Aufführungsbesprechung Mannheim: “Achilles” von Ferdinando Paër am 26. Dezember 1809 (Teil 2 von 3)

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Ueber die Vorstellung der Oper Achilles, v. F. Paer, auf dem Mannheimer Hof- und Nationaltheater am 26. Dezember 1809. (Fortsetzung)

Von diesem Standpunkte aus betrachtet, kann ich die Art des Vortrages, welche Herr Berger wählte, nicht verwerfen. Paersche Musik, besonders die heutige Oper, verträgt ihrer Natur nach gar wohl willkürliche Coloraturen, Paer selbst hat die Parthie des Achill mit einer großen Menge derselben ausgestattet, und eben dadurch dieselbe vielleicht zu einer der allerschwierigsten Bravour-Rollen gemacht.

Herr Berger lösete diese so schwierige Aufgabe nicht ohne Erfolg. Der Aufwand von Kraft, mit welchem er schon in der ersten Scene* debütirte, ließ mich zwar befürchten, er werde es so nicht bis zum Ende fortführen können, allein zu meiner großen Verwunderung erhielt er sich doch bei Stimme bis gegen das Ende des Stückes. Erst in der Scene bei Patroclus Leichnam* ward das Abnehmen seiner Stimme merkbar, und er verdient Tadel darüber, daß er sich dessenungeachtet noch hier an excentrische Coloraturen und Passagen von der ersten Schwierigkeit wagte. Wohl möchte hier, wo Achill seinen namenlosen Schmerz aussprechen soll, das ungewöhnliche und gewissermaßen extravagante im Ausdrucke nicht am unrechten Orte angebracht seyn; allein gerade das ungewöhnliche und excentrische kann nur unter der Bedingung der höchsten Präcision, der höchsten Vollkommenheit in der Ausführung gefallen, und dieses zu erreichen war Herr Berger hier nicht mehr im Stande, wo seine physischen Kräfte durch die so ungewöhnlich große und angreifende Rolle schon nothwendig erschöpft seyn mußten: es wäre also gewiß zu wünschen, daß er entweder hier sich auf das beschränkte, was er tadellos zu geben vermag, oder daß er in frühern Scenen mehr Oekonomie gebrauchte, um das, was er bei der erwähnten Scene zu geben gedenkt, und was, ich wiederhole es, an sich ganz zweckmäßig und richtig gedacht ist, mit der erforderlichen Vollkommenheit geben zu können.

Im ganzen lernte ich in Herrn Berger einen achtungswürdigen Künstler schätzen. Seine Stimme, ohne besonders schön zu seyn, ist angenehm, seine Schule ist gut, besonders sein Trillo gleich und rund. Der Umfang seiner Stimme geht von den höchsten Tönen des Tenors bis zu den tiefen Baßtönen A und G, letztere noch mit ganzer Kraft, erstere durch Hülfe des Falsettes, welches er geschickt mit der Bruststimme verbindet. Seine Intonation war überall rein, bis auf wenige Stellen, woran Ermüdung offenbar die Schuld trug, sein Spiel und Costume meistens anständig. Daß er hier eine zahlreiche Parthie gegen sich* haben muß, verrieth das Relief, welches man von verschiedenen Seiten des Parterre und selbst der Logen auch der leichtesten Blöße zu geben sich bemühete, welche sein Spiel oder Gang zuweilen gab, indeß so manche andre gröbere Fehler mit beispielloser Langmuth übersehen wurden. Ich bin indessen überzeugt, daß es Hrn. B. bei fortgesetztem Eifer gelingen wird und gelingen muß, die entschiedene Majorität eben so gewiß noch für sich zu gewinnen, als er den bessern Theil schon für sich eingenommen hat.

