Korrespondenz-Nachrichten Dresden vom 4. November bis 29. Dezember 1816

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Dresden. Nach Figaro’s Hochzeit v. Mozart gab die italien. Gesellschaft auf dem hiesigen königl. Theater die, hier neue Oper von G. Rossini: II Turco in Italia. Dieses, aus Mayland gekommene Product hat bey unserm Publicum nicht die allergünstigste Aufnahme gefunden. Man hört in dieser Musik anhaltend, nur hin und wieder allerdings graziöse Motive: aber die Schnelligkeit, womit sie aufeinander folgen, macht, dass man ihre Eindrucke nicht behalten kann. Dennoch zeigt der Compositeur in seinem jugendlichen Alter Empfindung und viel Feuer; aber er muss noch viel studiren, um sich Haltung zu erwerben und im Contrapunkte fester zu werden, woran es ihm noch gar sehr fehlt. Das unaufhörliche Getös der Trompeten und der grossen Trommel war das Accompagnement, welches über die andern Instrumente herrschte, und wodurch auch die Melodien aufgeopfert wurden; man hörte in Einem fort Modulationen, die aber, weil sie nur plötzlich kamen, und plötzlich schwanden, für das Ohr hart, und für das Gefühl wenig mehr, als nichts waren. In den concertirenden Stücken bewirkte die Menge Worte, welche die Singenden aussprechen mussten, dass sie zu reden, nicht zu singen schienen. Bey alle dem wollen wir gegen den jungen, talentvollen Compositeur nicht etwa eine üble Meynung im Allgemeinen erregen; im Gegentheile sagen wir zu seinem Lobe, dass wir einige interessante Stücke in dieser Composition gefunden haben, jedoch vornämlich mit Ausschluss ¦ der Ouvertüre, welche ein schlechter Potpourri ist. Im ersten Aufzuge ist das Duett zwischen Geronio und Fiorilla: Per piacere alla Signora, sehr graziös; das Ende des 1sten Finale in D dur mit Geist und vielem Feuer geschrieben. Im 2ten Aufzuge das Duett zwischen Selim und Fiorilla in B dur: Non credete alle femmine, recht gefallig und voll Feuer; und das Quintett in Es dur: Oh, guardate, che accidente! in- dessen Mitte sich ein Andante ohne Begleitung blos für die Singstimmen befindet, von schöner Wirkung. Dies erhielt Beyfall, vornämlich auch, weil es in der Harmonie gesetzt ist, die das Metrum erfordert. Die Arie der Fiorilla in D dur: Squallida veste è bruna thut ihre Wirkung, Am Ende des Allegro bemerkten wir aber einen Tongang, der nicht nach den Regeln der Kunst ist. Wir nehmen Rücksicht auf des Compositeurs Jugend, und schliessen, dass seine Singspiele allerdings angenehm sind, doch (wenigstens dies) zu vergleichen mit einem weiten Garten, worin man, wegen seiner Grösse und der darin herrschenden Unordnung, nur mit Mühe hin und her eine schöne Blume finden kann. Unterden drey von dieser Oper gegebenen Vorstellungen war die erste die beste. Mad. Sandrini, als Fiorilla, spielte mit vieler Anmuth: im Gesange aber fanden wir ihre Stimme auch diesmal zu schwach und nicht so tönend, wie gewöhnlich. Hr. Tibaldi, als Selim, brachte in dieser Rolle, die ursprünglich für einen Bassisten geschrieben, aber für seine Stimme gut eingerichtet war, eine ziemlich gute Wirkung hervor. Hr. G. Sassaroli spielte denGeronio; Hr. Decavanti den Narciso, der für den ersten Tenor geschrieben ist, und weil er die Arien unmöglich singen konnte, liess er sie klüglich weg. Hr. Benincasa spielte den Dichter, Prosdocimo; doch wäre Geronio’s Rolle für ihn passender gewesen, u. gewiss auch ihm besser gelungen. Wir können den Grund nicht einsehen, aus welchem man hier, und auch sonst wol, manche Rollen so unpassend vertheilt und damit manche, vielleicht bedeutende Theile der Opern unbarmherzig aufopfert. Mad. Mieksch stellte die Ziegeunerin Zaida vor. Hr. Bergmann, ein neuer, bey unserm Theater angestellter Sänger, sang als Zigeuner, Albazar, im 2ten Aufzuge eine von ihm eingelegte Arie von Righini. Seine Stimme ist gefällig, sonor und stark: es fehlt ihm aber noch an guter Schule und Methode, an Gefügigkeit im Gesange und italienischer Aussprache, und ¦ ganz und gar an Mimik, denn er ist in seinem Spiele so unbeweglich, als hätte er keine Gelenke. Studium aber und theatralische Hebung werden gewiss nachhelfen. – Ueber die Dichtung selbst; ist es nicht der Mühe werth, zu sprechen.

