Aufführungsbesprechungen Gastspiele in Kassel im August 1822 (Teil 2 von 3)
Aus Kassel.
(Fortsetzung.)
Kann Müllner sein großes Trauerspiel (in welchem Frau Schröder Brunhilden ganz vortrefflich spielte, und fast alle übrigen Schauspieler merkbar sich anstrengten) mit unbefangenem Sinn erwägen; so wird er selber vermuthlich finden, daß es, unter andern Gebrechen, außerordentlich viel Ueberflüssisges hat, welches immer der Keim des Mißfallens ist. Die Blitze der Laune, des Witzes, des unverkennbaren Scharfsinns, welche manchmal dazwischen fahren, rotten jenen Keim nicht aus, neben welchem die unverzeihlichen Vers- und zumal Reimsünden ebenfalls wie Unkraut wuchern. Vor diesem Allen würde der Verfasser sich gewiß, zum Theil wenigstens, in Acht nahmen, wenn er nunmehr sein Trauerspiel nochmal ausarbeitete. Mög’ er diese offenen Bemerkungen, seiner Gewohnheit nach, unhold aufnehmen; ich kann, ich werde nie gegen meine Ueberzeugung Jemanden weder rühmen, noch auch tadeln. Freilich wird Müllner nunmehr neu mich mit Persönlichkeiten anfallen; ich aber werde vielleicht alsbald ihn und seine Verbreiter zu Stuttgart, Hamburg und anderwärts vor Gericht singen lassen (actione ad recautationem). Yngurd war also das eine unserer neuen Stücke. Das andere war die Reise nach Dieppe, von Karl Blum, nach dem Französischen bearbeitet. Sie gefiel, und die Schauspieler waren in sehr guter Laune. Lange jedoch dürfte kaum dieses Lustspiel die Aufmerksamkeit fesseln. Der Anfang leidet ebenwol‡ an mancherlei Ueberflüssigem. Der dritte Aufzug hat das meiste Aechtkomische, weil da Herbelin, von Paris in Dieppe vermeint angekommen, nicht nur seinen Freund Dumontel, den er zu Paris weiß, sondern auch das Pariser Dienstmädchen vorfindet. – Nur die Liebhaberrolle nimmt einen unnöthig ernsthaften Ton an, welcher auf die Natur des Lustspieles unangenehm wirkt. Doch kann dieß vielleicht auch auf einem Begreifen des Liebhabers beruhen; denn gelesen habe ich das Werkchen noch nicht.
Neben Pamina-Schröder trat auch Herr Siebert aus Wien, als Sarastro, und in einem Concert trat er mit seiner Tochter auf, sang auch früher schon einmal im Schauspielhause unter andern ein, von ihm selber gesetztes Morgenlied. Die vortreffliche Baßstimme von sehr weitem Umfang und der schöne, kunstreiche Vortrag empfingen allgemeinen Beifall. Im Reden zeigte Hr. Siebert sich zuweilen zu schnell. Seine Tochter, wiewohl noch Anfängerin, mißfiel ebenfalls nicht. Aus der gehofften Anstellung Hrn. Siebert’s bei der hiesigen Hofbühne scheint Nichts geworden zu seyn. Bei Gelegenheit des gedachten Siebert’schen Concertes, welches auf der Bühne, nach Tony’s Darstellung, gegeben wurde, blies Herr Humann, Tonkünstler des Hoforchesters, eine Fagottonsetzung von Ihrem K. M. von Weber mit Beifall.
Gastrollen gaben seit meinem Breife vom 10ten v. M. folgende Personen:
1) Herr Blumauer von der Manheimer Bühne a) als Oberförster in Iffland’s Jägern, b) Peter Plum in Kotzebue’s Armuth und Edelsinn, und c) Graf Borotin in Grillparzer’s Ahnfrau. In der ersten Rolle hat Hr. Blumauer gefallen.
¦2) Mamsell Kainz aus Wien trat auf a) als Rosine im Rossini’schen Barbier, b) als Sophie in Sargines, c) als Amenaide im Tancred, und d) als Vitellia in Mozart’s Titus. Im Gesange gefiel Mlle. Kainz durch Ton, Umfang der Stimme, Kunst und schöne Triller. Als Schauspielerin ist sie – eine Sängerin. Mit Vitellia hat sie ihre hiesigen Gastspiele geendigt, um, wie es heißt, nach Bremen zu gehen.
