Aufführungabesprechung: “Gott und die Natur” von Giacomo Meyerbeer am 8. Mai 1811 in Berlin

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Berlin *). Unter den mancherley Kunstproducten, die uns seit einiger Zeit erfreuten, oder langweilten, steht das, am 8ten May in dem Concert spirituel des Hrn. Kapellm. WeberΔ aufgeführte Oratorium von Schreiber*, Gott und die Natur, in Musik gesetztΔ von Hrn. Meyer Beer, so Δ ausgezeichnet in jeder Hinsicht da, dass es IhnenΔ angenehm seyn wird, etwas Ausführlicheres, als die Berliner und andere Zeitungen lieferten*,Δ über die Arbeit dieses vielversprechenden Künstlers zu hörenΔ, der so vieleΔ wissenschaftliche Bildung mit der vollkommnen Beherrschung derΔ musikalisch-technischen Erfordernisse in sich vereintΔ. Der Plan des Ganzen ist mit reicher Mannigfaltigkeit, und ohne das Gesetz der Einheit zu stören, entworfen. VollesΔ Leben, schmeichelndeΔ Lieblichkeit, und besonders die ächte Kraft des emporstrebendenΔ Genie’s sindΔ darin unverkennbar. Der erste Chor (C-dur) und die darauffolgende Fuge sind sehr weislich ganz mezzo tinto gehalten, und mir fielen nurΔ einige kleine Text-Verstümmelungen auf. No. 2. und 3. Bass-Recitativ und Aria. (Es-dur.)Δ Das Recitativ* istΔ höchst sprechend und wahr. Daran schliesst sich die Arie, bey deren grosser Lieblichkeit man beynahe bedauern möchteΔ, dass ein Bassist sie zu singen habe, wenn nicht Hr. Gern sie vorgetragen, und mich überzeugt hätte, dass er auch in diesem Betracht alle Wünsche befriedigen könneΔ. In dieser Nummer ist die Stelle: da winkt er dem Licht, es schwebet hernieder – | sehr glücklich ganz entfernt gehalten von Haydns: es werde Licht – und zwarΔ durch einen überraschend gehaltenen E dur-Accord der Blas-Instrumente. – No. 4. und 5., Rec. und Aria, (ausΔ B,) gesungen von Hrn. Eunike, wurde einΔ Lieblingsstück des Publicums. Man könnte zwar vielleichtΔ sagen, es wäreΔ Schade, dass gleich Anfangs zwey Arien von MännerstimmenΔ aufeinander folgen: aber der Effect des Blumen-Chors, (No. 6, ausΔ G), von blossen Weiberstimmen vorgetragen, tritt dagegen wie eine freundliche Lichtgestalt hervor, und wurde das zweyte Lieblingsstück des Publicums, ja, veranlasste ein eignes Sonnett auf den Componisten – so wie überhaupt mehrere Gedichte auf den Dichter und Componisten in der Berliner Zeitung befindlich sindΔ*. Die Harfen-Begleitung war aberΔ leider so schwach, dass man sie kaum hörte. No. 7. Discant-Arie, (C-dur) istΔ von einer, für Sopran-Arien seltenen Kraft, (mir beynah das liebste Stück) und in eben diesem Geiste von Dem. Schmalz vorgetragen. Dass diese Sopran-Arie nach dem Weiber-Chor folgt, ist, glaube ich, ein gegründeter Vorwurf, der dem Componisten zu machen ist. Beyde Stücke verlieren dadurch. Δ No. 8. Chor der vier Elemente. Ein echt kontrapunktisches Meisterstück, Luft, Sopran, Feuer, Alt etc. [Erde, Tenor; Wasser, Bass.] Jedes trägt erst seinen eigenen Gesang, mit dem, dasselbeΔ charakterisirenden Accompagnement vor; am Ende vereinigen sich alle vier Gesänge mit ihren vier Accomp. – also acht Themata – sehr Δ consequent, undΔ besonders von hoher Wirkung da, wo das ganze mächtigeΔ Ensemble, pianissimo wiederholt wird, (in F-dur). So benutzt, und so fliessend und natürlich behandelt, mögen wol allein derlei harmonische Kunststücke anΔ ihrer Stelle stehen und wirken, was sonst selten der Fall ist. – No. 9. Bass-Recitativ. No. 10. Chor: Er war, er ist, und er wird seyn. – Schöne rhetorische Durchführung eines choralmässigen 4stimmigen Gesanges, mit untermischten soli a quadro der vier Hauptsingstimmen, (ausΔ Es.) – No. 11. Duett, zwischen einem Zweifler, und einem Gottesläugner, /Tenor und Bass,) wozwischen ein Chor von Männern Zuversicht und Glaube predigt. Die verschiedenen Charaktere* sind ungemein treffend geschildert und das Ganze Δ zu einem Gusse ver¦bunden. Auch ist es gut gedachtΔ, diesen ernsten Gegenstand blos von Männern unter sich abhandeln zu lassen. (Δ G-moll.) – An dieses Stück schliesst sich der Chor (C dur): Hörst du die Posaun’ erklingen? wo es mich schonΔ freute, dass der Componist nicht die Plattitude beging, Posaunen hören zu lassen. Von hier fängt er an, immer grösser Δ zu werden, bis ans Ende. Der Text wendet sich zur Auferstehung Δ, wo alles Gestorbene zu leben wieder anfangen wird. Der SopranΔ tritt solo und pianissimoΔ nur von einem Paukenwirbel begleitet, nach der spannenden Stille einer Fermate ein:
Es lebt, was je geboren war, es lebt, was je geboren
Endlich trittΔ die Schlussfuge einΔ, deren Thema:
Im Tod ist Sieg, im Grab ist Licht, das Wort des Herrn, es trüget nicht.
die Posaunen erst per augmentationem so vortragen:

