Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 8. März bis 3. April 1824 (bis 20. März) (Teil 1 von 2)
Chronik des königl. sächs. Hoftheaters in Dresden.
Am 8. März. Zum erstenmale: Herrmann und Dorothea. Idyllisches Familiengemälde in 4 Akten, nach Göthe’s Gedicht von D. Carl Töpfer. (s. L. Tieck in No 75 und 76). Herr und Mad. Werdy wurden gerufen.
Am 9. März. Verlegenheit und List. Lustspiel in 3 Akten von Kotzebue, und Der Schwarze Mann. Lustspiel in 2 Akten von Gotter. Ein Herr Röseke (der Anschlag besagte nicht, welcher Bühne er bisher zugehört habe) spielte im ersten Stücke den Wind, im zweiten den Flickwort. Eine gewisse Theaterroutine war ihm nicht abzusprechen, und daher gelang ihm auch die erste, völlig oberflächliche Rolle, wo mit einer solchen geringen Kunst leicht durchzukommen ist, ganz erträglich, dagegen fehlte es ihm aber in der zweiten, tiefer zu ergreifenden, gänzlich an komischem Talente, ja auch nur einer halbweg‡ richtigen Auffassung dieses Charakters.
Am 10. März. Il matrimonio secreto.
Am 13. März. Hermann und Dorothea.
14. März. Der Unsichtbare. Komisches Singspiel in 1 Akt von Costenoble. Musik von C. D. Eule. Herr Keller ist als Hanns Plattkopf wahrhaft belustigend, sonst läßt sich dem Stücke, wie der Musik, nicht außerordentlich viel Gutes nachsagen. Von Costenoble haben wir bessere Sachen, als dieses. Hierauf folgte: Wallensteins Lager so wie
am 15. März Die Piccolomini, und
am 16. März Wallenstein Tod. Gewiß kein kleines Verdienst unserer Bühne, daß sie diese Trilogie, wenigstens in jedem Jahre einmal vollständig und ohne Zerstückelung und vorführt.
Am 17. März. La gazza ladra.
Am 18. März. Welcher ist der Bräutigam? Lustspiel in 4 Akten von Frau von Weissenthurn. Ebenso kalt wie am 9ten lies‡ auch heute Herr Röseke das Publikum als Langers. Er sprach die Rolle fertig, das mußte man bekennen, aber eine Idee von Charakterisirung, ein Funke von Humor, ein Bestreben nach etwas Lebendigerem, als dem bloßen Worte, war durchaus nicht darin zu bemerken.
Am 20. März. Zum erstenmalen: Margherita d’Anjou (Margarethe von Anjou). Melodram in 2 Aufzügen, Musik von Mayerbeer. Der Tondichter der Emma von Resburg, welche hier stets mit Vergnügen gesehen wird, hatte schon ein günstiges Vorurtheil für sich geweckt, und mit Vergnügen fand sich das Publikum in der angenehmen Erwartung, die es von dieser neuen Oper hatte, nicht getäuscht. Betrachten wir einen Augenblick das Textbuch, ob dieses gleich bei einer italiänischen Oper noch weniger als Nebensache ist. Es gehört zu den bessern, denn schon der gegebene Stoff in dem romantischen Schicksale der Königin Margarethe von Anjou ist interessant. Hätte der italiänische Dichter sich lediglich daran gehalten, wäre vielleicht etwas Besseres entstanden, aber er hat ihn wieder durch eine Nebenintrigue, die sich jedoch zur Hauptsache vordrängt, verwässert und das Interesse zur Ungebühr getheilt und geschwächt. Doch sind einige effektvolle Scenen darin, für die ihm der Componist schon dankbar seyn muß. Dieser hat mit Liebe und Fleiß gearbeitet und sein Talent von neuem bewährt. Es würde zu weit führen, die Oper hier kritisch zu analisiren. Wir begnügen uns damit, die einzelnen Gesangstücke herauszuheben, welche wir für die gelungensten halten. Da¦hin gehören aber im ersten Akte gleich die lebhafte und muntere Introduction, die Lagerscene treu wiedergebend, wobei jedoch die Arie der Margarethe kräftiger und höher gehalten seyn sollte. Allerliebst ist das