Besprechung der Darmstädter Erstaufführung der Euryanthe, Teil 2/2
Die Aufführung der Euryanthe in Darmstadt.
Am 26. Februar 1826*. (Schluß).
Die Unverständlichkeit des TextesT hat auch ihr Schärflein beigetragen, und wenn Fr. v. Chezy bei H. v. Weber in dem Studierzimmer gesessen hätte, um ihm zu sagen, wie es ihr um’s Herz war, als sie dieß und das geschrieben: so konnte der geniale Riese dem kranken, nervenschwachen Zwerge dieser Dichterin dennoch nicht auf die Beine helfen. Er war mit Reitstiefeln in jeder Spanne ihres Gefühls um eine Meile weiter, und dieß musikalische Titanenwerk entzifferte in der Höhe beinah unkenntlich den Unsinn der Handlung. – Die Basis, welche in der Zusammenstellung der Rhythmen, der Melodien, der Deklamation liegt, zeigt uns auch hier den Meister des Freischützen. Aber die Fäden der Gedanken, welche sich durch die immense Instrumentirung winden, übertreffen nicht nur seine, sondern alle bisherigen Tonstücke. Kaum, daß das geübteste Ohr im Stande wäre, die unendliche Masse der Phantasie von dem Hauptgedanken zu sondern. Eine Linie der Instrumentirung fällt in die andere, und selbst in dem Basse lodert eine rastlose Jugendflamme, die an Schwierigkeit Alles übertrifft.
Was aber auch der Zirkel der Kenner über diese Oper urtheilt, sei gesagt.
Die Ouvertüre Es Dur beginnt mit Kraft und Originalität; die Quellen des Geistes werden reißende Ströme, welche in die Tiefe eines unauflösbaren Geheimnisses sich stürzen. Das gothische Dunkel der Handlung lässt sich schon im Voraus ahnen. Da tritt plötzlich eine Fuge ein, ein Bild der Gelehrsamkeit, und zerschneidet die leise geknüpften Bande dieser schauervollen Empfindungen. Die Introduktion, ein Liebestausch der Damen und Ritter, ist rein und grandios. – Adolar’s Kavatine „unter blühnden Mandelbäumen“ ist vielleicht das Beste, was aus der Feder dieses Meisters geflossen ist. – Das herrliche Duett Euryanthe’s mit Eglantine ist eine Darstellung, wie W. den Gesang zu behandeln strebt. Noch kein Komponist hat mit solcher Gewissenhaftigkeit die rhythmischen Bewegungen des Textes mit der | melodischen Form des Gesangs vereinigt. – Das Finale des ersten Akts, D Dur, schließt mit bezaubernder Heiterkeit. – Lysiart’s Arie drückt eine zu edle Leidenschaft aus, denn der herrliche Mittelsatz dieser Arie entspricht dem finstern, feindlichen Charakter dieses Verläumders nicht. – Adolar’s Arie athmet die reinste Liebe, verbunden mit einer Wärme, die nur unter dem südlichen Himmel glühen kann. – Erschütternd, aber wieder einleuchtender, wenn uns die Partitur vor Augen liegt, ist das Finale F moll. Der dritte Akt glüht von schmerzlichen Empfindungen, die Instrumentation ist so glücklich und weise zusammengestellt, daß die Natur selbst die zerrissenen Bande der Liebe zu beklagen scheint. – Der Jägerchor F Dur ist wieder ein Thal der Freude, in welches sich der Zuhörer freudig niederlagert. Alles ist Höhe und Heiligkeit, und dennoch sind die Gefühle gelehrter, und der ungelehrte Zuhörer wird nicht befriedigt.
Der Pomp, mit welchem diese Oper hier gegeben wird, ist außerordentlich. Die Dekorationen sind meisterhaft, und überhaupt ist die ganze Aufführung vortrefflich.
(König Ludwig) Herr Neukäufler. Ein von der Dichterin komisch hingestellter König; er schaut dem Tändeln, Hassen und Lieben seiner Vasallen mit einer solchen Lust zu, daß man, hätte er nicht eine Krone auf, glauben sollte, er sei eher ihr Schloßkaplan. (Adolar) Hr. Hähnle sang recht rein. (Euryanthe) Dem. Madler leistete viel, wir haben lange keinen solchen Genuß von ihr gehabt. (Lysiart) Hr. Delcher sang zu Aller Zufriedenheit, und löste die Schwierigkeiten in seiner Partie mit vieler Sicherheit. (Eglantine) Mad. Krüger bleibt doch immer unsere erste Sängerinn. Schule, musikalische Festigkeit, Geschmack, Schatten und Licht im Vortrage, Alles vereint sie in ihrer Kunst. (Bertha) Dem. Raustädter‡ sang falsch. (Rudolph) Hr. Mickler.
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung der Euryanthe, Teil 2/2
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Frank Ziegler; Jakob, Charlene
Tradition
-
Text Source: Rheinische Flora, Blätter für Kunst, Leben, Wissen und Verkehr, Jg. 2, Nr. 41 (12. März 1826), pp. 163f.