Leo von Lauer-Münchhofen an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
London, Sonntag, 14. Januar 1866

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Verehrter Herr Musikdirector!

Wie Sie wissen, erhielt ich Ihren Brief vom 15ten October v. J. erst vor kurzer Zeit und war daher nicht im Stande, Ihnen früher so zu dienen, wie ich gewünscht hätte. Auch diese Epistel kommt etwas spät, da viele meiner Erkundigungen sich auf nichts von Belang reduzirten und man hier mehr Zeit braucht als in Berlin, um an die Quellen zu gelangen und die Wahrheit zu erhaschen.

Endlich habe ich die Quellen aufgefunden, und sollten Sie jemals herüber kommen, so würden Sie, der Sie mit Webers Leben und Werken und den kleinsten Umständen | seiner Mühen so vertraut sind, viel pumpen können und das Neue und Werthvolle leichter auszuscheiden im Stande sein, als ein Laie in der musikalischen Wissenschaft, wenn ich das letztere Wort gebrauchen darf. Bei J. Benedict bin ich noch ein Mal gewesen und habe ihm ₤ 1 10 shillings für die Ful score* bezahlt; die Photographie, welche Sie gerne von der letzten Arie, die Weber componirte, gehabt hätten, wird er schwerlich zu erhalten im Stande sein, da er schon zwei Mal bei Lady Essex (früher Miss Stephens, Sängerin an dem Drury Lane Theater) vorgesprochen hat, ohne sie zu sehen. Es ist das eine sehr alte Dame und es ist gerade so schwierig, sich ihr zu nähern, als dem alten Sir George Smart Benedicts besonderem Freunde. Sonst hatte Benedict mir Nichts zu sagen. ‒ Die Schottischen National-Melodien sind ein seltenes Werk, besonders selten vollständig. Ich fand es bei Campbell & , 11 Argyll Place, Regent Str. W., der nur mit Schottischer Musik handelt. Es sind 6 Volums, | welche nur zusammen verkauft werden und 10 Arrangements von Weber enthalten. Ich wollte es nicht kaufen ohne Ihnen vorher den Preis geschrieben zu haben; es sind 3 ₤ sterling mit Rabatt. Die Musikalienhandlungen hier können zwar keine zuverlässige Auskunft geben über das was Sie wünschen, da alle längst schon ein oder ein paar Male die Herren gewechselt haben; die Cramershe Handlung war seit 30 Jahren in Mehrerer Hände und gehört jetzt einer Gesellschaft. Der Chef sagte mir, die Cramersche Handlung hätte den Oberon von Weber beordert und zuerst herausgegeben, während Benedict mir Welsh als den Ersten nannte aber das ließe sich nicht genau bestimmen. Über die Ballad For as the waters &c. können Cramers gar keine Auskunft geben. Der Waltzer (oder Melodie) von Weber, dessen Anfangsmelodie, sie mir aufgeschrieben, habe ich nirgends erhalten können; aber Auftrag gegeben, es mir zuzuschicken sobald es aufgefunden werden kann. ‒ Vor einigen Monaten ist bei Chapman & Hall, Piccadilly eine Übersetzung von | Webers Leben, geschrieben von seinem Sohn, erschienen von Pelgrave Simpson* ; Kostenpunkt 24 Shill. Die 3te Frage, wer wohl sonst noch Original Manuskr. von Weber hat, wurde von Boosey beantwortet, nämlich Hawes, 7 Adelphi Terrace, Strand. Hierher begab ich mich und sah ein sehr schönes Ölgemälde von Weber mit der Brille auf*, eine Lithographie davon* erhielt ich geschenkt und schicke sie mit; sie haben noch ein halbes Schock proof plates, die ihrer Zeit zu 1 ₤ 10 shillings verkauft wurden*. Auch eine Büste von Weber sah ich, welche ein Abguß ist, genommen gleich nach seinem Tode*. Der alte Hawes ist schon lange todt, aber ich sah seine 3 Töchter und den Sohn, welche mir viele Mittheilungen machten, mich aber bathen, wenn ich es aufschreibe, um es an Sie zu schicken, es ihnen vorher zu zeigen, damit Irrthümer vermieden würden; die ihnen sehr nachtheilig sein könnten. Ich werde Ihnen deshalb später erzählen, was ich hier hörte; hier nur soviel, | dass der Freischütz und Oberon von Hawes zuerst heraus gegeben wurde, oder vielmehr von Welsh & Hawes, musical publishers in the Argyll Rooms. ‒ Die eine Tochter, frühere Sängerin Maria Hawes zeigte mir auch einen Pack Briefe von Mendelssohn, was ich hier für den Autographen Sammler einschalte, da sie intereßant sind, des lebhaftesten Styls und guten Englisch wegen. ‒ Wenn Sie also, verehrter Herr, spätere Fragen in Bezug auf Weber zu stellen haben, so würden dieselben entweder an Sir George Smart, oder an Lady Essex, die 2te Agnes im Freischütz*, oder an die Hawes’ zu addressiren sein. Sollte Reinhart bald herüber kommen, so würde er das Feld frei finden und wißen, was er mit diesen Damen zu sprechen hätte; auch könnte er selbst am Besten u. Billigsten die nöthigen Photografien vornehmen. Dauert Ihnen aber dieses zu lange, so bin ich gern bereit, dies selbst zu thun, und durchzuführen, was ich begonnen habe; verlassen Sie Sich ganz auf mich. |