Duett zweischen Isaura und Michael, wo komische Laune neben schmachtender Sehnsucht harmonisch einherschreitet. Einen ungemein milden und zarten Charakter hat das nun folgende Duett zwischen derselben und Lavarenne, der am Schlusse in freudige Kraft übergeht. Ein langes Finale schließt den Akt, welches mehrere gelungene Parthieen enthält und namentlich in den Chören sehr brav gearbeitet ist. Im zweiten Akt giebt das erste Chor: "Che bell’ alba, che bel giorno" eine allerliebste Parallele zwischen Stadt- und Landleben und die Malerei des "sbadigliando se ne stà" kann man nicht ohne Lachen hören. Vortrefflich ist die darauf folgende große Arie der Margarethe mit Violinsolo’s und dem einfallenden Chore. Am ausgezeichnetsten aber fanden wir das später eintretende Ensemblestück, welches mit einem komischen Terzett von 3 Baßstimmen beginnt, dann ins Quartett und endlich ins Sextett mit Chor übergeht. Es enthält so viele trefflich benutzte Effekte, ist so charakteristisch und melodiös geschrieben, und zugleich wieder in seinen Motiven so geistvoll und verständlich behandelt, daß wir es als eins der gelungensten Musikstücke, die wir noch auf der intaliänischen Bühne hörten, auszeichnen müssen. Auch Isaura hat noch eine schöne Arie beim Beginn des Finals von diesem Akte, und am Schlusse nach, jetzt gewohnter Sitte, zwar keine Bravour-Arie, aber dafür ganz allerliebste Variationen. Am wenigsten scheint uns die Tenorparthie, Lavarenne, bedacht, seine beiden Arien sind sehr schwer, ohne ausdrucksvoll zu seyn, und der ganze Charakter ist nicht anziehend.
Die Darstellung war im Ganzen sehr gelungen. Sgra. Funk spielte und sang als Margarethe ganz vortrefflich und entfaltete besonders in der Arie: "Che mai giova il Sertó" den ganzen Reichthum und die volle Kraft ihrer herrlichen Stimme. Die Violinbegleitung von unserm Concertmeister Rolla war völlig der ausgezeichneten Sängerin würdig, und stürmischer Beifall ward Beiden gezollt. Diesen erhielt auch Sgra. Tibaldi in der Rolle der Isaura, welche während der ganzen Oper in männlicher Kleidung erscheint und in solcher ein ungemein graziöses und inniges Spiel zeigte. Ihre schöne Alt-Stimme bewährte sich in allen ihren Musikstücken und besonders in der Variationen am Schlusse der Oper, die sehr schwierig sind und von ihr mit großer Fertigkeit vorgetragen wurden. Sgr. Benincasa war höchst komisch und dabei wieder innig treuherzig als Michael, der in seiner Art an den Michael im Wasserträger erinnert, besonders gelang ihm das komische Terzett mit Sgr. Zezi und Sassaroli, welche Beide ihren Rollen volle Genüge leisteten. Ersterer trat mit seinem jugendlich kräftigen Basse besonders in den Ensemblestücken höchst effektvoll ein, und sein Spiel gewinnt mit jeder neuen Darstellung mehr Freiheit. Möchten wir doch dasselbe von Herrn Fink als Lavarenne sagen können! Aber leider hielt Furcht ihn noch so befangen, daß sie fortdauernd auf seine Stimme einwirkte und ihr das Metall raubte, das so wesentlich für das Wohlgefallen an einer Stimme wirkt. Die Chöre gingen sehr gut zusammen, auch war die äußere Ausstattung vollkommen angemessen. Und somit erfreute sich die Oper bei dieser, wie bei den folgenden Darstellungen des Beifalls des Publikums.
(Die Fortsetzung folgt.)
Editorial
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Dubke, Esther
Tradition
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Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 8, Nr. 88 (12. April 1824), pp. 352