Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 19. August 1817 (Teil 1 von 2)
Am 19. August. Im Hoftheater in der Stadt. Zum erstenmal: Axel und Walburg, Trauerspiel in 5 Akten, für die hiesige Bühne eingerichtet, vom Prof. Oehlenschläger.
Die Gegenwart des geistreichen Dichters, der auf seiner Heimkehr von Wien nach Copenhagen einige Tage hier verweilte, und einen kleinen Kreis von Freunden mit einer Vorlesung seines neuesten genialen, auch für die Bühne sehr geeigneten, Zauber=Drama’s, Ludlam’s Höhle, erfreuete, das er so eben in Wien vollendet hatte, bedingte die Aufführung eines Stücks, die man schon oft hier zu veranstalten gewünscht, aber um einiger nothwendigen Abänderungen willen, die man aus Achtung vor dem Dichter sich selbst nicht gestatten zu dürfen glaubte, immer vertagt hatte. Oehlenschläger gab die Veränderungen selbst an, mit welchen es auf dem Wiener Burgtheater gegeben wurde. Man befolgte diese genau. Nur fehlte es bei der Eile, die der Dichter hatte, an Zeit, die Rolle des Königs Hakon anders zu vertheilen. Sichtbar und von dem Dichter selbst mit lebhaftem Dank anerkannt, war das Bestreben aller dabei betheilten Künstler, dem Stücke mit allem Aufgebote ihre Kraft zu gnügen. Ein, wo nicht sehr zahlreiches, doch sehr empfängliches Publikum belebte die Vorstellung noch mehr, die schon in Leipzig zu den gelungensten dieser Gesellschaft gerechnet worden ist.
Das Stück hat neuerlich besonders von Berlin aus mancherlei strengen Tadel erfahren müssen. Ob auch gerechten, mag ein höheres Tribunal entscheiden. Man könnte uns hier leicht für parteiisch halten. Der Stoff des Stücks ist größtentheils reines Fantasiespiel des Dichters, der etwas viel vaterländische Urgeschichte hinein gewebt, uns aber auch berechtigt hat, das, was nur in Copenhagen ganz an seiner Stelle ist, wegzuschneiden. Doch liegt eine alte dänische Ballade zum Grunde, die, so viel wir uns erinnern, auch die Gebrüder Grimm in ihrer Sammlung altdänischer Lieder aufgenommen haben. Die Geliebte, hier Walburg, stirbt aus namenlosem Schmerz über der Leiche ihres im Kampf getödteten Liebhabers, hier Axel. In einer Ballade mag ein solcher Tod seine Wirkung thun. Aber auf der Bühne jemand so sterben zu lassen, bleibt, wenn es auch noch so künstlich motivirt wird, immer eine sehr mißliche Aufgabe. Nur eine vollendete Schauspielerin mag einen so tödtenden Herzensbruch tadellos und ohne zu langweilen darstellen. Nur zu leicht streift hier der falsche Pathos ans Lächerliche.