und womit der Comp.Δ dann eine feurige Bewegung der Violinen verbindet, und mit einer ausserordentlichenΔ Kraft auf das Ende losgeht. Die Instrumentierung ist durchaus gut berechnet, oftΔ originell und neuΔ. Alle Melodien, selbst die schmeichelndsten, bleiben in den Gränzen des ernsten StylesΔ. Möge Hr. Meyer Beer auf dem Pfade der Kunst mit der Ausdauer, demΔ Fleiss, und der Bescheidenheit fortwandeln, die man bisher an ihm so hochschätzen durfte, und wir haben der Kunst reiche Früchte von ihm zu versprechenΔ.

[Original Footnotes]

  • *) Anm. Durch Umstände verspätigt.

Editorial

Summary

sehr ausführliche Werkbesprechung; nummernweise Vorstellung der Komposition; hebt besonders Nr. 5 (Lieblingsstück des Puplikums) und Nr. 8 (kontrapunktisches Meisterwerk) hervor; mit Notenbeispielen

General Remark

Hierbei handelt es sich mehr um eine Werk- als Aufführungsbesprechung; da Weber, der das Werk sehr gut kannte, bei der Aufführung selbst nicht anwesend war, sondern zu dieser Zeit in München weilte; vermutlich hatte er evtl. nötige Informationen über die Auff. von Meyerbeer erhalten; über die Entstehung des Oratoriums vgl. Brief von Weber an Gänsbacher vom 27. Februar 1811 (Zusatz Meyerbeer); Brief von Weber an G. Weber vom 14./15. September 1811 sowie die kurze Notiz von Gänsbacher in verschiedenen Zeitungen; vgl. auch TB Monatsübersicht Juni 1811

Creation

18. Juni 1811 (laut A, Versand am gleichen Tag laut TB)

Tradition in 2 Text Sources

  • 1. Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 13, Nr. 34 (21. August 1811), col. 570–572

    Corresponding sources

    • Kaiser (Schriften), S. 242–245 (Nr. 25)
  • 2. Text Source: Draft: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (IV), Bl. 32b/v–33a/r

    Physical Description

    • über dem Manuskript oben “Berlin. im May 1811.”; Incipit: “Unter den mancherley KunstProdukten”; Datierung: “an die M: Z: abgeschikt d: 18t Juny 1811 von München aus.”; unterzeichnet mit “Niemand.”
    • Beginn auf der Rückseite des Manuskriptes von 1811-WeS-06; Ende auf erster Seite von DBl., s. 1811-WeS-09; WZ: Lilienblüte, Gegenmarke: MH, Format 33,1x20,4 cm; von Weber paginiert mit S. 46–47

    Corresponding sources

    • HellS II, S. 59–64
    • MMW III, S. 30–33

    Commentary

    • “… Weber aufgeführte Oratorium von Schreiber”Name in Hell II, S. 59 und MMW III, S. 30 verlesen zu „Scheile“.
    • “… Berliner und andere Zeitungen lieferten”Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats-und gelehrten Sachen, Nr. 58, (14. Mai 1811), gez.: J. C. F. R. (Johann Carl Friedrich Rellstab) und Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 58 (14. Mai 1811) sowie 1811-V-32 und 1811-V-35. Vgl. außerdem den ausführlichen Bericht im Journal des Luxus und der Moden, Jg. 26, Juli 1811, S. 458–462 .
    • “… : 2. 3., . und”Bei Hell, S. 60 „E.“
    • “… und Aria. (Es-dur.) Das Recitativ”Bei Hell, S. 60 „Quintett“.
    • “… der Berliner Zeitung befindlich sind”Vgl. Brief von Meyerbeer an G. Weber vom 22. Mai 1811. Laut Becker I, S. 604, Anmerkung 107, 3 ließ Gottfried Weber auf Grund der von Meyerbeer mitgeschickten Zeitungsauschnitte einen Absatz im Badischen Magazin einrücken (Nr. 75 v. 28. Mai 1811).
    • “… Glaube predigt. Die verschiedenen Charaktere”Bei Hell, S. 62 „Cavatinen“.