Auf diese Oper folgte Il Sacrifizio interrotto vom Ritter von Winter, womit das Theater vor den Weihnachtstagen geschlossen wurde. Die Berühmtheit und der ausgezeichnete Werth dieser Musik sind Jedermann längst bekannt, und darüber zu sprechen ganz unnöthig. In dieser Oper tratDem. Carolina Benelli, die Tochter unsers Benelli, zum erstenmale, als Mira auf. Sehr gross war, u. zwar für alle Theile des hiesigen Publicums, das für die anmuthige Tochter schon um des verdienstvollen Vaters willen lebhaftes Interesse fasste – sehr gross war, erst die Ueberraschung, und dann die Freude, über das, was dies achtzehnjährige Mädchen, nicht nur als Sängerin, sondern auch, ohngeachtet sie nie eine Bühne betreten, als Schauspielerin leistete. Ihre Stimme ist jugendlich frisch, wenn auch noch nicht eben stark, doch sich gleichbleibend, richtig in der Intonation, u. ihr Vortrag gefühlvoll. An ihrer Manier zu singen, erkennt man des Vaters Schule: sie weiss zu moduliren und singt mit der Haltung und dem Chiaroscuro, welche ein guter Gesangunterricht lehrt. Natürlich, unbefangen, und nicht mehr von Natur schüchtern, als ihr eben in dieser Rolle zur Kunst gerechnet werden konnte, und besonders rührend in den Scenen, wo jungfräuliche Unschuld oder heftiger Schmerz hervortritt, war ihr durchaus angemessenes Spiel. Der Beyfall des Publicums bey jedem ihrer Gesangstücke war laut und allgemein; und die Arie des ersten Acts, Quelle pupille tenere, ihr Triumph. Seit den beyden Vorstellungen dieser Oper, in welchen das Theater ganz ungewöhnlich voll war, interessirt man sich hier überall für diese junge Sängerin; und wünscht sie öfter zu hören. Ihre Gestalt ist lieblich, ihr Gesicht einnehmend und ausdruckvoll; ihre Stimme geht von . Sie besitzt natürliche Geschmeidigkeit, und, wie es scheint, auch ein feines Gefühl für alles Schickliche, Gefällige undWohlanständige. Wir sprechen dies, allerdings auszeichnende Lob bey ihr auch darum um solieber aus, weil wir glauben, mit Sicherheit voraussetzen zu dürfen, sie werde, eben unter der ¦ Leitung ihres kunst- und welterfahrnen Vaters, es als Ermunterung aufnehmen, den mit Glück und Gunst betretenen Weg zu ihrer Vervollkommnung um so eifriger, und, wie bisher, bescheiden, fortzuwandeln. Dann darf man hoffen, in ihr einst eine treffliche Sängerin u. Schauspielerin zu sehen. – Hr. G. Sassaroli hatte die Rolle des Inka: allein, da die Musik für seine Stimme zu hoch gesetzt ist, so hörte man dann und wann ein widriges Detoniren, welches auf das Publicum unangenehme Eindrücke machte. Hr. Decavanti spielte die Rolle des Rocca ganz leidlich. Hr. Benelli, als Murney, zeichnete sich als Schauspieler und Sänger aus, und im Duett des 1sten Acts: Io provo a te vicino, welches er mit seiner Tochter sang, bildeten ihre beyden Stimmen ein vollkommenes Ganzes, wodurch sie sich allgemeinen Beyfall erwarben. Eben dieses war der Fall in der grossen Scene im Gefängnisse, die er schön declamirte, und a mezza voce sang, worin er, wie wir schon mehrmals gesagt haben, sehr wohlgefällt. Mad. Schüler von Biedenfeld gab die Elvira trefflich: führte den Charakter mit Ernst und Würde durch, und sang auch, namentlich ihre grosse Bravour-Arie, mit solcher Leichtigkeit, mit so festem Tone und Genauigkeit, dass man ihr vollen Beyfall gab. Hr. Benincasa gab den Mafferu, und spielte wacker. Seine erste Arie sang er mit solcher Kraft, Declamation und Berechnung des Eindrucks, den dieser Charakter machen muss, dass er laut und allgemein bewundert wurde. Hr. Mieksch spielte den Oberpriester, zu unsrer grossen Verwunderung, sehr gut und mit Würde. Die Musikverständigen fragten sich: warum spielte Hr. Miecksch, dessen Stimme, in der Tiefe und Höhe, mehr Ausdehnung und Stärke hat, als Hrn. Sassaroli’s, nicht den Inka, und letzter den Priester – wo dann kein Detoniren gehört worden wäre und die Oper gewonnen hätte? aber sie wussten keine Antwort. Hr. Tibaldi hatte die komische Rolle des Pedrillo. Sie ist zwar nicht ganz passend für ihn, aber er gab sich viel Mühe, spielte wahrhaft drollig, und gefiel. Mad. Miecksch, als Guliru, und Dem. Hunt, als Balisa, Gefährtinnen der Mira, thaten, ob dies gleich Nebenrollen sind, ihr Möglichstes, sie zu heben; und es gelang ihnen. Das Orchester spielte mit grosser Genauigkeit, Präcision, und mit Liebe. So schien dem Publicum in dieser Oper kaum noch etwas zu wünschen übrig, ausser, dass die beyden Fi¦nalen nicht gut arrangirt waren; was unter dem Personale einige Unordnung hervorbrachte.

