Über Kirchenmusik in Konzerten
Ueber Kirchenmusik in Concerten.
Wenn ich Missen, Psalmen, Te Deum etc. hören will, geh’Δ ich in die Kirche; im Concertsaal verschone man mich damit! Hier machen die Sachen schon gar den Effect nicht, wie in der Kirche; sie sind auf die gottesdienstliche Handlung berechnet, welche während der Musik vorgeht: wo jene fehlt, verliert diese ihre Beziehung, mit ihr ihren Sinn, ihren Werth, ihren Reiz, und alles Interesse!
„Das ist, wie aus meinem Herzen gesprochen!“ höre ich neun Zehntheile meiner Leser ausrufen; und was noch mehr ist, ich sehe unter diesen neun Zehntheilen keineswegs blos oberflächliche Dilettanten – nein, auch raisonnirende Aesthetiker, Tongeber, Sprachführer und VorfechterΔ des öffentlichen Urtheils.
Ich werde plötzlich unter zehen Stimmen neun gegen mich haben, wenn ich bekenne, dass der Eingang dieses Aufsatzes nichts weniger ist, als aus meinem Herzen gesprochen; ja, dass ich Kirchenmusik für das Concert noch angemessner glaube, als Arien und Duette aus deutschen oder italienischen Opern: und das nicht – wie nun Mancher mich vielleicht schon taxirt – aus Pedanterey, (denn Liebe zum Kirchenstyl und Pedanterey fällt bey Manchem in eins –) sondern, wie ich glaube, aus Gründen.
Jedes Gesangstück muss irgend eine bestimmte Empfindung ausdrücken – mithin schildern: ist es aber darum auch immer nöthig, dass die äussere Umgebung dieser Empfindung entspreche? Wäre dies, so würde alle Concertmusik widersinnig, deren Text sich nicht über einen Gegenstand verbreitete, worüber das Gespräch in grossen Gesellschaften, namentlich in Concertsälen, sich zu verbreiten pflegt: ein Maylied dürfte nur auf junger Trifft gesungen werden, ein zärtliches Duett nur im Boudoir, oder höchstens zwischen täuschenden Theater-Decorationen. Zum Glücke aber ist diese Art von ästhetischer Wahrheit, wenn gleich oft der Wirkung günstig, doch nicht unentbehrlich. Das macht: die Tonkunst, welche eine Welt supponirt, wo Sprache Gesang ist, versetzt uns schon in das Reich der Illusionen; indem sie den Gehörsinn unwiderstehlich anspricht und beschäftigt, überlässt sie der Einbildungskraft, die Umgebungen der Situation sich hinzuzudenken. Willig fügt der Zuhörer sich dieser Illusion, und findet es darum nicht lächerlich, wenn im Concerte zwey Liebende in einem Duett sich die zärtlichsten Dinge vor den Augen des Publicums sagen, ein Herr in einem Mode-Frack die Bravour-Arie aus Paers Achilles* singt, und die Engel in Haydn’s Schöpfung ohne Flügel erscheinen.