In dem Paket befinden sich: sh. d.
Copy of a Ful score* 1. 10
Song: I’d weep with thee* 8 8
Song: Oh, T’is a glorious sight* 1 1.
Picture of Weber*
Catal.: Weber’s Pianoforte Works edit. by Moscheles.
Cataloge von Boosey & Augener
Catalog von Cramer 1. 6
     "      von Chappel 1. 4
Musical Directory
Dies hielt ich der auf S. 21 vermerkten
Records of Operas wegen von Interesse für Sie.
2. 2
Früher sandte ich ein Lied* 1
₤ 1. 17 s. 8 d

Ich nehme mir die Freiheit, Sie zu bitten, einliegenden Brief in den Briefkasten zu werfen. Wenn ich Ihnen ferner von irgend welchem Nutzen für das Weber’sche Werk sein [kann], so seien Sie überzeugt, daß Ihnen mit Freuden zu Gebote stehen die Dienste Ihres

ganz ergebenen
Leo von Lauer

Mein Schwager* sagt mir dass Planché in Baden ist der Verfasser des Libretto vom Oberon und wahrscheinlich auch anderer Weber’scher Opern.

Editorial

Summary

teilt mit, dass er die Summe für die Partitur bei Benedict bezahlt habe, wegen einer Fotografie der letzten Arie von Weber im Besitz von Lady Essex glaubt er jedoch, dass es schwierig sein wird, da es eine sehr alte Dame sei und es ebenso schwierig sei, sich ihr zu nähern wie Sir George Smart; die Schottischen Nationalmelodien hat er bei Campbell & Co gesehen, es sind 6 Bände, die nur zusammen verkauft werden und auch 10 Arrangements von Weber enthalten; sie sollen 3 Pfund sterling kosten; über den ersten Verleger des Oberon gibt es verschiedene Aussagen (Cramer oder Welsh); vor einigen Monaten ist bei Chapman & Hall eine Übersetzung der Biographie von Max Maria von Weber erschienen, übers. von Palgrave Simpson (24 sh); bei Hawes war er, bekam eine Lithographie von dem Ölgemälde Webers (mit Brille) geschenkt, die er an J. schickt; alles, was er dort erfahren, wird er ihm erzählen

Incipit

Wie Sie wissen, erhielt ich Ihren Brief vom 15ten October

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Weberiana Cl. X, Nr. 358

    Physical Description

    • 1 Dbl., 1 Bl. (6 b. S. o. Adr.), dazu zwei Beilagen, jeweils 1 Bl. (1 b. S. bzw. 2 b. S.)
    • am oberen Rand von Jähns ergänzt: “benutzt.”; außerdem gestempelt: “an Jähns”

    Corresponding sources

    • Tv in: Weberiana 20 (2010), S. 74 (Ausschnitt)

Text Constitution

  • “es ist”added above
  • Benedicts besonderem Freunde”added above
  • “aber das ließe … nicht genau bestimmen”added above
  • Pelgravesic!
  • hier“heuer” overwritten with “hier
  • “8”crossed out
  • “1”crossed out
  • “Opern”sic!

Commentary

  • “… shillings für die Ful score”Partitur der Arie „Yes! even love“ aus Oberon; laut Brief von J. Rietz vom 1. September 1870 eine Fälschung (nicht nach dem Original, sondern eine fremde Instrumentierung nach dem Klavierauszug).
  • “… , erschienen von Pelgrave Simpson”John Palgrave Simpson (1807‒1887), Dramatiker, Autor.
  • “… Weber mit der Brille auf”Gemälde von John Cawse; heute im Royal College of Music in London, Department of Portraits and Performance History.
  • “… auf , eine Lithographie davon”Lithographie von Richard James Lane, die im Londoner Verlag Hawes erschien (mit der Angabe „in the Possession of W. HAWES Esq:“).
  • “… ₤ 10 shillings verkauft wurden”Gemeint sind Abzüge der Lane-Lithographie.
  • “… genommen gleich nach seinem Tode”Vermutlich die Büste von Josephus John Pinnix Kendrick aus dem Jahr 1826 (vgl. den Bericht aus der Times vom 25. Juli 1826), deren Original-Gips sich heute ebenfalls im Royal College of Music in London befindet.
  • “… die 2te Agnes im Freischütz”In der englischen Version der Oper war die Agathe in Agnes umbenannt.
  • “… Copy of a Ful score”Partitur der Arie „Yes even love“ zu Oberon.
  • “… Song: I’d weep with thee”Ursprüngliche Arie des Huon aus Oberon, Nr. 5 „From boyhood trained“ mit neuer Textunterlegung von Mark Lemon; erschienen bei Cramer, Beale & Co. in London (VN: 4954); das übersandte Exemplar findet sich in D-B, Weberiana, Cl. IV B [Mappe XVII], Nr. 1337.
  • “… Oh, T’is a glorious sight”Nachkomponierte Arie zu Oberon „Yes even love“, im Klavierauszuge einzeln erschienen bei Cramer, Wood & Co. (VN: 3110); das übersandte Exemplar findet sich in D-B, Weberiana, Cl. IV B [Mappe VI], Nr. 958.
  • “… Picture of Weber”Die oben genannte Lithographie von Richard James Lane; Exemplar: D-B, Weberiana Cl. VIII, Heft 1, Nr. 56.
  • “… Früher sandte ich ein Lied”Die Übersendung erfolgte vor dem 15. Oktober 1865; vgl. den Brief von Jähns an Lauer vom genannten Tag.
  • “… Mein Schwager”Laut beiliegendem Zettel war Lauers Schwager (Richard Jenery Shee) Advokat („barrister at law“).

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