Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 15. August 1817 (Teil 1 von 2)

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Am 15. August. Im Theater am Linkeschen Bade. Zum erstenmale: Die Onkelei, Lustspiel in Einem Akt, frei nach dem Französischen von A. Müllner. Warum, so hat man neuerlich öfter gefragt, verschwenden Dichter, wie der Schöpfer der Schuld und des Yngurd, ihre Kräfte an solche Kleinigkeiten. Antwort: Kunstwerke misset man nicht mit Ellen und Krämergewicht. Göthes Geschwister wiegen Frachtfuhren voll – Theatermakulatur auf. Unsere dramatische Literatur hat Kleinigkeiten, wie die bildenden Künste Gemmen. Alles kommt dabei auf die rechte Fassung an. Dies ist gewiß im vorliegenden Fall die Darstellung auf der Bühne. Und in so fern möge auch die jetzt so häufige Entlehnung des Stoffs von kleinen französischen Stücken nicht gescholten werden. Was Schiller dort in seinem Zuruf an Göthe, auf Veranlassung des von Göthe übersetzten Mahomet (einen Zuruf, den wir gern eine Dramaturgie in nuce nennen und zu stets neuer Beherzigung empfehlen möchten), von dem Schauspiel der Franzosen so wahr ausspricht:

Verbannt aus des Theaters festlichem GebeiteSind der Natur nachlässig rohe Töne,

möchten wir auch auf solche Bearbeitungen französischer kleinen Lustspiele, wie diese Onkelei von Müllner ist, anwenden. Es muß freilich aber auch so bearbeitet seyn. Dann wird dem fremden Metall deutscher Stempel aufgedrückt, und die so umgeprägte Münze gilt jedem Theaterfreunde natürlich mehr, als – originelle Sudelei. Der Hauptgewinn aber ist für die Schauspieler. Solche Stücke fordern mehr Studium, gewissenhafteres Festhalten, lebendigeres Ergreifen und Darstellen im sprechenden und stummen Vortrag (Declamation und Action), als viele Pseudo = Ifflandische und Weissenthurnische Machwerke. Der Vers regelt, die rasche Declamation, die bei solchen Witzspielen alles macht, beflügelt das Wort. Der Zuhörer muß aufmerken. So wird es in lehrreicher Wechselwirkung eine gute Schule für die, welche oben und die welche davor stehen, und es ist gut, daß man zuweilen, der strengern Regel sich fügend, sich jener nachlässigen Töne, die unserer entfesselten Theatrik nur zu leicht entschlüpfen, entäußere. Dafür wird übrigens schon anderweitig gesorgt werden, daß wir nicht in französischer Unnatur untergehn, daß wir, um auch hier mit Schiller zu sprechen, uns angelegen seyn lassen:

in der Natur getreuen Armenvon kalter Regel zu erwarmen.

Auch können diese kleinen Stücke durch die erwählte ¦ sten Schauspieler viel runder gegeben werden, da die Handlung gewöhnlich nur zwischen zwei oder vier Personen getheilt ist und nicht vom Troß der Unberufenen erdrückt wird.

Die Bluette von Etienne, die dieser Onkelei zum Grunde liegt, beruht auf einer der verbrauchtesten Intriguen, wo ein alter Oheim von seinem Neffen, der die mit ihm auf dem Gute des Oheims angekommene Frau blos für die Freundin seiner Frau, diese aber, die auch mit ankam, für seine Frau selbst ausgiebt, einige Scenen hindurch im Irthum erhalten und endlich doch bewogen wird, in die wahre Heirath einzuwilligen. Das Lächerliche dabei ist, daß, da auch noch der Liebhaber der Freundin eintritt, das Doppelpärchen in die gräßlichste Verwirrung geräth und alle eine gewaltige Anwandlung von Eifersucht bekommen Wie schon gesagt, dergleichen Onkelfoppereien sind bis zum Ekel abgenutzt. Es kömmt also alles darauf an, der so oft aufgetischten Schüssel durch neue Würze und Zurichtung neuen Wohlgeschmack zu geben. Diese Kochkunst versteht Müllner als Meister.

Man darf, um dies ganz zu fühlen, damit nur die ganz zahme Sonnenleithnerische Umdeutschung vergleichen, die kurze Ehe betitelt, die lange schon auf der Wiener und Berliner Bühne gebraucht worden ist. Wie Müllner die Sache angerichtet hat, wird das Ganze eine Art von Persiflage des abgenutzten Thema. Er schafft ein neues Wort für dies Fastnacht= und Narrenspiel (wie er es selbst zu bezeichnen beliebt); es heißet Onkelei, wenn die alten Oehme (die Biegung ist richtiger und unterscheidet zugleich die Ohmen im Keller von dem Oehmen, die beerbt werden) so bei der Nase herum geführt werden, weil sie selbst – alte Kinder sind. In der Ausprägung dieses Worts, wodurch unsere Sprache die französische sogleich aus dem Felde schlägt, liegt auch schon der ganze Witz und die deutsche Würze des Stücks. Es fehlt aber auch nicht an andern kleinen Coups de patte auf das theatralische Franzenthum. So sagt bald Anfangs die muntre Henriette:

In Frankreich blüht die Kunst, die schwere, leicht zu leben,Frei, zierlich, rasch gespielt, gilt dort für gut erdachtUnd wer wie alle thut, der hat es recht gemacht.

Eine Frage erlauben wir uns an den so reich begabten Umarbeiter. Würde es den Scherz in dieser Frivolität nicht gesteigert haben, wenn die kluge, das Ganze vom Anfang schnell überblickende Henriette die Eifersüchtige durchaus nur gespielt hätte, statt es wirklich zu werden?

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden, Theater am Linkeschen Bad: „Die Onkelei“ von Adolph Müllner am 15. Augsut 1817 zum ersten Mal

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 204 (26. August 1817), Bl. 2v

        XML

        Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
        so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.