Ich verkenne es nicht, und habe es oben schon zugegeben, dass das Local, und alles Aeussere der Umgebungen, vieles zur Erhöhung des musikalischen Effectes beytragen kann, und eine Missa (die es wirklich ist) ihre vollkommenste Wirkung während eines feyerlichen Hochamtes thun wird, zumal wenn dies (was freylich nicht immer der Fall ist,) mit würdigem Anstand und ohne kleinliches Gepränge gehalten würde: allein lässt sich dieses alles nicht in doppelt- und dreyfachem Maasse auch auf Theatermusik anwenden, welche die singenden Personen als wirklich handelnd, nicht, wie die Kirchensänger, als blos der Handlung beywohnend, voraussetzt? Der Kirchensänger ist eine blos betrachtende, mitfühlende, ihr Gefühl äussernde Person: der Theatersänger aber in der Handlung activ, nicht wie jener blos passiv, mitverwickelt. Die Kirchenmusik drückt nur eine der gottesdienstlichen Handlung angemessene Empfindung aus: die Theatermusik schildert die Handlung selbst, die Handlung geht in ihr vor, und ist von ihr unzertrennlich, indess ein Gebet, ein Lob der Gottheit, eine Bitte um Himmels-Segen, auch ohne unmittelbare kirchliche Veranlassung herbeygeführt erscheinen kann. Eben darum aber, weil der höchste Werth der Theatermusik in der richtigen Berechnung auf Theater-Effect, auf dramatische Situation und Handlung besteht – eben darum ist auch einleuchtend, dass gerade, je mehr dramatischen Werth eine Musik hat, desto geringer ihre Wirkung im Concerte seyn muss; und eben darin liegt denn auch wieder der Grund, warum (so sehr ich auch sonst Ensemble-Stücke den leidigen, ewigen Instrumental-Concerto’s, Bravour-Arien, Rondo’s und gefälligen Duetten im Concerte vorziehe) ich es doch nie recht goutiren kann, wenn man mir ganze Opern-Finalen im Concerte zu geniessen geben will. So hört man z. B. nicht selten das erste Finale aus Mozarts Don Juan. Wie viel Handlung geht in dieser Musik vor! nur in der Catastrophe: während des Getümmels eines Balls lockt Don Juan das Mädchen in ein NebengemachΔ, wird zudringlich, ihr Angstgeschrey dringt durch das Ballgetöse und verräth ihn; der Bräutigam tobt, die Ballgäste stürmen und sprengen die Thür; er sucht die Schuld auf seinen Diener zu schieben; man glaubt ihm nicht, dringt auf ihn ein; er schlägt sich durch, wie ein Rasender; alle ihm nach: der Vorhang fällt! – Nun frage ich: muss eine Musik, auf diese ganze Kettenfolge von Handlungen berechnet, aber von aller Handlung isolirt im Concertsaale gegeben, nicht gar zu viel – ja, gerade ihr Bestes, einbüssen*)Δ – nicht unendlich mehr, als eine geistliche Musik durch den Mangel kirchlicher Umgebungen? Man kann gar füglich ausrufen: Heilig ist Gott Sabaoth! ohne durch die KlingelΔ des Ministranten dazu aufgefordert zu werden: weit widerstrebender aber ist es: O Dio, io moro! von einer schön geputzten, von Gesundheit strotzenden Sängerin mit dem Notenblatte in der Hand im Concertsaale singen zu hören. Das macht: der Sänger, indem er singt: Gott, dich loben wir – thut eben, was er sagt: die Sängerin aber – bleibt hübsch am Leben. Dennoch findet dies Niemand anstössig, und das Publicum applaudirt. Ich tadle es nicht, klatsche wol selbst mit; aber ich frage: warum sind denn die Herren so nachsichtig gegen die aus ihrer Sphäre herausgerissne Opern-Musik, und wollen es gar nicht seyn gegen ein KirchenstückΔ? warum taxiren sie nur dieses, so wie es sich im Concertsaal blicken lässt, so unbarmherzig für ein hors d’oeuvre? warum wollen sieΔ gerade nur diesen Gegenstand ausschliessen, indess sie sonst jeden andern im Concerte dulden?
Im Herzen der Herren (sie lassen’s nur nicht gern lesen,) steht die Antwort geschrieben: Uns langweilt nun einmal Kirchenmusik’, nicht blos im Concerte, sondern auch in der Kirche selbst; und das darum, weil sie uns zu tief, zu ernst und erhaben ist, nicht luxuriös oder tändelnd, nicht oberflächlich und was wir amüsant nennen! Darum hören wir denn auch z. B. in Haydns Jahreszeiten den Chor:
Ehre Lob und Preis sey dir,ewiger, gütiger Gott – *(freylich auch im leidigen Kirchenstyl, so sehr wie einer,) im Grunde nur mit Resignation im Concerte an, thun aber davon entzückt, so viel es zum guten Ton gehört: denn hier haben wir keinen Vorwand, es nicht zu seyn. Wird aber dasselbe auf Latein gesagt: Te Deum laudamus, oder Gloria in excelsis Deo: dann sind wir des Zwanges überhoben, und freuen uns herzlich, dass die Phrase: das Stück ist für die Kirche geschrieben und kann hier keine Wirkung thun – erfunden ist, zumal da sie noch obendrein wie ein ästhetisches Raisonnement, wie ein Kunsturtheil klingt – so dass wir unter dieser Aegide beym Gähnen noch obendrein Kennermienen zur Schau tragen können.
