Karl von Decker: Der Freischütz in Paris (Teil 3), 1826

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Der Freischütz in Paris.

Dramatische Analyse, von Adalbert vom Thale.

(Fortsetzung.)

Zweiter Akt. Als der Vorhang in die Höhe ging, glaubte ich meinen Augen nicht trauen zu dürfen, denn statt zwei lieblichen Töchtern des Waldes im prunklosen Hauskleide, standen zwei mit hohen Federhüten stattlich geschmückte Dirnen auf den Brettern, die, ihres übrigen buntscheckigen Kostüms wegen, recte aus einer Spanischenreitergesellschaft entsprungen schienen. Daß obenein Anna-Agathe ein angehendes Matronchen, und beide Damen grundhäßlich waren, gehörte zu den widerwärtigsten Zugaben, und machte einen so unangenehmen Eindruck auf mich den Verwöhnten, dem in Agathen das liebreizende Engelsbild von Berlin noch vorschwebte, daß ich kaum Fassung behielt, den Text des allerliebsten Duetts: „Grillen sind mir böse Gäste &c.“ nachzulesen, den die Uebersetzer jämmerlich entstellt haben. Nancy-Annchen geht in ihrer Laune so weit, dem Bilde (nicht dem sogenannten Nagel-Knechte oder Knecht-Nagel) zuzusingen, daß die „Unvorsichtigkeit! seinen Platz verlassen zu haben, ihn in Gefahr gebracht, sich die Nase zu zerschlagen“ (à vous casser le nez;) das stimmt denn doch mit dem Spruch: „Ei dem alten Herrn zoll’ ich Achtung gern“ gar zu schlecht überein. – Das Ende des Gesprächs zwischen beiden Damen, nach dem Duett, ist zu spaßhaft, um es nicht herzusetzen. Bekanntlich scherzt Annchen über das Herabspaziren längst vermoderter Herrschaften von den Wänden, und schließt mit den Worten: „Da lob’ ich mir die lebendigen und jungen.“ Die Uebersetzer lassen ihre Agathe darauf erwiedern: „Zum Beispiel Dick, deinen Geliebten?“ und ihre Nancy-Anna: „Ja gewiß! Es ist so amüsant, sich die Cour machen zu lassen.“ Bravo Herr Uebersetzer! das heißt der Soubretten-Theorie treu bleiben.

Die Arie: „Kommt ein schlanker Bursch &c.“ ist dagegen meisterhaft übersetzt, und eigentlich zarter gerathen als im Original, und eben deshalb der Kontrast mit der coursüchtigen Person so grell; im französischen Textbuche ist sie Polonaise überschrieben; die Dame mit dem | schwarzen Federhut sang sie wirklich gut, und erntete auch verdienten Beifall. Daß überhaupt jedes Musikstück stürmisch applaudirt wurde, versteht sich von selbst.

Da der Eremit gestrichen ist, so bleiben auch die weißen Rosen und die Andeutung Agathen’s an die Warnung des Waldbruders weg.

Was ich aber jetzt den lieben Lesern erzählen muß, werden sie mir kaum glauben wollen, und ich sehe mich gezwungen, ihnen mein Wort darauf zu geben, daß es reine Wahrheit ohne Uebertreibung ist, wie diese ganze Analyse. Nimmer hätte ich geglaubt, daß die Franzosen das Scenische so schlecht verstehen, aber hier ist offenbar der Leichtsinn daran Schuld, mit dem die Uebersetzer das Original gelesen haben. Unser Kind sagt in der Anordnung zur Scene des zweiten Akts ganz bestimmt: „In der Mitte ein mit Vorhängen bedeckter Ausgang, der zu einem Altan führt,“ Wie meisterhaft diese Dekoration in Berlin ausgeführt wird, ist bekannt; hier aber hatten die Uebersetzer blos angeordnet: „Im Hintergrunde ein Fenster mit einem Vorhange,“ und zum Ueberfluß hatte der Maschinenmeister den Vorhang weggelassen und ein gewöhnliches französisches Schiebfenster angebracht. Als daher Agathe in die sternenhelle Nacht blicken will, bleibt ihr hier nichts anders übrig, als das Fensterchen in die Höhe zu schieben, den Kopf hinauszustecken, ungefähr als wenn man sehen will, was draußen für Wetter ist, und in dieser verrenkten Stellung, wobei der Oberleib wie ein lateinisches S sich biegt, die herrliche Kadenz zu singen: „Welch schöne Nacht!“ die hier mit Verletzung aller rythmischen Verhältnisse so heißt: „Der Himmel selbst lacht unsrer Liebe zu!“ und wodurch alle Kadenznoten konsumirt wurden. Die guten Franzosen klatschten was das Zeug halten wollte, was würden sie aber erst gethan haben, wenn wie durch einen Zauberschlag plötzlich unsre unübertreffliche Seidler wie ein himmlischer Festtag unter diese Alltagssängerinnen *) getreten wäre, und mit jener Arie – offenbar die Krone der ganzen Oper – durch die hohe Weihe der Kunst die entzückten Zuhörer begeistert hätte? Meine Nachbarn konnten nicht begreifen, warum ich nicht so gut ausser mir war als sie, und noch weniger, daß diese Arie irgendwo anders besser vorgetragen werden könne als in Paris. So groß ist die Macht eines dramatisch komponirten Musikstückes, und mehr als einmal fiel mir die Stelle aus der Zauberflöte ein: „Weil holde Flöte durch dein Spielen &c.“

Der Dialog der auf die Arie folgt, ist von den Uebersetzern ganz entstellt und durch Verwebung einer Menge von ganz überflüssigen Dingen verzerrt worden. Auch hat man ein Duett zwischen Agathe und Max hier eingelegt, das dem Komponisten nicht angehört, und aus mehr als einem Grunde hätte wegbleiben können. Das schöne Terzett, womit diese Scene schließt, wurde gut vorgetragen.

(Die Fortsetzung folgt.)

[Original Footnotes]

  • *) Ich irre mich, das Stück wurde an einem Sonntage gegeben, es waren also Sonntags-Sängerinnen.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit, Jg. 1, Nr. 14 (1. Februar 1826), pp. 53–54

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