3) Frau Schönberger-Marconi sang mit Beifall den jungen Sargines, und gab hernach ein Concert, bei dem sie leider wenig gewonnen haben wird, da der Zahlenden nur wenige erscheinen.
4) Mlle. Schulz, von Karlsruhe kommend, hat als Prinzessin im Johann von Paris und als Vitellia gesungen, aber ohne sonderlichen Beifall. Heute wird sie noch als Spontini’s Vestalin auftreten.
Das Unglück bei den gewöhnlichen Gästen ist, daß man immer von Neuem die vermeinten Prachtrollen herumtraben sehen muß, oft schlechter, als man sie früher sah. Aber auch des Allerbeßten wird man bekanntlich, kommt es allzu oft, endlich überdrüßig. Manche der vermeinten musikalischen Prachtrolle sind sogar keine für diejenigen Hörer, welche leidige Gurgeleien nicht für das Höchste der herrlichen Tonkunst halten. Besonders möchte man wünschen: alle Gastspielerinnen, die im bereits abgedroschenen und unsittlichen Beaumarchais-Rossinischen Bartscheerer aufträten, möchten, zum Andenken, kleine Bärtchen empfah’n.
5) Frau Scharpf spielte, zuerst als Maria Stuart recht gut, und erschien gestern Abend als Elsbeth in Holbein’s Johannistag, der hier sehr gefällt. Sprache, Gesichtzüge und geistvolles Mienenspiel zeichnen Frau Scharpf vortheilhaft aus. Aber die Hände reden noch zu viel. Selbst Elsbeth’s Fuße plauderten. Indeß brachte Frau Scharpf auch viele Hände der Zuschauer zum reden. Unverkennbar ist sie eine denkende Künstlerin. Die Steigerung in der dreimaligen Andeutung für den Kanzler: „Ihr seid entlassen“, vom hingeworfenen bis zum Herrscher-Tone, bezeugte das unter andern. Hoffentlich wird diese Gastspielerin angestellt werden.
In der Braut von Messina trat Herr Fink als neuer Schauspieler auf*. Er gab den Anführer des ältern Chores. Man konnte mit ihm zufrieden seyn. So auch mit seiner zweiten Darstellung, als Talbot in Maria Stuart. Man fühlt, er fühlt deutlich, was er zu sagen hat.
Auch ein Vierteldutzend Schauspieler und Sänger aus Wien ist, als bereits hier angestellt, angekommen, und hat sich vernehmen lassen. Völlig so gut, als das Schröder’sche Kleeblatt ist dieses freilich noch nicht. Doch wir müssen es ein wenig näher ansehen. a) Die darunter befindliche Mlle. Berg sang den Pagen in Johann von Paris.* Eigentlich ist sie wohl zur Chorsängerin bestimmt. b) Herr Elsner spielte zuerst als Anton in den Jägern, wo er einigen Beifall erhielt, hernach als van der Hufen in "Armuth und Edelsinn" u. s. w. Die Sprache dieses jungen Mannes geht für das gewöhnliche Leben an, aber, wenn sie einen Schwung nehmen will, ist sie noch zur Zeit minder gut. Herr Elsner wird das hoffentlich, bei seinem unverkennbaren guten Willen, bald bessern.* c) Herr Albert hat sein Bühnenprobestück noch nicht gemacht.
(Der Beschluss folgt.)
Editorial
Summary
Kritik über Gastsängerinnen und Gastsänger in Kassel
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Kühnau, Dana
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 6, Nr. 250 (18. Oktober 1822), pp. 1000
Text Constitution
-
“ebenwol”sic!
Commentary
-
“… Fink als neuer Schauspieler auf”Herr Finke gab 1822/23 am Kasseler Hoftheater Aushilfsrollen; er heiratete seine Kollegin Luise Dietrich.
-
“… in Johann von Paris .”Die Schauspielerin gab 1822/23 in Kassel Aushilfsrollen.