Am 29sten Dec. gab unser berühmter Concertmeister, Hr. Polledro, mit Beystand der königl. Kapelle, im Saale des Hôtel de Pologne eine grosse musikal. Akademie, welche aus folgenden Stücken bestand. I. 1. Ouvertüre aus E dur von Fränzel. 2. Arie aus Es dur, comp. von Paer, ges. von Hrn. Tibaldi. Ihre Wirkung ist besser auf dem Theater, als in einem Concerte; dennoch gefiel sie. 3. Concert, gesetzt und gespielt von Hrn. Polledro; das erste Allegro aus G dur, das Adagio aus E dur, das Finale alla Polacca aus G dur. 4. Duett aus F dur von Mayr, ges. von Mad. Sandrini und Mad. Schüler-Biedenfeld Es gewährte Vergnügen, obgleich die Composition etwas monoton war. II. 1. Polacca aus G dur von Federici, ges. von Mad. Sandrini. Die Polacca ist vom Compositeur aus A dur gesetzt, und da sie in einen tiefern Ton übertragen worden war, that sie zwar die Wirkung nicht, die sie in der ursprünglichen Tonart macht; gefiel jedoch. 2. Variationen auf: Nel cor più non mi sento. 3. Terzett von Federici, ges. von Mad. Sandrini, Mad. Schüler-Biedenfeld und Hrn. Tibaldi. Es gefiel sehr. 4. Variationen aus C dur auf ein Thema aus: Una cosa rara, gesetzt und gesp. vom Hrn. Polledro. Die Compositionen dieses Künstlers sind interessant durch Lebhaftigkeit des Geistes, Gefälligkeit der Melodien, Geschmack, u. leichten, angenehmen Styl. Da sie gedruckt sind, braucht hier nicht weiter darüber gesprochen zu werden. Hrn. P.s Spiel entzückte, und der Beyfall entzündete sich bis zum Tumultuarischen. Und in der That: Ref., der Viotti, Kreutzer, Czarnovik, Rode und A. gehört hat – wagt zu gestehen, dass ihm Hrn. P.s Spiel, in Hinsicht des angenehmen, und darum nicht schwachen Tons, des schönen Gesanges, des Ausdrucks im Sanften und Feinen, mehr Genuss gewährt hat, als das Spiel jener grossen, und in ihrer Art wieder vorzuziehenden Künstler. Am Ende der zweyten Reihe von Variationen liess er eine Cadenza, gleich einer Phantasie hören, worin er mit grösster Leichtigkeit, frey und originell, aber regelrecht, modulirte, ja sehr gut gestellte Imitationssätze anbrachte. Dies vollendete seinen Triumph. – Am 4ten Nov., nach dem Schauspiel, die Corsaren, gab man das musikal. Intermezzo für eine einzige Stimme in einem Acte: der Kapellmeister, das von Cimarosa ¦ seyn soll, von dem wir aber zwar eine kleine, komische Operette: L’Impresario in angustie, doch nicht diese Composition kennen. Sie ist aber mit Geschicklichkeit, lustiger Laune, und, bis auf zu viele Wiederholungen, unterhaltend geschrieben. Dies Intermezzo wurde von Hrn. Metzner gegeben, der Buffo caricato ist, oder doch es seyn will. Da wir die ersten Sänger in Europa gehört haben und auch sonst im Stande zu seyn glauben, das Gute vom Nichtguten zu unterscheiden: so sey es uns erlaubt, zu sagen, dass Hr. M. weder Stimme, noch Methode, noch komisches Talent hat, um eine solche Rolle, wie es seyn muss, durchzuführen. Derbe Töne sind noch kein guter Gesang, Routine noch keine Methode, einzelne, guten Komikern abgelernte, an sich nicht üble Spässe noch keine Komik. –

So eben erfahren wir die sehr angenehme Nachricht, dass der ausgezeichnete Componist, Virtuos und Director, Hr. Carl Maria von Weber, von Sr. Majestät, unserm Könige, zu einem Seiner Kapellmeister, mit ehrenvollen Bedingungen ernannt sey, vornämlich auch, um bey einer zu errichtenden, neuen deutschen Oper, neben der fortbestehenden italienischen, mitzuwirken.

Editorial

Summary

Aufführungsberichte Dresden: 4. November bis 29. Dezember 1816 / Erwähnung der Anstellung Webers

Creation

vor 8. Januar 1817

Tradition

  • Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 19, Nr. 2 (8. Januar 1817), col. 26–31

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