsre Sprache hat, in Sentenz und Charakteristik, an dem, was Schiller drei Jahre lang bildete und herrlich hervorrief, sich nach Herzenslust zu ersättigen, sich für’s Leben und für die Kunst aus der Darstellung selbst einen Schatz anzueignen, wie bloßes Lesen ihn nie gewinnt. Mag seyn, daß diese erste Hälfte des großen Drama, diese Piccolomini, mit keinem Knalleffekt endigen. Die Scene zwischen Vater und Sohn ist aber doch in sich herrlich geschlossen und wieder trefflich einleitend und vorbereitend. Auch tritt mit der hier eintretenden Gefangennehmung des Sesina die wahre Peripetie des Ganzen ein. In Paris und London, ja selbst in Wien und Berlin, gehn viele tüchtige Zuschauer, nur um einzelner Scenen willen, stets wiederkommend, in’s Schauspiel, finden aber im Vorbeigehen unerwartet auch da, wo sie nicht suchten. Und sähe ein ächter Theaterfreund bei uns auch nur die imposante Audienzscene, den Halbkreis der zwar buntfarbig costümirten, aber den Charakter des friedländischen, vielfach geputzten Heeres gut ausdrückenden Kriegsobersten, mit Wallenstein und Questenberg an den zwei Spitzen, und bemerkte Hrn. Hellwig’s kräftiges in verhaltenem und auflodernden Unmuth dem Urbild, wie sich’s Schiller dachte, sich wirklich annäherndes Spiel; oder gäb’ ein andrer sich auch nur den Gefühlen hin, welche durch das vollendete Spiel unsrer TheklaSchirmer in dem berühmten Monolog: es geht ein finstrer Geist durch dieses Haus, aus der innern Tiefe dieses Charakters, des zartesten, den Schiller schuf, in uns erregt und entfaltet werden: so härte der Abend der ächten Kunstliebe schon einen frischen Kranz geboten.

Man erwarte hier nicht die Zergliederung aller einzelnen Kunstleistungen. Künstler und Kunstjünger haben durchaus nach Kräften und was jedem seine Naturvermögen gestattete, redlich beigetragen. Und wo vereinigt eine Bühne alle Talente! Ein Max in frischerer Lebensblüthe und anmuthigerer Geschmeidigkeit eines ächten Paladin war z. B. bei unserm Personal nicht zu finden. Die schwierigste Rolle nach Ottavio, bleibt die des Friedländers mit ¦ seinem hochemporstrebenen, auf sein Glück und auf die Sternengunst trotzenden Herrschersinn. Mit der kecken Vermessenheit eines verzogenen und blos darum verblendeten Glückskindes, hat er doch wieder eine eigene Mischung von Gemüthlichkeit und Hochherzigkeit. Es ist Schillers Fantasiegebild, nicht der Wallenstein der Geschichte. Mit bloßer Kunst wird diese Rolle nicht erobert. Das hat Iffland bewiesen. Der Schauspieler, der ihn mit Erfolg spielen will, muß große körperliche Mittel besitzen und sie ganz zu gebrauchen wissen. Nachdem wir Hrn. Hellwig’s Spiel in der zweiten Vorstellung ohne Vor- und Abgunst genau beachtet haben, glauben wir, uns alle Foderungen vergegenwärtigend, die Schiller selbst bei dem ersten Einstudiren dieser Rolle in Weimar an den dort noch lebenden Graff machte, aber nicht gleich erfüllt sah, versichern zu dürfen, daß unser Künstler bei unablässig fortgesetztem Studium sich ihrer vollkommen bemächtigen und einst ein wahrer Wallenstein auf der Bühne werden könne. Hoch hängt der Kranz. Doch wer ihn erringt, ist schon darum ein gepriesener Meister. Der redlichste Eifer, von der Natur so unterstützt, muß ja wohl endlich ganz zum Ziele führen. Beim ersten Eintritt ist Wallenstein Gatte und Vater. Da wußte Hr. Hellwig diesmal Milde mit Anstand gut zu paaren. Bei der ersten Vorstellung war es mehr Herablassung zur weiblichen Schwäche. Allein es ist ihm ja wirklich so um’s Herz. Ueberall trat das fantastisch-Kräftige zur Gnüge hervor. Denn in den Piccolomini’s ist Wallenstein noch voll Riesenpläne und Zuversicht. Er spielt nur noch mit den Ideen von Abfall und Treubruch. Dies muß uns bis in seine geringste Bewegung fühlbar werden. Der Künstler überließ sich diesmal weit mehr seinem eigenen Genius, und so gelang es. Noch mehr Visionäres, Begeistertes in der astrologischen Exposition an Illo, den er so tief unter sich fühlt, hätte nicht geschadet. In der Audienzscene gerieth ihm die Steigerung des übermannenden Zorns, mit spättischem Hohne vermischt, weit besser. Er springt eher auf, als der Dichter vorschrieb, gleich nachdem Questenberg von Suys gesagt hat: er rückte vor. Vollkommen richtig. Er kann nicht länger sitzen. Der Zorn wird zum Springstock. Aber nun muß auch von Seite der Kriegsobersten das Todesurtheil rascher ausfallen. Sehr gern vermißten wir bei der zweiten Vorstellung das Spiel mit den Klapphandschuhen, an welchen er beim ersten Mal den noch zurückgehaltenen Ingrimm ausließ. Es ist mit dem Handschuhspiel, wie mit dem Mantelspiel. Die schönsten Effekte werden oft dadurch erdrosselt. Noch etwas mehr Würde muß in die stolzen Worte gelegt werden! Hier der Feldmarschall Illo weiß um meinen Willen! Auch fodert er Feldherrnanstand, daß der Fürst die andern nicht begleitet. Er bleibe allein, in Gedanken vertieft, am Proscenium stehn. – Man hat seine Maske zu kräftig finden wollen. Sie ist nach einem Portrait, und so findet ihn auch die Tochter. Freilich spricht er zu dem Pappenheimern von greisem Haupte. Und ein Schauspieler, der in Berlin diese Rolle spielte, zeigte das wirklich. Allein Wallenstein ist ja da geharnischt und bedeckt. Er spielt da blos den Greis, spricht aber später mit Gordon noch von seinem braunen Haupthaar.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Piccolomini“ von Friedrich Schiller am 18. Mai 1819 (Teil 2 von 3). Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe, der letzte Teil folgt in der nächsten.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 128 (29. Mai 1819), Bl. 2v

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