Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: plastisch-mimische Darstellungen von F. Flor am 4. Januar 1818 (Teil 2 von 2)

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Plastisch-mimische Darstellungen.
(Beschluß.)

Wir erlauben uns nach diesen allgemeinen Bemerkungen nur noch einiges im Einzelnen anzuführen. Die Vorstellungen begannen mit der sehr zeitgemäßen Allegorie des alten und neuen Jahres. Das alte, ein entschlummerter Greis, liegt zu den Füßen des rasch auftretenden Jünglings (Hr. Flor), des neuen Jahrs. Die vier Jahreszeiten als Horen, weibliche Gestalten, umringen huldigend den jungen Sohn der Sonne, durch ihre bekannten Attribute bezeichnet. Wir wußten aus Jean Paul’s bekannten Jahresberichten diese Alt- und Neujahrsgruppen wohl zu einer ¦ ganzen Reihe von Tableaux auszuspinnen, die dem Publikum vielleicht nicht mißfällig wären. Doch wo es nur bei Einer allgemeinen Gruppe stehen bleibt, wird sie schwerlich viel anders genommen werden können. Nur hatte dies neue Jahr für die meisten Zuschauer – absit omen – keinen Sommer; denn dieser wurde für sie von dem Neujahrs-Jüngling völlig verdeckt. Vergessen wir nie, daß nur die Regel für die antiken Reliefs hier in Ausübung gebracht werden sollte. – Jedermann freute sich, die schon bei der ersten Schaustellung mit regestem Beifall aufgenommene Gruppe des gesunkenen Mannes noch einmal zu sehen. Da Mad. Schirmer als Hoffnung, Dem. Schubert als Glauben des Gesunkenen durch leise Berührung stärkte, die Zeit aber (Hr. Burmei|ster ihn wohltuend aufzurichten strebte, so war der Sinn nicht zu verfehlen. Es war nicht der lebenssatte Greis, es war der gebeugte Mann, der in der Zeit den schönen Arzt, in Hoffnung und Glauben die schönsten Pflegerinnen findet. Alles war diesmal noch weit runder und gemüthlicher. – Weniger einleuchtend, ja unverständlich war die folgende Gruppe, Kunst und Krieg. Zwar stellte Hr. Helwig einen ächt Yngurdischen Kriegsgott im gewaltigsten Ausdruck dar, und gefiel für sich gar sehr. Aber sein Zusammenhang mit der unter ihm waltenden Gruppe, einer Jungfrau mit zwei Kindern, welcher ein Jüngling auf der Leier vorspielt (Dem. Christ, Herr Flor), war zwar für sich auch lieblich anzuschauen und eine sehr erfreuliche Friedensgruppe. Nur blieb (wahrscheinlich nur wegen einer augenblicklichen Störung) die Frage ungelöset: flieht dieser Mars vor diesen freundlichen Tönen oder befreundet er sich mit ihnen? Von den zwei folgenden Tablaeux ward schon oben gesprochen. Den Schluß dieser Abtheilung machten Ossianische Nebelgebilde. Der Barde Ossian mit der Harfe (Hr. Burmeister) im Vordergrunde. Hinter einem Flor erschienen, gleichsam von Nebel umschleiert, Fingal und Malvina, als verkörperte Fantasiegebilde. Es gefiel, ist aber noch großer Verfeinerung empfänglich, um den Eindruck ganz zu vollenden.

