Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 9.–14. Februar 1819 (Teil 1 von 2)
Am 9. Febr. Schein und Wirklichkeit. Lustspiel in 4 Akten nach Shakespear. Trotz der Sünden, die sich der Bearbeiter dieses Stücks hat zu Schulden kommen lassen, hält es doch die innre Shakespearsche Glut und der trefflichen Schirmer meisterhaftes Spiel in den Zwillingen noch aufrecht.
Am 10. Febr. Le cantatrici villane.
Am 11. Febr. Das große Loos. Lustspiel in 1 Akt, von Hagemeister. Herr Geyer entfaltete als Elias Trippel den ganzen Reichthum ächt¦komischer Laune. Hierauf: Die beiden Blinden von Toledo.
Am 13. Febr. Zum ersten Male: La gazza ladra. Die diebische Elster. Melodrama in 4 Aufzügen. Musik von Rossini. Die Beurtheilung folgt bei den nächsten Vorstellungen.
Den 14. Febr. Das Leben ein Traum, in 4 Akten, von Calderon, übersetzt von Gries. Schon Iffland hat es irgendwo ausgesprochen, daß, da keine Theater-Direction auf Ohnfehlbarkeit Anspruch machen, oder ihren Künstlern jenem berühmten Nectarbecher steter Jugend bieten könne, der Zusatz bei einem ältern Stück auf den Repertorium: neubelebt in der Ordnung gleich bedeutend sey mit neubelebt. Auch lassen es verständige Schauspieler, die nicht vom schnöden Rollenteufel besessen sind, nicht einmal dahin kommen, daß ihnen Rollen, für welche ihre Kraft oder ihr Alter nicht ausreicht, erst von Directionswegen abgenommen werden. Denn sie beherzigen mit Fassung, daß sie um des Publikums willen da sind, nicht aber das Publikum um ihrentwillen. Wir können es wenigstens unserer Direction nicht genug danken, daß sie uns in Calderons nie genug zu preisenden Traum durch die neue Besetzung der zwei Frauenrollen, so wie des zwischen beiden innestehenden Astolfs nun erst einen vollendeten Genuß des Stücks gewährte. Der Erfolg übertraf jede Erwartung. Was auch Dünkel und Persönlichkeit dagegen schreien mögen, es ist, wo nicht das einzige, doch das erprobteste Mittel, den scenischen Kunstquell, der sonst so leicht versumpft, als lebendigen Springquell frisch zu erhalten. Dadurch, daß Mad. Werdy die Rosaure, Mad. Schirmer mit lobenswürdiger Bereitwilligkeit bei einer bloß rundenden Nebenrolle die Estrella, Hr. Kanow den Astolf bei erneuerter Vorstellung übernehmen konnte, wurde es nicht nur möglich, die berühmte Porträtscene am Schlusse des zweiten Akts ganz wieder herzustellen, sondern auch die so sehr im Character romantischer Galanterie von Calderon herbeigeführte Schmelzung der harten Schroffheit und Bändigung des sich bäumenden Stolzes Sigismunds durch den Anblick des Weibes, vor der er ausruft: „alle Huldigungen des Mannes hat dieser Name in sich verschlungen“, und die wahrhaft erhabne Selbstbekämpfungsscene beim dritten Erblicken des reizenden Frauenbildes, wodurch Sigismund enttäuscht aber auch zum Throne würdig werden soll, wahrhaft zu motiviren, Rosaura’s Rache und Genugthuung läuft als gewaltige Wahrheit des wachen, wirklichen Lebens in beständiger Parallele mit dem Traumleben Sigismunds. In diesem Contrast zeigt sich Calderon als ein Meister, des schon von A. W. Schlegel so wahr bemerkten, sinnlichkräftigen und ätherisch-zarten. Das alles geht verloren, wenn Rosaura nicht von einer wahren Künstlerin gespielt wird.
(Der Beschluß folgt.)
Apparat
Verfasst von
- Anonymus
- Carl August Böttiger
Zusammenfassung
Chronik der Königlichen Schaubühne, Dresden vom 9.-14. Februar 1819. Dabei der erste Teil einer ausführlichen Besprechung von „Das Leben ein Traum“ von Calderon und der Übersetzung von Gries. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 47 (24. Februar 1819), Bl. 2v