    Readings

    • Text Source 1: am 8ten May in dem Concert spirituel des Hrn. Kapellm. Weber
      Text Source 2: in des KapellMst:W: Conc:
    • Text Source 1: in Musik gesetzt
      Text Source 2: mit Musik von
    • Text Source 1: No text present.
      Text Source 2: hoch und
    • Text Source 1: No text present.
      Text Source 2: , bester Freund,
    • Text Source 1: als die Berliner und andere Zeitungen lieferten,
      Text Source 2: No text present.
    • Text Source 1: zu hören
      Text Source 2: No text present.
    • Text Source 1: viele
      Text Source 2: viel
    • Text Source 1: der
      Text Source 2: aller
    • Text Source 1: No text present.
      Text Source 2: zu hören
    • Text Source 1: Volles
      Text Source 2: Glühendes
    • Text Source 1: schmeichelnde
      Text Source 2: herzliche
    • Text Source 1: emporstrebenden
      Text Source 2: empor flammenden
    • Text Source 1: sind
      Text Source 2: ist
    • Text Source 1: und mir fielen nur
      Text Source 2: nur fielen mir
    • Text Source 1: No. 2. und 3. Bass-Recitativ und Aria. (Es-dur.)
      Text Source 2: No: 2. 3., Rec. und A. Es für Baß
    • Text Source 1: ist
      Text Source 2: No text present.
    • Text Source 1: Daran schliesst sich die Arie, bey deren grosser Lieblichkeit man beynahe bedauern möchte
      Text Source 2: an das sich die Arie schließt, von deren großer Lieblichkeit man beynah sagen möchte, es sey nach Hell und MMW: schade
    • Text Source 1: er auch in diesem Betracht alle Wünsche befriedigen könne
      Text Source 2: Lieblichkeit in seinem Munde an Ihrer Stelle ist
    • Text Source 1: und zwar
      Text Source 2: No text present.
    • Text Source 1: aus
      Text Source 2: in
    • Text Source 1: ein
      Text Source 2: das
    • Text Source 1: zwar vielleicht
      Text Source 2: No text present.
    • Text Source 1: wäre
      Text Source 2: sey
    • Text Source 1: gleich Anfangs zwey Arien von Männerstimmen
      Text Source 2: 2 Arien und Rec: von 2 Männerstimmen gleich anfangs
    • Text Source 1: aus
      Text Source 2: in
    • Text Source 1: befindlich sind
      Text Source 2: stehen
    • Text Source 1: aber
      Text Source 2: No text present.
    • Text Source 1: ist
      Text Source 2: No text present.
    • Text Source 1:
      Text Source 2: Hätte doch können getauscht werden mit einer der frühen Männer Arien, allenfalls der BaßArie
    • Text Source 1: , dasselbe
      Text Source 2: es
    • Text Source 1: No text present.
      Text Source 2: logisch
    • Text Source 1: und
      Text Source 2: No text present.
    • Text Source 1: mächtige
      Text Source 2: allmächtige
    • Text Source 1: an
      Text Source 2: auf
    • Text Source 1: aus
      Text Source 2: in
    • Text Source 1: No text present.
      Text Source 2: sehr
    • Text Source 1: Auch ist es gut gedacht
      Text Source 2: so wie es auch sehr schön und philosophisch gedacht ist
    • Text Source 1: No text present.
      Text Source 2: in
    • Text Source 1: schon
      Text Source 2: sehr
    • Text Source 1: No text present.
      Text Source 2: und höher
    • Text Source 1: No text present.
      Text Source 2: der Welt
    • Text Source 1: Der Sopran
      Text Source 2: Sopran Solo
    • Text Source 1: solo und pianissimo
      Text Source 2: solissimo
    • Text Source 1: tritt
      Text Source 2: schlägt
    • Text Source 1: ein
      Text Source 2: loß
    • Text Source 1: der Comp.
      Text Source 2: er
    • Text Source 1: ausserordentlichen
      Text Source 2: ungeheuren
    • Text Source 1: oft
      Text Source 2: und
    • Text Source 1: No text present.
      Text Source 2: , nie überladen
    • Text Source 1: No text present.
      Text Source 2: , daß man wirklich mit H: Gern dem man in der Probe zurief, er habe gesungen wie ein Engel, ausrufen kann, die Musik dazu kommt ja aber auch aus dem Himmel!
    • Text Source 1: dem
      Text Source 2: No text present.
    • Text Source 1: ihm zu versprechen
      Text Source 2: diesem Genius zu prophezeien

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