Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater und Linkesches Bad: 27. Juni 1818 (Teil 2 von 2)
Die Drillinge.
(Beschluß.)
Von einem so gepriesenen Künstler, wie Herr Wurm in unsern Theaterannalen schon seit einer Reihe von Jahren verkündet wird, läßt es sich in voraus erwarten, daß er die Kunst des Improvisirens verstehe, und den herkömmlichen Text, wie er im Soufleurbuche steht, nicht nur mit voraus berechneten Einfällen, wie mit Salzkörnern, aus seinem schon zu Hause aufgehäufelten Salzfäßchen, bestreue, sondern auch, so wie der Augenblick ihn ergreift und begeistert, – hier muß der Resonanzboden des Instruments, das mehr oder weniger empfängliche Publikum, den mit allen Fühlhörnern aufmerkenden Künstler leiten und stimmen, – aus unwiderstehlicher Lust bald mehr, bald weniger neugestalten. Wir glauben, diese Genialität des Augenblicks mehrmals, besonders beim Dictiren des Ehevertrags, bemerkt und von den schon herkömmlichen Zusätzen hinlänglich unterschieden zu haben. Indeß würden wir doch erst dann mit voller Ueberzeugung darüber urtheilen können, wenn wir ihn dieselbe Rolle öfter durchspielen sähen und von allen wiederkehrenden Späßen und Witzspitzen, von allen Stereotypen der Spaßhaftigkeit völlig frei sähen. Denn so wie ein geistreicher Schriftsteller, wenn er zum Abschreiben verdammt ist, kaum irgend eine treue Copie zu machen vermag, sondern stets Neues einzuschieben sich gedrungen fühlt: so wird auch der komische Schauspieler, wenn er nicht eine blos eingelernte Weise ableiert, nie von sich selbst oder andern eine bloße Copirmaschine seyn können. Wir erinnern uns, in öffentlichen Beurtheilungen allerdings die Bemerkung gelesen zu haben, Hr. Wurm beschränke sich nicht nur überhaupt auf eine sehr mäßige Zahl der Rollen, sondern er wiederhole sich auch in diesen Rollen viel zu sehr. Dabei kommt freilich die alte, schon von Iffland in einem seiner Theater-Almanache erörterte Frage wieder in Anspruch, ob, wo sich der Schauspieler bewußt ist, er vermöge gelungeneres nicht zu geben, er blos um der belobten Abwechslung willen dennoch zu variiren berufen sey? Das ist durchaus Sache des innern GeGefühls‡ und steht auf jener, von außen herein schwer zu bestimmenden Scheidelinie zwischen bloßem Talent und wahrem Genie. Doch ganz abgesehen davon, würden wir solche Wiederholung nur auf Rechnung der oft auch den besten Künstler beschleichenden Bequemlichkeit schreiben. Wer legt sich nicht gern auf das schon fertig gebettete, weiche Lager? Wir sind auf’s innigste überzeugt, daß Hr. Wurm ein geborner Comikus sey und aus innerer Machtvollkommenheit und wahrem Naturberuf – das heißt doch wohl Genie? – alles könne, was er wolle, bitten ihn aber, sein inneres Ohr ja jedem Sirenenton ¦ dieser behaglichen Selbstgenügsamkeit zu verschließen, wobei in der That die Gefahr um so bedenklicher seyn würde, als seine jetzigen Kunstleistungen auf längere Zeit hin nur auf Gastrollen, auf verschiedenen Bühnen Deutschlands, gestellt ist, wo bei stets neuem Publikum man doch in kürzester Zeit alt werden kann und dann nur durch Caricatur und Uebertreibung, die in diesem Fache durchaus an den Pickelhering in niedriger Arlechinade streifen müßte, noch gesalzen werden könnte. Doch vor so schmähligem Herabsinken wird ihn gewiß sein Genius stets bewahren. Dieser beurkundet sich unverkennbar in der Kunst, daß er, dem scharfes Auffassen des Lächerlichen in jedem Menschen und das mimische Talent zu porträtiren so sehr zu Gebote steht, doch wirklich nicht das Individuum, sondern immer die Gattung spielt, und so fern als selbstschaffender, und das Beste in seinen obersten Spitzen zusammenfassender Meister da steht, welches übrigens das reine Copieren, da wo es zur aristophanischen, züchtigenden Satire werden könnte, gar nicht ausschließt, und dem Vernehmen nach von unserm Comicus, wo es ihn räthlich bedünkte, zur Gnüge geübt worden ist. Der Köpnicker Ferdinand, wie er uns hier erscheint, leibt und lebt in ächter kindischen Unbeholfenheit und ungezogenen Gutmüthigkeit. Aber er ist doch nur ein fantastisches Geschöpf und ein Product der Einbildungskraft aus hundert wirklich beobachteten Zügen zusammengeschmolzen, nicht zusammengesetzt. Durch den Zusatz der berlinischen gemeinen Mundart, die, wie bekannt, Hr. Wurm mit der ergötzlichsten Mannigfaltigkeit und Plattheit wiederzugeben versteht, wird dieser kindische, weichherzige Zierbengel nun auch lokalisirt, und das Gemälde erhält so den letzten vollendenden Pinselstrich. Aber auch wegen dieses Berlinischen Patois hätten wir noch einige kleine Besorgnisse auf dem Herzen, die wir uns aber vorbehalten, bei einer andern Veranlassung äußern zu dürfen.
Im Nachspiel, der Vetter aus Bremen, von Th. Th.‡ Körner, womit die heutige Vorstellung beschloß, erndtete Dem. Tilly, als Pachterstochter, den lautesten Beifall, durch die reine, noch durch keine Manier verdorbene Natürlichkeit ihres Spiels, mit dem gehörigen Zusatz von unschuldiger Schalkhaftigkeit, womit in dieser Situation alle Töchter Pandorens auch ohne ein ars amandi ausgerüstet sind. Ihr weiches und doch vernehmliches Organ steht im besten Einklang mit dem gefälligen Spiele. Hier wäre also ein schönes Talent für weitere Ausbildung gewonnen, wenn die jugendliche Unbefangenheit sich in anspruchloser Gelehrigkeit das rechte Vorbild zu wählen und diesem, ohne Ziererei und Manier, mit Selbstständigkeit und Selbstverläugnung zugleich, sich anzuschmiegen weiß.
Böttiger.Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater und Linkesches Bad: 24. bis 27. Juni 1818 (Teil 2 von 2), dabei besonders über „Die Drillinge“ von Bonin. Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 160 (7. Juli 1818), Bl. 2v