Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Sappho“ von Grillparzer am 18. Juli 1818 (Teil 2 von 4)
Sappho.
(Fortsetzung.)
Die große Frage ist hier nur: wie genügten unsere Künstler diese Aufgabe, die leicht den schwersten, aber auch schönsten, zugezählt werde mag, die unserer Bühne neuerlich geboten wurden? Was anerkanntes Kunstvermögen, tiefes Studium der Rolle, Uebung und geistreiches Auffassen darbieten, wurde redlich geleistet. Sappho und Phaon erndteten doch schon jetzt allgemeinen Beifall. Melitta that, was sie vermochte und – wird reifer werden. Mad. Werdy, durch Körperlichkeit und ihr bisheriges Rollenfach zu dieser Rolle ausgerüstet, übertraf jede Erwartung, die nicht das Unübertroffene ihr entgegenstellend sich selbst um den Genuß betrog. Die lebhaftesten, oft wiederkehrenden Zeichen des Beifalls schlossen mit einem einstimmigen Hervorrufen. Wir sahen in ihrer Haltung und in ihrem Vortrag die treffliche Schule, in der sie ihre erste Bildung empfing. Der schöne Abend, an dem ihr einst Schiller, Göthe, Herder und Wieland, bei der ersten Aufführung von Maria Stuart, Beifall zuwinkten, belebte sich in unserer Erinnerung. Es ist etwas, eine Künstlerin – sey vieles auch nur noch im Andenken, – unter uns zu sehen, die jenen Heroen gefiel. Was die Sappho anbelangt, so mag für einige, die uns eine Stelle aus Martial gern zurufen möchten (XI., 101.), und sich, wer weiß welche, ätherische Sveltezza bei dieser hochgepriesenen Griechin träumen, die antiquarische Bemerkung stehen, daß der größte Portraitkenner der Antiken, Visconti, aus einer in der Kaiserl. Sammlung in Wien befindlichen Münze von Mytilene ganz ungezweifelt bewiesen hat, qu’elle avoit de l’embonpoint; c’est ce que nous reconnoissons dans la portrait gravé sur cette medaille*). Unsere Künstlerin, mit anständiger Genauigkeit nach Phaon’s Angabe costümirt, gab vorzüglich in der 1sten Scene und am Schluß, wo sie das Gebet der Weihe spricht, eine sehr reizende, ungemein wohltuende Erscheinung. Sie gab, was wir uns in der Sappho denken, durch Anstand und Würde, selbst da, wo die höchste Leidenschaftlichkeit sie fortreißt. Denn das ist das Schwierigste in dieser Rolle, auch in der Glutscene der Eifersucht nie verächtlich zu werden. Sonst parodirt sich die tragische Eifersucht selbst und wird Lustspiel. – Man hat manches gegen den ersten Akt einzuwenden gefunden. Doch wird kunstreich alles Kommende vorbereitet. Die Künstlerin zeigte sich durch die feinste ¦ Hingebung mit dem süßen Hauch einer ersten Liebe; aber sie hat Erfahrung. Sie fühlt’s, der geliebte Phaon zeigte mehr befangenes Geschehen-lassen, als Gegenliebe. Darum muß das erste Aufblitzen von augesprochenem Zweifel, wie sie, Phaon bei der Hand ergreifend, ihm zuruft: „Nur Eins verlieren könnt’ ich wahrlich nicht,“ nicht zärtlich, sondern ängstlich-ahnend, aber mit steigendem Nachdruck gesagt werden. So nahm es Mad. Werdy. Untadelhaft wurde der schöne Moment dargestellt, wo sie beim wehmüthig abgenommenen Lorbeerkranz das von Melitta ausgesprochene: „Von Tausenden gesucht und nicht errungen,“ erst leise in sich wiederholt, dann nach einer Pause, als töne ihr in diesem Augenblick ein Orakel, in ihrem Innern zusammenfährt und, mit Triumph laut aufjubelnd, den trostreichen Spruch noch einmal ausruft. Wie vom elektrischen Schlag getroffen, klatschte auch das Publikum. Die lyrische Stelle am Schluß war mehr rhythmischer Gesang, als bloß Declamation. Der Reim hätte alles verdorben. Sehr brav wurde das letzte Lebewohl! am Schlusse des zweiten Akts nachgerufen. Es entquoll einer zwar tiefbewegten, doch noch nicht bestürmten Brust. Aus der Liebhaberin wollte sich eine warnende Gouvernante gestalten. Es kommt aber nicht dazu. Jeder Versuch zerschmilzt in der innern Glut. Dem herrlichen Monolog zu Anfang des 3ten Akts, den Müllner eine Aufenthaltkarte im Hôtel de Melpoméne genannt hat, ward sein volles Recht. Gleichnisse in solchem Aufruhr und Wechsel der Leidenschaften sind kaltes Wasser, wenn die nicht mit wachsender Beschleunigung, gleichsam als Wolkenbilder, die, vom Winde gepeitscht, dem Gewitter vorausfliegen, hingeworfen werden. Unsere Künstlerin hatte dies sehr gut begriffen und sprach die fünf Verse, die mit dem Gleichnisse von den jungen Vögeln anheben, mit zunehmender Schnelle und doch deutlich. Der Angstlaut beim Vernehmen des Worts Melitta mit dem Gest, womit man vom Tritt auf eine Natter zurückbebt, wirkte um so kräftiger, als sie durch die zärtlich über den Schläfer schwebende, übergebogene Stellung, uns nicht an die Diana, die über dem Endymion, sondern an die Venus, die über Adonis sich hinbeugt, erinnert hatte. Hier helfen alle Attitüden-Künste allein nicht. Die Kunst muß zur Natur werden.
(Die Fortsetzung folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Sappho“ von Grillparzer (Teil 2 von 4). Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe, die 2 übrigen Teile folgen in den nächsten Ausgaben.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 186 (6. August 1818), Bl. 2v