Ich schliesse mit dem Bewusstseyn, Unrecht zu haben in den Augen von neun Zehntheilen meiner Leser, welche mich leicht widerlegen werden, durch das Argument: Wenn ich Kirchen-Musik hören will, gehe ich in die Kirche u. s. w.
[Original Footnotes]
- *) Anm. Wenn der Zuhörer, wie in den leipziger Concerten, den Text in der Hand, und die Oper von der Bühne im Andenken hat, so ersetzt die Phantasie den Mangel genügend; ja, ist die Musik, wie im aufgeführten Beyspiele, gearbeitet, in dieser Hinsicht sogar zum Vortheil derselben und ihres Genusses. d. Redact.
Editorial
General Remark
Dieser Aufsatz ist vermutlich als Reaktion auf Erfahrungen, die G. Weber mit dem Programm der Museumskonzerte im Winter 1811/12 gemacht hatte, entstanden. In dieser Saison wurden u. a. die im Text genannten Jahreszeiten im Museum gegeben; vgl. Weber-Studien, Bd. 4/1, Anhang 3, S. 273. Kritik an der Aufführung von Kirchenmusik in Konzerten des Mannheimer Museums war öffentlich im Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 5, Nr. 142 (14. Juni 1811), Sp. 568, geäußert worden, wo bemerkt wird, Kirchengesang, der auf ein ganz anderes Lokal berechnet sei, könne in dem beschränkten Saale nicht wirken, auch die größere Zahl der Zuhörer nicht ansprechen. G. Weber äußerte sich am 14. Mai 1812 gegenüber Gänsbacher über eine mögliche Aufführung von dessen Requiem op. 15 im Mannheimer Museum: ich schrieb Dir oben [der Anfang fehlt] daß Dein Req. im Museum aufzuführen ein wenig Schwierigkeiten haben würde. – Nun aber bedenke ich, daß es gar wohl gehen wird nicht zwar das ganze, aber einzelne Stüke daraus zu geben. Das verschluken denn die frivolern Zuhörer noch mit ziemlicher Resignation, wenns nur nicht zu lange dauert. So will ichs denn machen. Schreibe mir also welche Stüke Du für am geeignetsten hältst isolirt im Museum aufgeführt zu werden – etwas das Dies Irae – oder was sonst am effectvollsten ist.
Creation
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Tradition in 2 Text Sources
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1. Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 14, Nr. 22 (27. Mai 1812), col. 355–359
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2. Text Source: Musicalische Zeitung für die österreichischen Staaten, Jg. 1, Nr. 6 (30. Juni 1812), pp. 43–46* ,
Commentary
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“… die Bravour-Arie aus Paers Achilles”Arie des Achille (Nr. 5) „Languirò vicino a quelle adorabili pupille“ aus Achille von Ferdinando Paër.
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Readings
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Text Source 1: “geh’”Text Source 2: “so geh’”
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Text Source 1: “Vorfechter”Text Source 2: “Vorsteher”
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Text Source 1: “Nebengemach”Text Source 2: “Nebenzimmer”
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Text Source 1: “*) Anm. Wenn der Zuhörer, wie in den leipziger Concerten, den Text in der Hand, und die Oper von der Bühne im Andenken hat, so ersetzt die Phantasie den Mangel genügend; ja, ist die Musik, wie im aufgeführten Beyspiele, gearbeitet, in dieser Hinsicht sogar zum Vortheil derselben und ihres Genusses. d. Redact.”Text Source 2: No text present.
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Text Source 1: “Klingel”Text Source 2: “Klinge (Druckfehler)”
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Text Source 1: “gegen ein Kirchenstück”Text Source 2: “gegen Kirchenmusik”
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Text Source 1: “warum wollen sie”Text Source 2: “warum wollen wir”