Walburg, Axels Geliebte, ist bei weitem die interessanteste Figur dieses überall und auch in dieser Rolle die rascheste Regsamkeit fordernden nordischen Stücks. (Denn nur bei den Südmenschen giebts Ausbrüche der still verhaltenen Leidenschaft.) Der Erfolg des Stücks hängt hauptsächlich von dem meisterhaften Spiel dieser Rolle ab. In Wien spielte sie die nun der Bühne entzogene Adamberger und begeisterte ihr Publikum. Dasselbe wird jeder Unbefangene von der Kunst sagen, womit Mad. Schirmer diese Rolle zu einer ihrer gelungensten Darstellungen zu erheben versteht. Da der Dichter selbst mehr Romantiker als Charakteristiker ist und seinen Personen gar mancherlei Schwebendes, Schwärmerisches einhaucht, so liegt in dieser Schwebung auch der Grund, warum die Walburg von verschiedenen Künstlerinnen sehr verschieden genommen, und auch von derselben Künstlerin ¦ zu anderer Zeit ganz anders dargestellt werden und doch in beiden Fällen große Wirkung hervorbringen kann. Man sollte glauben, der Dichter habe dieser Walburg nichts als ein arglos-kindliches, frommes, sich ganz hingebendes Gemüth geben wollen. Sie ist im Kloster mit aller Weltsitte unbekannt geblieben. Als Axels frühe Gespielin ist sie sein süßes Bräutlein von Kindesbeinen an gewesen. Sie denkt, will, lebt nur in ihm. Sie kränzt täglich seinen Namenszug mit frischen Blumen. Schüchternheit, Zurückhaltung, jener Schnee der Jungfräulichkeit, ist also gar nicht in ihrem Wesen. So giebt auch unsere Künstlerin die Eintrittsscenen. Höchst ergreifend giebt sie das electrische Erbeben bei des enthüllten Axels Anblick. Wie sinnig ist der feine Zug, wenn Axel fort ist, daß sie noch einmal den Kranz am Namenszug schwärmerisch begrüßt. So geht es fort. Alles ist in einem Guß und zeigt von einem tiefdurchdachten, bis in die kleinste Bewegung motivirten Spiel. Beim Fortschreiten der Handlung, nach der erschütternden Scene des zerschnittenen Tuches, beim ewigen Abschied erstarkt sie im sicheren Vorgefühl ihres unvermeidlichen Todes. Sie schwärmt. Sie hat Visionen. Man kann sie sich denken als weit über die Gegenwart und über sich selbst erhoben. In diesem Sinne nimmt unsre Künstlerin die Abschiedsscene am Schluß des vierten Akts, und darf deswegen nicht als zu vornehm, zu gehalten spielend getadelt werden, weil sie ja in diesem Sinne nicht anders spielen kann. Darum wird sie aber selbst nicht in Abrede stehn, daß das alles auch in viel größerer Zerflossenheit, ja in wahrer Thränenweichheit gespielt werden könnte, so daß sie nur sagte: ich will mich fassen, aber nie, wie sie jetzt wirklich ist, gefaßt wäre. So wird die Natur ihr Recht behaupten. Aber wie leicht könnte es zu natürlich werden; denn diese Walburg ist warlich kein Thränenkrug. So wie die Rolle jetzt genommen wird, feiert aber auch nun die Kunst ihren Triumph. – Dieß mag in noch höherer Potenz vom Schluß des Ganzen, von der Sterbescene, gelten. Es kommt alles darauf an, ob sie im Schmerz aufgelöst nach und nach untergeht und verlischt, wie Klärchens Lampe im Egmont, oder ob es auf einen, durch vorausgegangene übermenschliche Aufregung erklärbaren Ruck und Druck auf einmal geschieht. Das erstere befolgend, löset Mad. Schirmer jetzt die Aufgabe mit der vollkommensten Abstufung von dem Moment an, wo sie, wie Wilhelm sein Lied anfängt, halbversteinert hinstarrt, bis zum Senken des Hauptes auf des todten Axels Hand. Ein herrlicher Moment ist der, wie sie aus der ersten himmlischen Verzückung, in der auch sie sein Andenken in Balladen prophezeit, auf einmal in Wehmuth zerschmilzt und das Haar an der Stirn des Verblaßten ordnet. Schwer aufathmend, die Hand auf die Brust legend, ruft sie: bald folgt Deine Walburg. Durch diese Stelle rechtfertigt der Dichter selbst das matte Hinsterben. Wenn nur nicht gleich eine neue hochbegeisterte Vision käme mit einer Aufregung, die eine so Ermattete kaum leisten könnte. Am wenigsten würde sie dann wohl die Harfe selbst an Wilhelm zu geben Kraft genug besitzen. Das Hinsinken an dem zweiten Pfeiler, während das Lied fortschreitet, das Mühsam-Aufstehn, Umkreisen der Leiche, Niederknieen, Umflechten der geliebten Hand mit dem gelösten Haupthaar, sind kunstreiche Variationen im Thema des Sterbens und der Achtung des Kenners auch dann gewiß, wenn er im Ganzen andrer Meinung wäre.
(Der Beschluß folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden: Axel und Walburg von A.G. Oehlenschläger am 19. August 1817
Entstehung
vor 1. September 1817
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 209 (1. September 1817), Bl. 2v