Es war Erfüllung eines vielfach ausgesprochenen Wunsches, die fortschreitende Pantomime Galatea und Pygmalion noch einmal zu sehen. Diesmal stand das zu belebende Marmorbild in der Mitte und ward allen sichtbar. Mad. Schirmer gab die vier Hauptmomente des Erwachens zum Bewußtseyn, des Ermessens vom Raum, des ersten Blicks auf den Künstler, wodurch der Versuch zum herabsteigen allein motivirt werden kann, und der Umarmung mit einer Sicherheit im Entwickeln und Fortschreiten, und mit einem Liebreize, die in dieser Beschränkung von Zeit schwerlich irgend wo übertroffen werden dürften. Die zarte Färbung des Gewandes stand mit der Carnazion diesmal in noch inniger Verschmelzung. Nur vermag der Antiquar den Wunsch nicht zu unterdrücken, daß es der holden Künstlerin, die ja nicht erst einer Attitüde bedarf, um Grazie zu entwickeln, gefallen haben möchte, die aus der französischen Manier abstammende, herkömmliche Stellung der Galatea, bestehend in dem rechts gehoben, im Freien schwebenden Arme und der abgebogenen Kopfsenkung, mit der Stellung unserer Herkulanerinnen zu vertauschen. Dieser Riposo, diese himmlisch-reine, ganz in sich geschlossene Stellung, die es mit nichts außer sich, selbst mit keiner nur zu sichtbaren Schnur zu thun hat, müßte ja hier um so mehr an ihrer Stelle seyn, als dann erst das erste Ausbreiten der Arme in lebenslustiger Beweglichkeit sich wahrhaft ausspricht. Hr. Flor gab den Künstler dem Bilde gegenüber mit durchdachtem Spiele. Vorzüglich gelang ihm die Andeutung, daß seiner Fantasie nur Ein Ideal gnüge, und das diesmal sehr malerische Niedersinken beim Uebermaß des Entzückens, sehr gut. Die hierauf folgenden sechs ernsten und sechs launigen Gemüthszustände entwickelten sich selbst da, wo schroffer Gegensatz den Uebergang erschwerte, z. B. in der Trostlosigkeit, die auf Zuversicht folgte, sehr natürlich, ja weit angenehm. Nur fürchten wir, daß es auch noch in dieser verkürzten Reihe Synonymen gebe. Die darstellbare Frömmigkeit ist der Glaube. Heuchelei und Scheinheiligkeit sind nur in so fern verschieden, als in erstem die Quelle des letztern ist. Auch sind Schmeichelei und Adelstolz nur in Beziehung auf einen zweiten Gegenstand vorstellbar. Der Hofmarschall in Ifflands Selbstbeherrschung ist nur ein lächerlicher Geck, wenn er nicht dem Constant oder dem Sekretär gegenüber steht. Die gelungenste Mi¦mik fanden wir in der Ergebung, in der Scheinheiligkeit (das Schalksauge zu den über die Brust gefalteten Händen), die Dummheit (nur die Kniee waren nicht dumm), und die Faulheit (der Gest des Kratzens hinter die Ohren in Verbindung mit dem obigen sehr sprechend). – Noch erhielten wir zum Schluß zwei geschichtliche Tableaux. Der Moment aus Churfürst Moritz tödtlicher Verwundung bei Sivershausen, wo er aus der Ohnmacht frei aufathmend zur Verfolgung der Feinde winkt, hat unser Prof. Rößler* in einen vom Dresdner Publikum sehr gern gesehenem Gemälde früher ausgestellt. Darnach ordnete Herr Flor seine historische Gruppe. Herr Helwig hätte den in unserer Rüstkammer befindlichen Harnisch des Churfürst Moritz anlegen können. Allein dies hätte hier der malerischen Wirkung weniger zugesagt. Alles kommt auf den Moment des sich selbst vergessenden Hinweisens auf die Feinde an. Hier vermißten manche bei der Darstellung die Deutlichkeit. Die Gruppirung war nach dem Gemälde wohl geordnet. Nur ein Pferdekopf hatte vielleicht zur Unzeit seine Stelle verändert. – Den Schluß machte die Verklärung des Romulus aus der heidnischen Sagenwelt, da aus einem christlichen Kreise hier nichts entlehnt werden durfte. Man vermißte bei dem auf eine ziemlich dichte Wolke gestellten Romulus ein mehr ästhetisches Flugwerk. Die Verklärung sollte durch ein sogenanntes Brillantfeuer hervorgebracht werden. Allein so herrlich dies auch den Rücken der Hersilia und die übrigen Erstaunen-ausdrückenden Umgebungen mit Schimmer übergoß, so konnte es doch in dieser Richtung die bezweckte Wirkung nicht hervorbringen, des Uebelstandes nicht zu gedenken, daß nun Beleuchtung von zwei Seiten entstand. Es ging, was, auf den Schluß berechnet, den stärksten Eindruck von allem machen sollte, als Genuß für den Zuschauer größtentheils verloren.

Das eigentlich-künstlerische Publikum – und Dresden hat ein solches vor vielen andern Städten – hatte viel gegen die Gattung an sich und gegen die einzelne Ausführung einzuwenden. Seinen Tadel hat ein Wortführer in diesen Blättern auszusprechen sich vorgenommen. Das übrige unbefangene Publikum wußte es der alles Gute freundlich befördernden Direction sowohl als dem auch diese Leistung fast ohne alle Proben so richtig ausführenden Künstlerverein unsrer Bühne aufrichtig Dank, auch mit diesen plastisch-mimischen Darstellungen bekannter geworden zu seyn. Es ist nur Gerechtigkeit, wenn wir in dem wackern Künstler, Herrn Flor, eine rege Fantasie und eine schöne Fertigkeit, sich und andere mimisch zu gestalten, anerkennen. Nur muß er dem Zufall und der augenblicklichen Eingebung nichts überlassen. Das Plastische darf nie leichtsinnig und nebulistisch behandelt, es muß in jeder Stellung und Gruppirung durch unwandelbare Vorschrift geformt und tüchtig eingeübt werden. Auch eignen sich diese Schaustellungen wohl nicht immer zu ganzen Soirées. Es ist Confect, das, wo es herrlich hergehn soll, zuweilen als zum Nachtisch aufgetragen wird. Es wäre wohl recht schön und einer Kunststadt, wie Dresden ist, vollkommen angemessen, wenn von Zeit zu Zeit, besonders bei feierlichen Gelegenheiten, eine oder zwei von Professoren unserer Kunstacademie genial erfundene, fest vorgezeichnete Tablaeux, im Verein mit unserm überall gern eingreifenden Regisseur, Hrn. Helwig und den übrigen wackern Bühnenkünstlern und Künstlerinnen, die hierzu Beruf haben, auch außer der Bühne, nicht blos als Augen- und Sinnenlust, sondern im Einklang mit noch edlern Zwecken (der Wohlthätigkeit, der Kunst) aufgestellt würden!

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: plastisch-mimische Darstellungen von F. Flor (Teil 2 von 2). Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 12 (15. Januar 1818), Bl. 2r

    Einzelstellenerläuterung

    • „… winkt, hat unser Prof. Rößler“Johann Carl Rößler (1775–1845), seit 1815 Professor an der Dresdner Kunstakademie.

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