Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 16. bis 19. Februar 1818 (Teil 1 von 2)
Am 16. Februar. Die Schuld. Mad. Werdy hatte die Rolle der Elvire, welche bisher Mad. Hartwig gab, übernommen.
Am 17. Februar. Peter und Paul, und: Zwei Worte im Walde.
Am 18. Februar. Fuorusciti.
Am 19. Februar. Schein und Wirklichkeit, Lustspiel in 4 Akten nach Shakesspeare, vom Schauspieler Stegmayer.
Die Direction erfüllte durch die Wiederbesetzung und Zurückrufung dieses im Jahr 1812 zuerst auf unserer Bühne gebrachten Stücks einen Wunsch des Publikums, das sich an die gelungene Kunstleistung von Mad. Schirmer im Contrast einer Doppelrolle, der doch das übrige nur zur Einfassung dient, mit Vergnügen erinnerte. Es hatte diesmal durch die neue Besetzung mehrerer Nebenrollen viel gewonnen und würde, hätte die Rolle des dritten Liebhabers auch in andere zum Empfange schon ausgestreckte Hände übergehen können, noch ergötzlicher geworden seyn.
Wir lesen in der alten Anecdotensammlung des Aelian von einem Bilde – wir würden es ungestraft eine Carricatur nennen – welches Galaton für den ägyptischen König Ptolemäus Philopater zum Schmuck eines dem göttlichen Homer geweiheten Tempels gemalt hatte. Vater Homer war darauf vorgestellt, wie er sich im Trunke übernommen und die Folgen dieses Uebermaßes wieder von sich gegeben hatte. Rings herum schöpften die späteren Dichter diesen Ueberfluß auf und füllten damit ihre dem Publikum dargebotenen Schaalen. Man mag das Bild ungesittet, ja Ekel erregend finden und beiläufig daraus lernen, daß auch Griechenland seinen John Bull hatte. Allein der Sinn, welcher darin liegt, paßt auch auf die Bearbeitung und Zurichtung so manches Stücks des unsterblichen Shakespears, besonders in unsrer dramatischen Literatur aus den letzten Jahrzehenden des verflossenen Jahrhunderts. Man begreift kaum, wie sich das alles doch noch auf unsern Bühnen fortgepflanzt hat. Allein es liegt ein überschwenglicher Segen, ein unverwüstlicher Lebenskeim in diesen hohen shakespearischen Fantasieschöpfungen. Dieß beweißt auch diese Stegmayersche Verstümmelung oder Verstümperung eines der genialsten Lustspiele des hochbegabten Britten. Shakespears heiliger Dreikönigsabend oder was ihr wollt (Twelfth night, or, what you will) entzückt durch den Farbenschmelz eines in ¦ den Regenbogen getauchten poetischen Pinsels, vermält eine sinnreiche Intrigue mit einer Fülle komischer Situationen, und wird allgemein für sein letztes hochvollendetes Werk, für seinen Schwanengesang genommen. Es ist ein Lieblingsstück der Britten, wo nicht für die Bühne, doch für den höhern Kunstgenuß. Hier behandelt der Dichter die Liebe nicht bloß wie eine Sache der Einbildungskraft; er entwickelt vor unsern Augen alle Tiefen des Gefühls in dieser einzigen Leidenschaft der Modernen. Des scharfsinnigen Kunstrichters A. W. Schlegels Urtheil über dies Stück und über die dieser hohen Leidenschaft zum Gegengewicht gegebenen Narrheiten des alten und wüsten Landjunkers und des pedantischen Haushofmeisters wird jeder mit Vergnügen unterschreiben, der sich die Mühe nimmt, das Original zu vergleichen. Die Rolle der als Page verkleideten, die stolze Olivia in Liebe bestrickenden Viola, woraus Kotzebue seinen Pagen im Ritter Bayard entlehnte, des bis zur Verrücktheit in seine Herrin verliebten Haushofmeisters Malvolio und des trinklustigen Raufbolds Sir John Belch sind jedem gebildeten Britten von früher Jugend an Lieblinge geworden. In welchen Plattheiten und Verwässerungen ist nun dieß alles in Stegmayers Travestirung untergegangen. Ein Holzschnitt nach unserm besten Rembrand. Doch es wäre vergeblich, wenn wir uns jetzt noch über diesen Unsinn ereifern wollten. Es ist das Siegel und Merkmal des wahren Genie’s, das es selbst die plattesten Nachbildungen und Parodieen seiner geisterfüllten Erzeugnisse noch mit einem erquickenden Lebensodem durchdringt. Und so gewährt auch das Stegmayersche Machwerk noch immer eine weit vergnüglichere Unterhaltung, als manche gepriesene, nagelneue Originalposse. Ist dieß aber nicht ein Wink für unsere besseren dramatischen Dichter, aus Shakespears unerschöpflichen Fundgruben öfterer Stoff und Inhalt ihrer Stücke zu entlehnen? Hier öffnet sich ihnen ein weites Feld. Der üppigste Fantsieflug wird es nie überfliegen können. Mit Vergnügen vernehmen wir daher, daß sich eben ein geübter Meister an Shakespears Sommernachtstraum aufs neue zu versuchen gesonnen sey. Noch rufen sechs andre Stücke dieses Dichters den, der die Weihe dazu empfing, zu ähnlicher Bearbeitung auf. Glücklich ist freilich die Bühne, welche Shakespear’s Stücke so unverstümmelt als möglich ins Leben hervorrufen darf. Wenn werden wir so Romeo und Julie erhalten?
(Der Beschluß folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 16. bis 19. Februar 1818 (Teil 1 von 2), dabei besonders über „Schein und Wirklichkeit“ von Stegmayer. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 55 (6. März 1818), Bl. 2v