Die Parthie des Agamemnon sang Herr Singer, über dessen Gesang bei der Schöpfung* ich Ihnen schon gestern mehreres gesagt habe. Auch heute zeigte er sich als Sänger von guter Schule, und, wenn auch nicht in Spiel und Dialog, doch gewiß durch seinen Gesang, als denkenden Künstler, und achtungswerthen Musiker. Bei seiner gründlichen Bildung und glücklichen Organisation für Musik überhaupt, und mit seiner vollen derben Metallstimme ließe sich darauf wetten, daß es ihm nicht fehlen könnte, durch weiteres Studium sich unter die Bassisten oder vielleicht eher Baritonisten vom ersten Range aufzuschwingen. Worin aber der Grund liegt, daß er, wie man mich versicherte, nicht weiter schreitet, ob Mangel an Aufmunterung von aussen, oder was sonst daran schuld seyn mag, muß ich, als mit den hiesigen Verhältnissen zu wenig vertraut, dahin gestellt seyn lassen; immer aber hat das hiesige Publikum Ursache, dieses sehr zu bedauern.

Uebrigens entstellt Herr Singer den Reiz seines Gesanges zuweilen durch kleine Sorglosigkeiten in der Aussprache, wie z. B. Herrez für Herz;*bald wirred Briseide mein.*

Briseide, (oder wie der Anschlagzettel besagt, Brisnide, oder auch Brisaide, wie ich allgemein aussprechen hörte) wurde von einer jungen Sängerin, Mlle. Frank gegeben. Ihre Gestalt und Stimme sind äußerst anmuthig, ihr Gesang ist einfach und ihr Spiel wahr und anständig: Die erste Hälfte ihrer Rolle trug sie mit Kraft und guter Schule vor, hielt aber damit nicht bis zum Ende aus, welches besonders in dem Duette vor dem Tempel* fühlbar war; auch verfehlte sie sich einmal im Recitative, wodurch eine zwar bald vorübergehende aber doch sehr merkbare Unordnung entstand.

der Beschluß folgt

Editorial

Creation

Tradition

  • Text Source: Rheinische Correspondenz, vol. 2, issue 2 (2. Januar 1810), pp. 7–8

    Commentary

    • “ersten Scene”Gemeint ist die unmittelbar an die Ouvertüre anschließende Introduktion, in der Achille nach dem Chor mit den Worten beginnt: „Hoffnung, und Kühnheit und Ehre“ („Speme, fermezza e gloria“).
    • “Scene bei Patroclus Leichnam” Nr. 25, Achille „O bange Schreckens Stunde!“ („Ecco il suo busto e sangue“).
    • “zahlreiche Parthie gegen sich” Zur Opposition gegen Ludwig Berger vgl. 1810-V-19, Teil 2.
    • “Herr Singer , … bei der Schöpfung”Karl Singer sang die Partie des Uriel.
    • “Herrez für Herz;”Das Wort „Herz“ kommt in Agamemnons Äußerungen mehrfach vor, so im Terzett Nr. 16 (Achille, Agamemnon, Patroclus): „die Freude ob deinem Glücke füllt jetzt mein Herz allein“ („oh come di tue gioje son io contento appien“), vor allem aber im Finale 2. Akt, Nr. 26: „das, was sein Herz beehrt“ bzw. „wenn er der Grosmuth Triebe, im freien Herzen nährt“ (italienischer Text ohne „cor“) und ebendort „Seht, wie des Herzens Qualen“ („Del cor dubbioso i palpiti“) sowie „Ha! seht der Hölle Qualen zerreissen jetzt sein Herz“ („Egli respira appena squarciato dal dolor“).
    • “bald wirred Briseide mein .”Finale 1. Akt (Nr. 13), Agamemnon: „Ha! diese Hoffnung, ich darf sie nähren, bald wird Briseide mein, bald wird sie mein“ („De por la speme, cangiar favella, spoglia si bella sol mia, sol mia sarà“).
    • “Duette vor dem Tempel”Rezitativ mit anschließendem Duett Briseide und Agamemnon (Nr. 18): „Ihn mußt du nun verlassen“ („Non ostinarti allora“).

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